Das Interview mit den englischen Originalantworten hören Sie hier:
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"In fünf Jahren sind die meisten Deutschen Vegetarier"
17:59 Minuten
Der Schriftsteller Jonathan Safran Foer fordert in seinem neuen Buch "Wir sind das Klima", weitestgehend auf tierische Produkte zu verzichten. Doch im Interview äußert er auch Verständnis für diejenigen, die das nicht komplett schaffen.
Was der Verstand weiß und was das Herz fühlt, sind zwei unterschiedliche Dinge, sagt Jonathan Safran Foer. Der Verstand sage, dass es den Klimawandel gebe. Das Herz ist aber noch nicht überzeugt.
"Ich bin selbst das beste Beispiel dafür", sagt Foer, "ich beschäftige mich seit zehn Jahren mit dem Klimawandel, ich sehe mir Dokumentationen an, ich höre Podcasts darüber und ich fühle mich wohl, wenn ich zu Demonstrationen gehe. Auf Partys rede ich auch beim Abendessen darüber. Und trotzdem tue ich täglich Dinge, die gegen mein intellektuelles Wissen darüber verstoßen."
Unser Verhalten muss sich ändern
Wir haben die Informationen und dennoch täten wir nichts, so Foer. Die Wissenschaft sei sich einig, dass die Menschen vier Dinge in ihrem Verhalten ändern müssten, um den Klimawandel aufzuhalten.
Erstens müssten sie weniger Tierprodukte konsumieren, zweitens weniger fliegen, drittens vollständig auf das Auto verzichten und viertens weniger Kinder bekommen - wegen der Überbevölkerung.
Die meisten dieser Punkte könnten wir nur schwer ändern, sagt Foer, denn 85 Prozent der Menschen brauchten nun mal ihr Auto, um zur Arbeit zu kommen. Die meisten Städte seien so angelegt, dass man dort nur mit dem Auto vorankomme.
Auch die Hälfte aller Flüge habe nichts mit Urlaub zu tun. Menschen seien oft auf das Flugzeug angewiesen und auch das Bevölkerungswachstum finde hauptsächlich in Regionen der Erde statt, wo es dafür gute Gründe gebe.
Verzicht auf tierische Produkte hilft dem Klima
Nur eines dieser vier Dinge könnte jeder von uns sofort umsetzen: Niemand sei gezwungen Tierprodukte zu essen. Im Restaurant oder im Supermarkt hätten wir die Wahl, und es sei sogar preiswerter, weniger Fleisch zu essen, sodass es auch wirtschaftliche Gründe gebe, Tierprodukte zu meiden.
"Ich sage gar nicht, dass wir alle vier Dinge erfüllen müssen", sagt Foer, "aber wenn wir von allem etwas weniger täten, würde das helfen. Und wir müssen uns viel mehr ins Zeug legen als die Generation unserer Eltern oder Großeltern."
Ende 2018 habe es eine Studie gegeben, erzählt Foer, in der es um das Verhältnis zwischen dem Klimawandel und unseren Ernährungsgewohnheiten ging. Und da sei klar gesagt worden, dass die Menschen in den Regionen, in denen Hunger herrsche, zum Beispiel in Afrika oder Teilen Asiens, ruhig etwas mehr Fleisch essen sollten. In Europa und Nordamerika aber sollten wir 90 Prozent weniger Fleisch essen und 60 Prozent weniger Milchprodukte.
Foer selbst habe sich zwar nicht vorgenommen, vegan zu leben, wolle aber zum Frühstück und zum Mittag auf Tierprodukte verzichten und wenn überhaupt, dann nur zum Abendessen solche Lebensmittel zu sich zu nehmen. Seit seinem 9. Lebensjahr lebe er vegetarisch, wobei es auch immer Phasen gegeben habe, in denen er schwach geworden sei und mal einen Hamburger gegessen habe, einfach weil er Lust darauf hatte.
Es sei wichtig, sich selbst und seine Identität dabei nicht aufzugeben. Man dürfe sich selbst dabei nicht überbewerten. "Wir müssen uns immer fragen, was tut der Welt gut?"
Wenn jemand, der regelmäßig Fleisch gegessen habe, jetzt nur noch alle fünf Wochen einmal Fleisch esse, dann sei das ein Erfolg. Selbst wenn er nur einmal pro Woche Fleisch isst, ist das immernoch ein Erfolg.
Weder als Mensch noch als Aktivist gescheitert
Die Falle, in die wir zu tappen drohen, ist Foer zufolge, dass wir narzisstisch werden und nur an uns selber denken und nicht an das, was es letztendlich für die Welt bedeute:
"Wenn ich an meine Ernährung denke, dann nehme ich mir zwar vor, Tierprodukte nur zum Abendessen zu mir zu nehmen. Wenn ich dann aber am Morgen doch mal Quark auf meinem Bagel esse, dann ist das eben so. Dann habe ich trotzdem nicht das Gefühl, dass ich als Mensch oder Aktivist gescheitert bin."
Foer propagiert einen radikalen Wandel. Dass der gelingen könne, zeige das Beispiel, dass man früher während eines Fluges noch rauchen durfte, was heute unvorstellbar sei.
Ob dieser Wandel auch bei der Ernährung denkbar sei, wisse er selber nicht. In zehn Jahren würden wir vielleicht zurückblicken und uns fragen, wie es möglich war, dass wir Tiere jemals so behandelt haben.
In fünf Jahren lebt die Mehrheit vegetarisch
Heute würden wir uns ja auch fragen, wie es mal möglich war, dass wir Frauen so wenige Rechte zugestanden haben oder wie es mal möglich war, dass wir Menschen mit anderer Hautfarbe rassistisch ausgegrenzt haben. "Und ich denke, dieselbe Frage wird man sich in einigen Jahren auch über Tierhaltung stellen", sagt Foer.
"Ich bin mir sicher, dass bereits in fünf Jahren die Mehrheit der Deutschen oder Amerikaner Vegetarier sein werden", mutmaßt Foer. Es gebe eine Diskrepanz zwischen unserer Identität und unseren Gewohnheiten.
"Ich weiß nicht, ob sich unsere Identität ändern wird, aber unsere Gewohnheiten werden sich ganz bestimmt ändern."
(nh)