Joni Mitchell wird 80
Wurde als „Yang zu Bob Dylans Yin“ bezeichnet: Joni Mitchell (Archiv, 2020). © picture alliance / ZUMAPRESS.com / Scott Mitchell
Meisterin des Songwriting
Die kanadische Singer-Songwriterin Joni Mitchell gilt als Ikone der Woodstock-Generation und machte Popmusik zur Kunstform. Ihr Einfluss auf die Musik und das Musik-Business wirkt bis heute.
Lebende Legende, Meisterin des Songwritings, Folk-Ikone: Wenige Musiker haben so viel Lobpreisungen erfahren wie die kanadische Singer-Songwriterin Joni Mitchell. Bis heute inspiriert sie junge Künstler, wurde aufgenommen in die "Rock & Roll" Hall of Fame und mit einem Grammy für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Das Leben hielt aber auch manche schwere Prüfung für sie bereit.
Überblick
Eine wandelbare Künstlerin, ein wechselvolles Leben
Joni Mitchell wird am 7. November 1943 als Roberta Joan Anderson in Fort Macleod in der kanadischen Provinz Alberta geboren. Die Mutter arbeitet als Lehrerin, der Vater ist Lebensmittelhändler. Im Alter von neun Jahren steckt das Mädchen sich mit Kinderlähmung an. Ob sie je wieder laufen kann, weiß im Krankenhaus zu diesem Zeitpunkt niemand. Doch die Krankheit verläuft vergleichsweise glimpflich: Joni behält eine Muskelschwäche in der linken Hand zurück, später wird sie deshalb bestimmte Akkorde auf der Gitarre nicht greifen können.
Bevor Joni sich ganz der Musik verschreibt, studiert sie in ihrer Heimat zunächst kommerzielle Kunst. Sie wird schwanger, gibt das Neugeborene aber zur Adoption frei. Erst sieben Jahre später trifft sie ihre Tochter wieder.
Im Jahr 1964 zieht die junge Joni nach Toronto – und tritt in lokalen Folk-Clubs und Kaffeehäusern als Musikerin auf. Dort lernt sie auch ihren späteren Mann, den Folksänger Chuck Mitchell, kennen. Doch ihre Ehe hält nicht lange. Bald nach der Scheidung zieht sie nach New York City. Hier veröffentlicht sie Ende der 60er-Jahre ihr Debütalbum „Songs to a Seagull“.
Das Konzeptalbum wird zwar für die Reife seiner Texte gefeiert – der große Durchbruch bleibt aber noch aus. 1969 spielt Mitchell erstmals auf dem Newport Festival in Rhode Island. Das Magazin „Cash Box“ notiert damals: „Sie ist auf dem Weg, ein Star zu werden“.
„Cash Box“ liegt mit der Prognose goldrichtig. Mit jedem weiteren Album blüht Mitchells Karriere weiter auf – von „Clouds“ (1969), für das sie mit einem Grammy ausgezeichnet wird, bis zu „Blue“ (1971), das sich millionenfach verkauft.
Mitte der 70er-Jahre betritt die Singer-Songwriterin neues Terrain, beginnt mit Pop, Rock und Jazz zu experimentieren. Das musikalische Wagnis zahlt sich aus: „Court and Spark“ (1974) wird zu Mitchells meistverkauftem Album. Sie erlebt nun die größte Popularität ihrer Laufbahn. Doch erneut klammert sich die Singer-Songwriterin nicht an ihren Erfolg: Ende der 70er zieht sie sich weiter aus der Popwelt zurück und wendet sich dem Jazz zu.
Mitchell bleibt auch dabei nicht stehen: In den 80er-Jahren macht sie kunstvolle, anspruchsvolle Rockmusik. Einen großen Erfolg bescheren ihr noch einmal die Platten „Turbulent Indigo“ (1994) und „Both Sides Now“ (2000), die beide mit einem Grammy prämiert werden. 2002 verkündet Joni Mitchell das Ende ihrer Karriere. Sie verabschiede sich vom Musikgeschäft, erklärt die Kanadierin, zieht sich zurück in ihr Haus und malt.
Ganz ablassen von der Musik kann Mitchell dann aber doch nicht. Bis heute lädt sie Freunde zu Jam-Session in ihr Zuhause ein – zuletzt unter anderem Sängerin und Schauspielerin Bette Midler, wie sie dem „Interview Magazine“ verriet. 2015 erleidet Mitchell ein Gehirnaneurysma. Unterkriegen läßt sie sich auch davon nicht. Sie halte sich mit Wandern fit, sagte sie dem Magazin.
