Jonathan Franzen: "Das Ende vom Ende der Welt"
Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell und Wieland Freund
Rowohlt Verlag, Hamburg 2019
251 Seiten, 25.- EUR
Leidenschaftliche Essays eines Vogelliebhabers
06:54 Minuten
In Zeiten hektischer Internetkommentare pflegt Jonathan Franzen eine altbewährte Form des langsamen Nachdenkens: die des Essays. Sein neues Buch versammelt 16 seiner Essays, die eines verbindet: seine Leidenschaft fürs Vogelbeobachten.
Vor einigen Jahren entwarf Jonathan Franzen eine Art Regelwerk für das Verfassen von Romanen. Eine Regel, äußerte der international erfolgreiche Romancier, sei das Abschalten des Internetzugangs.
Er meinte damit nicht nur eine Maßnahme, um der Ablenkung durch den permanenten digitalen Informationsstrom zu entgehen. Er meinte es grundsätzlicher. Franzen ist ein erklärter Gegner der Social-Media-Kultur, und dies erst recht, seit die Vereinigten Staaten von einem Mann regiert werden, der für seine Politik die Äußerungsform von Twitter bevorzugt.
Auch in seinem neuen, gerade auf Deutsch erschienenen Buch "Das Ende vom Ende der Welt" kommt Jonathan Franzen auf seine Abneigung gegen die schnell formulierten, schnell gedachten, schnell verbreiteten Internetkommentare zu sprechen. Er stellt ihnen eine vom Aussterben bedrohte Gattung gegenüber: Den Essay. Jene im 16. Jahrhundert von Michel de Montaigne erfundene subjektive Form des Nachdenkens, die zwischen Erzählung und Abhandlung oszilliert.
Kämpferischer Vogelschützer
Nicht zufällig findet sich Franzens Verteidigung dieser Textform am Beginn seines Buches. Es versammelt sechzehn, in renommierten angelsächsischen Zeitungen und Magazinen erstveröffentlichte klassische Essays. Was sie thematisch verbindet, ist eine seit langem bekannte Leidenschaft des Schriftstellers: Das Vogelbeobachten.
Er berichtet von Reisen nach Ghana, Jamaika, Albanien, Ägypten, Costa Rica und in die Antarktis, die der Suche nach seltenen Vogelarten und der Lust am meditativen Beobachten dienten – aber nicht nur.
Denn Franzen schreibt aus der Haltung des kämpferischen Vogelschützers, der entsetzt miterleben muss, wie in Albanien, Ägypten und anderen Mittelmeerländern Zugvögel millionenfach in Netzen gefangen oder vom Himmel geschossen werden. Aus diesem Massaker entwickelt er seine Kritik an der apokalyptischen Rhetorik von Klimaschützern, die für das Aussterben von Vogelarten allein den Klimawandel verantwortlich machten und sich so der kleinteiligeren Arbeit am Naturschutz entledigten.
Die Unterscheidung von globalem Klimaschutz und regionalem Naturschutz ist der Kern eines Aufsatzes, den Franzen bereits im April 2015 im "New Yorker" publizierte und der ihm einen Sturm der Entrüstung eintrug. Er sah sich als Klimawandelleugner verunglimpft.
Stilistische Eleganz
Unübersehbar entspringen seine nachfolgenden Texte der Intention, sich mit gründlich recherchierten Fakten gegen die Vorwürfe zu wehren und seine Philosophie eines gelingenden Naturschutzes zu veranschaulichen. Dieser beziehe sich konkret auf die Gegenwart. Der gedankliche Bezugspunkt des Klimaschutzes sei jedoch die Zukunft mit ihren unwägbaren Bedrohungen des Planeten.
Man muss Jonathan Franzens Standpunkt keineswegs teilen, um die stilistische Eleganz seiner Essays zu bewundern. Sie zeigen diese Gattung auf einem Höhepunkt ihrer literarischen und intellektuellen Möglichkeiten. Und sie zeigen Jonathan Franzen als antihysterischen Anwalt in doppelter Funktion: Er verteidigt den Reichtum der Vogelwelt ebenso wie den der essayistischen Schreibform, die es beide zu erhalten gilt.