Jonathan Moore: "Poison Artist"

Wahn und Schmerz

02:48 Minuten
Cover von Jonathan Moores Roman "Poison Artist".
© Suhrkamp

Jonathan Moore

Aus dem Amerikanischen von Stefan Lux

Poison ArtistSuhrkamp, Berlin 2022

352 Seiten

16,95 Euro

Von Tobias Gohlis · 30.09.2022
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Im giftigen Nebel von San Francisco: Jonathan Moore lässt in seinem düsteren Thriller „Poison Artist“ einen Toxikologen nach einem Serienmörder suchen – und nach einer geheimnisvollen Frau, die einem Gemälde entsprungen zu sein scheint.
Dass Jonathan Moores Thriller „Poison Artist“ im Zwielicht zwischen Realität und Imagination angesiedelt ist, signalisiert uns der Autor gleich auf den ersten Seiten. Toxikologe Caleb Maddox pult sich die Splitter eines Whiskeyglases aus dem Gesicht, das seine Geliebte im Trennungsstreit nach ihm geworfen hat.
Seinen Schmerz stillt er im Luxushotel The Palace in San Francisco. Dort verliert er sich in der Betrachtung einer Touristenattraktion, des zur Bar gehörenden Riesengemäldes „The Pied Piper“, bis „sowohl der Raum und als auch die Außenwelt völlig verschwinden“.

Schmerzforscher mit halblegalem Auftrag


Später wird Caleb eine Frau kennenlernen und sich so sehr in sie verlieben, dass selbst die aufmerksamste Leserin nicht mehr klar durchblickt, ob diese schwarz gekleidete, Absinth schlürfende Emmeline Calebs Einbildung, dem Gemälde „Madame X“ des berühmten Porträtisten John Singer Sargent oder doch der Wirklichkeit entsprungen ist.
Verdrehte, täuschende Wahrnehmungen gehören auch zum Modus Operandi des Serienmörders, der seine Opfer in die Bay von San Francisco wirft. Zuvor hat er sie mit einer Kombination von Opiaten sowohl bewegungsunfähig als auch unerträglich schmerzempfindlich gemacht. Ihre Organe und Muskeln versagen, weil sie vom Widerspruch zwischen maximalem Schmerz und völliger Lähmung zerrissen werden.
Diesem Horror ist Caleb im halblegalen Auftrag des Gerichtsmediziners von San Francisco auf der Spur. Dieser ist Calebs einziger Freund seit der Jugendzeit und war einst Zeuge seines zweimonatigen Verschwindens, als er zwölf Jahre war.

Absinth und schwarze Romantik

Jonathan Moore zeigt uns in seinem ersten auf Deutsch veröffentlichten Kriminalroman „Poison Artist“ einen hochintelligenten, zerrissenen Wissenschaftler, versunken in Einsamkeit, bedroht von Budgetstreichungen und verwickelt in eine Mordserie, vor allem aber bis zur Selbstzerstörung verliebt in seine Absinthkönigin.
Im Nebel San Franciscos verschwimmen die Konturen: Ist etwa die rätselhafte Emmeline die gesuchte Serienmörderin? Kann sich Caleb ihrer süchtig machenden Aura entziehen? Oder ist er gar selbst Überlebender einer dämonischen Familie?
Man fühlt sich in diesem Roman zurückversetzt in die schwarze Romantik Edgar Allen Poes und zugleich hineingezogen in den Malstrom eines modern orchestrierten magischen Realismus. Ein Buch, wie im Drogenrausch schwankend zwischen kristallener Klarheit und düsterem Wahn. In jedem Fall eine Entdeckung.
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