Inspiration für viele Musiker
Joni Mitchell nimmt einen wichtigen Platz in der Geschichte der Popmusik ein. Man hat sie als „Yang zu Bob Dylans Yin“ bezeichnet, und sie gilt als bedeutende Persönlichkeit der „Generation Woodstock“. Berühmt wurde Mitchell durch Hits wie „Big Yellow Taxi“ und „Woodstock“, doch die Musikerin wird auch als anspruchsvolle Konzeptkünstlerin gewürdigt. „Musik soll nicht sofort greifen. Sie soll ein Leben lang halten, wie ein feiner Stoff“, sagte sie einmal.
Bis heute ist der Einfluss der Kanadierin auf die Popmusik ungebrochen, meint die Musikjournalistin Eva Garthe. „Joni Mitchell war immer eine musician’s musician, also eine Musikerin, die gerade auch von anderen Musikern hochgeschätzt wird“, sagt Garthe. „Meist merkt man das daran, dass sich andere Singer-Songwriter stilistisch bei ihr bedienen, dass sie mitunter auch in Anspielungen in Songtexten auftaucht.“
Oft würden Musiker Joni Mitchell auch als Vorbild nennen, darunter etwa Rufus Wainwright oder Taylor Swift. Und nicht zuletzt werden ihre Songs noch heute von jungen Musikern aufgenommen und gecovert, so die Expertin.
Ein Grund, warum Mitchell viele, gerade auch junge Künstler inspiriert, dürfte ihre große Wandelbarkeit sein. Die Musikerin erfand sich ständig neu und hatte ihren eigenen Kopf: „Sie hat sich nur der Musik verpflichtet gefühlt, ist immer ihren eigenen Weg gegangen, und hat einfach gemacht, was sie wollte“, sagt Garthe. Mitchell sei dabei „absolut furchtlos“ gewesen. „Ihr ging es nicht darum, ihre frühen Erfolge zu wiederholen oder gar zu toppen. Die Plattenverkäufe schienen ihr über weite Strecken herzlich egal zu sein. Ihr ging es in erster Linie um künstlerische Freiheit und Integrität.“
Eine herausragende Songwriterin
Dabei machte Joni Mitchell Popmusik zur Kunstform. Ihre Texte gelten als fein ausgearbeitet, dazu komponierte sie oft anspruchsvolle Melodien. Die Musikjournalistin Eva Garthe hält Joni Mitchells Können als Songwriterin für herausragend: „Da geht es darum, wie sie an Melodien und Akkorden gefeilt hat. Dazu ihre genialen Arrangements und die sehr poetischen Texte. Eigentlich alles an Joni Mitchells Songs hat Raffinesse und Eleganz. Sie hat die Verfeinerung des Songwritings auf die Spitze getrieben, und ihr herausragendes Handwerk dann natürlich gepaart mit diesem kreativen Funken und mit ihrem absoluten Mut zur Originalität.“
Auch seien die Themen, über die Mitchell singe, immer noch relevant. Einer ihrer bekanntesten Songs, „Big Yellow Taxi“, ist mittlerweile ein Klassiker des musikalischen Umweltaktivismus.
Vorbild für Frauen im Musikbusiness
Joni Mitchell war uns ist insbesondere für Frauen im Musikbusiness ein Vorbild, glaubt Eva Garthe. „Zu der Zeit als Joni Mitchell angefangen hat, Songs zu schreiben, hatte man als Frau im Musikbusiness nicht viel zu lachen“, sagt die Musikjournalistin. „Frauen sollten singen und gut aussehen, aber nicht unbedingt eigene Songs schreiben. Männer galten gemeinhin als die besseren Songwriter. Joni Mitchell hat von Anfang an darauf gepfiffen und ihre eigenen Songs geschrieben. Aber nicht nur das: Sie ist auch auf allen ihren Platten als Produzentin, oft als alleinige Produzentin vermerkt – ein absolutes Novum. Und sie hält die Rechte an allen ihren Songs.“
Obwohl sie sich so emanzipierte, wollte Mitchell sich selbst nie als Feministin bezeichnen. Für Eva Garthe schmälert das aber nicht ihren Einfluss auf die Geschlechterbeziehungen in der Popmusik. Mitchells Vorbild werde auch heute noch gebraucht, glaubt Garthe. Das Musikbusiness sei noch immer eine Männerdomäne ohne echte Chancengleichheit.
tmk