Jorge Luis Borges, der blinde Weltreisende
Jorge Luis Borges, einer der Größten der lateinamerikanischen Literatur, unternahm lange Zeit nur literarische Reisen in seiner Bibliothek. Doch in seinem letzten Lebensjahrzehnt reiste er wirklich durch die Welt, zusammen mit seiner langjährigen Sekretärin und späteren Frau María Kodama. Eine Ausstellung mit 130 Fotos und Texten von Borges dokumentiert diese Reisen.
Jorge Luis Borges, der argentinische Weltgeist, war ein Reisender par excellence. Dazu musste er noch nicht einmal Buenos Aires verlassen, denn er reiste am liebsten durch die Bibliothek, durch den literarischen Kosmos: die Vielzahl von Sprachen und Literaturen, die er sich aneignete und seinen Leser vermittelte.
Bei einem Kongress über isländische Literatur lernte er María Kodama kennen, die Begleiterin, die ihn nach dem Tod der Mutter in seinem letzten Lebensjahrzehnt umsorgte, die Vorleserin, die dem inzwischen blinden Seher neue Bücher erschloss, die Fremdenführerin, die ihm die Welt erklärte, die er als Hochbetagter nun doch erfahren wollte.
Auf 130 Fotos, Schnappschüssen von María Kodama und anderen, sehen wir die zwei, beispielsweise vor den Pyramiden von Gizeh, sie hoch zu Kamel und er etwas ängstlich das Tier streichelnd: Borges, den seine Leser nur als leidenschaftlichen Spaziergänger von Buenos Aires kennen, hier in der Wüste. Und daneben ein Text von María Kodama.
"Die Wüste war die Schlacht von Omdurman und Lawrence und die Mystik der Stille, bis zu jener Nacht, in der Sie mir dicht bei den Pyramiden ein Reich der Worte anboten, die Wüste veränderten und mir enthüllten, dass der Mond mein Spiegel sei."
Es ist der einzige Text von ihr unter den vielen von Borges, welche die Fotogruppen als indirekte Kommentare begleiten. María Kodama:
"Borges wollte unbedingt eine Nacht in der Wüste verbringen. Wir haben dabei ziemlich gefroren. Dennoch war dies ein Moment von großer Magie. Die Töne und die Musik, die der Wind von weither zu uns trug. Und dann Borges, der Gedichte zitierte. Das war außergewöhnlich. Mit Borges zusammen zu sein, war immer etwas Besonderes. Danach habe ich den Text verfasst, so wie ich auch Erzählungen schreibe."
Es sind sehr persönliche Aufnahmen von Jorge Luis Borges, dessen Privatleben sich weitgehend im Verborgenen abgespielt hat. Hier sehen wir ihn nun im Heißluftballon davonschweben, glücklich zu María lächelnd, während ihr das Gefährt nicht ganz geheuer erscheint.
Und dann stößt der Betrachter auf ein rätselhaftes Foto: Borges mit Maske, eine Wolfsfratze übergestülpt, unter dem Kopf der Katze daneben muss sich María Kodama verbergen. Wie kam es dazu, dass der Intellektuelle, der uns immer ganz seriös erschienen ist, sich plötzlich maskiert?
Kodama: "Wir besuchten am Halloween-Tag eine Universität in den USA. Der Rektor hatte uns schon auf dem Flughafen als Batman verkleidet empfangen. Am Abend gab es eine Tanzveranstaltung, an der man nur kostümiert teilnehmen durfte. Er suchte sich diesen Wolfskopf aus. Und dann betrat er den Saal und rief mit tiefer Stimme auf lateinisch: 'Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf'."
Es sind berührende Fotos, die ihn vor mexikanischen Pyramiden, in japanischen Gärten oder angesichts arabischer Dekors zeigen, stets geleitet von María Kodama. Aber es fällt auch eine andere Stütze seines Lebens in den Blick: der Spazierstock, den der als 50-jähriger Erblindete ständig mit sich führte. Wie hat Jorge Luis Borges die Blindheit und die Reisen bewältigt?
"Er kannte zum Beispiel Europa. Und ich habe ihm die neuen Orte beschrieben, die wir gemeinsam entdeckten. Als ich ihn mit 16 Jahren kennenlernte, da konnte er noch meine Umrisse, überhaupt Formen erkennen. Später hat er nur noch hell und dunkel unterscheiden können, weshalb ich mich viele Jahre lang weiß gekleidet habe."
Auf einem anderen Bild sitzt er in der Nationalbibliothek, die er einst leitete, umgeben von hoch getürmten Bücherregalen, die auf ihn einzustürzen drohen, und wir erinnern uns des Gedichtes, das er schrieb, als er 1955, fast erblindet, zum Bibliotheksdirektor ernannt wurde:
"Mit Tränen, Hadern feilsche niemand ab
ein Gran von Gottes planendem Genie,
da er mir, groß in seiner Ironie,
die Bücher und die Nacht zu leben gab."
Jorge Luis Borges hat wunderbare Gedichte und Erzählungen über Buenos Aires verfasst, seine Heimatstadt. Aber sterben wollte er in Genf, wo er als Jugendlicher gelebt und sein Abitur gemacht hat.
Kodama: "Dort hat er vor allem auch die deutsche Sprache entdeckt und sich beigebracht mit Hilfe eines Wörterbuchs und eines Bandes mit Heine-Gedichten. Und überhaupt die ersten literarischen Entdeckungen seines Lebens gemacht. Als er wusste, dass er bald sterben müsste, wählte er Genf, wo er in seiner Jugend glücklich war, und weil er keinesfalls wollte, dass sich seine Agonie in ein öffentliches Spektakel verwandeln und vielleicht auch noch sein letzter Seufzer auf einer Kassette festgehalten würde."
In Genf starb der geniale Dichter 1986, und hier liegt er - auf eigenen Wunsch - begraben. Fotos von der Stadt am Genfer See erinnern daran. Rund 20 Orte auf 4 Kontinenten hat der blinde Poet mit seiner Wegbegleiterin im letzten Jahrzehnt seines Lebens aufgesucht. Dabei ist Der Atlas von Borges entstanden, die Materialgrube dieser Ausstellung: ein Foto-Band mit Reflexionen und Assoziationen über Zeit und Raum anhand dieser Entdeckungsreisen, seiner späten Erfahrung der Welt.
Bei einem Kongress über isländische Literatur lernte er María Kodama kennen, die Begleiterin, die ihn nach dem Tod der Mutter in seinem letzten Lebensjahrzehnt umsorgte, die Vorleserin, die dem inzwischen blinden Seher neue Bücher erschloss, die Fremdenführerin, die ihm die Welt erklärte, die er als Hochbetagter nun doch erfahren wollte.
Auf 130 Fotos, Schnappschüssen von María Kodama und anderen, sehen wir die zwei, beispielsweise vor den Pyramiden von Gizeh, sie hoch zu Kamel und er etwas ängstlich das Tier streichelnd: Borges, den seine Leser nur als leidenschaftlichen Spaziergänger von Buenos Aires kennen, hier in der Wüste. Und daneben ein Text von María Kodama.
"Die Wüste war die Schlacht von Omdurman und Lawrence und die Mystik der Stille, bis zu jener Nacht, in der Sie mir dicht bei den Pyramiden ein Reich der Worte anboten, die Wüste veränderten und mir enthüllten, dass der Mond mein Spiegel sei."
Es ist der einzige Text von ihr unter den vielen von Borges, welche die Fotogruppen als indirekte Kommentare begleiten. María Kodama:
"Borges wollte unbedingt eine Nacht in der Wüste verbringen. Wir haben dabei ziemlich gefroren. Dennoch war dies ein Moment von großer Magie. Die Töne und die Musik, die der Wind von weither zu uns trug. Und dann Borges, der Gedichte zitierte. Das war außergewöhnlich. Mit Borges zusammen zu sein, war immer etwas Besonderes. Danach habe ich den Text verfasst, so wie ich auch Erzählungen schreibe."
Es sind sehr persönliche Aufnahmen von Jorge Luis Borges, dessen Privatleben sich weitgehend im Verborgenen abgespielt hat. Hier sehen wir ihn nun im Heißluftballon davonschweben, glücklich zu María lächelnd, während ihr das Gefährt nicht ganz geheuer erscheint.
Und dann stößt der Betrachter auf ein rätselhaftes Foto: Borges mit Maske, eine Wolfsfratze übergestülpt, unter dem Kopf der Katze daneben muss sich María Kodama verbergen. Wie kam es dazu, dass der Intellektuelle, der uns immer ganz seriös erschienen ist, sich plötzlich maskiert?
Kodama: "Wir besuchten am Halloween-Tag eine Universität in den USA. Der Rektor hatte uns schon auf dem Flughafen als Batman verkleidet empfangen. Am Abend gab es eine Tanzveranstaltung, an der man nur kostümiert teilnehmen durfte. Er suchte sich diesen Wolfskopf aus. Und dann betrat er den Saal und rief mit tiefer Stimme auf lateinisch: 'Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf'."
Es sind berührende Fotos, die ihn vor mexikanischen Pyramiden, in japanischen Gärten oder angesichts arabischer Dekors zeigen, stets geleitet von María Kodama. Aber es fällt auch eine andere Stütze seines Lebens in den Blick: der Spazierstock, den der als 50-jähriger Erblindete ständig mit sich führte. Wie hat Jorge Luis Borges die Blindheit und die Reisen bewältigt?
"Er kannte zum Beispiel Europa. Und ich habe ihm die neuen Orte beschrieben, die wir gemeinsam entdeckten. Als ich ihn mit 16 Jahren kennenlernte, da konnte er noch meine Umrisse, überhaupt Formen erkennen. Später hat er nur noch hell und dunkel unterscheiden können, weshalb ich mich viele Jahre lang weiß gekleidet habe."
Auf einem anderen Bild sitzt er in der Nationalbibliothek, die er einst leitete, umgeben von hoch getürmten Bücherregalen, die auf ihn einzustürzen drohen, und wir erinnern uns des Gedichtes, das er schrieb, als er 1955, fast erblindet, zum Bibliotheksdirektor ernannt wurde:
"Mit Tränen, Hadern feilsche niemand ab
ein Gran von Gottes planendem Genie,
da er mir, groß in seiner Ironie,
die Bücher und die Nacht zu leben gab."
Jorge Luis Borges hat wunderbare Gedichte und Erzählungen über Buenos Aires verfasst, seine Heimatstadt. Aber sterben wollte er in Genf, wo er als Jugendlicher gelebt und sein Abitur gemacht hat.
Kodama: "Dort hat er vor allem auch die deutsche Sprache entdeckt und sich beigebracht mit Hilfe eines Wörterbuchs und eines Bandes mit Heine-Gedichten. Und überhaupt die ersten literarischen Entdeckungen seines Lebens gemacht. Als er wusste, dass er bald sterben müsste, wählte er Genf, wo er in seiner Jugend glücklich war, und weil er keinesfalls wollte, dass sich seine Agonie in ein öffentliches Spektakel verwandeln und vielleicht auch noch sein letzter Seufzer auf einer Kassette festgehalten würde."
In Genf starb der geniale Dichter 1986, und hier liegt er - auf eigenen Wunsch - begraben. Fotos von der Stadt am Genfer See erinnern daran. Rund 20 Orte auf 4 Kontinenten hat der blinde Poet mit seiner Wegbegleiterin im letzten Jahrzehnt seines Lebens aufgesucht. Dabei ist Der Atlas von Borges entstanden, die Materialgrube dieser Ausstellung: ein Foto-Band mit Reflexionen und Assoziationen über Zeit und Raum anhand dieser Entdeckungsreisen, seiner späten Erfahrung der Welt.