Josef Kraus: Der PISA Schwindel
Die vorgezogene Veröffentlichung der wichtigsten Ergebnisse des Pisa-Ländervergleichs kann Josef Kraus, dem vor kurzem im Amt bestätigten Präsidenten des Lehrerverbandes, eigentlich nur recht sein. Denn sein neues Buch mit dem provokativen Titel "Der Pisa Schwindel" dürfte all diejenigen interessieren, die einen Vergleich der neuen Daten mit der letzten Pisa-Studie suchen und jegliche Pisa-Hysterie satt haben. Doch Kraus bietet mehr als Hintergrundwissen.
Akribisch hat er die Pisa-Berichte anderer Länder studiert – etwa die österreichische Auswertung. So hat der Schulleiter, Deutsch- und Sportlehrer mit psychologischer Zusatzausbildung aus Bayern auch den finnischen Pisa-Erfolg entzaubert. Denn in der deutschen Auswertung der internationalen Ergebnisse von Pisa 2003 wird verschwiegen, dass selbst die Integration der wenigen Migrantenkinder in Finnland nicht gelingt. Der Rückstand gegenüber den einheimischen finnischen Kindern liegt bei nahezu zwei Schuljahren, in Deutschland etwa bei einem Schuljahr. Während in Deutschland aber bei 15,2 Prozent der Jugendlichen beide Eltern im Ausland geboren sind, sind es in Finnland nur 1,2 Prozent, das war im deutschen Bericht leider nicht zu lesen.
So berechtigt Kraus’ differenzierter Blick auf Finnland sein mag, so wenig nachvollziehbar ist seine Fixierung auf bayerische Ergebnisse – natürlich liegt Bayern an der Spitze, aber es gibt glücklicherweise noch andere Länder, die etwa in der Integration ausländischer Kinder noch besser abgeschnitten haben, allen voran Baden-Württemberg. Hier ist es ihm nicht immer gelungen, seinen Drahtseilakt zwischen Pisa-Skepsis und gleichzeitiger Bestätigung für süddeutsche Schulpolitik zu vollführen. Unzutreffend ist seine weiß-blaue Euphorie allerdings nicht – den neuen Ländervergleich konnte Kraus schließlich noch gar nicht kennen, als er sein Buch schrieb und feststellte:
"Bayern kann also international mithalten. Dabei haben die Bayern nicht allein deshalb so gut abgeschnitten, weil sie gute, angeblich "selektierte" Gymnasiasten haben, sondern weil Bayerns Hauptschüler und Realschüler ausgesprochen gut dastehen. Der innerdeutsche Vorsprung der Bayern reicht sogar so weit, dass Bayern ohne seine – fiktiv aus Pisa heraus gerechneten – Gymnasiasten bundesweit … etwa auf der Höhe von NRW inklusive dessen Gymnasiasten" stünde. "
Wider alle ideologischen Mutmaßungen der Gewerkschaft "Erziehung und Wissenschaft" (GEW) scheint ein dreigliedriges Schulsystem mit starken Schulformen in der Tat ein Garant für gute und anspruchsvolle Ergebnisse zu sein. Das bestätigt der neue Ländervergleich.
Umso mehr geht es Kraus darum, die Legenden um Gesamt-, Einheits-, Gemeinschafts- oder Ganztagsschulen zu entzaubern. Schon längst ist die Gesamtschule entlarvt als Schulform, die nicht nur in den Leistungen, sondern auch im Sozialverhalten anderen Schularten hinterherhinkt. Doch eine Studie, die das schon in den siebziger Jahren belegte, verschwand in den Schubladen der zuständigen Behörden, weil sie nicht mit der damaligen Schulpolitik in Einklang zu bringen war. Das geschähe nach Pisa nicht mehr.
Es gehört zu den großen Verdiensten dieses Buches, sämtliche aussagefähigen, häufig kaum von der Öffentlichkeit wahrgenommenen Schulstudien auch aus einzelnen Bundesländern verarbeitet und überblicksartig vorgestellt zu haben. Wer sich also im Wald der Abkürzungen von Markus, Desi, Vera, Tosca nicht mehr zurechtfindet, wird bei Kraus auf zwei Seiten die nötigen Erklärungen mit kurzer Charakteristik finden. Aufgrund seines psychologischen Zusatzstudiums gehört er zu denjenigen, die sich auch von keiner Statistik blenden lassen.
Allerdings geht an einigen Stellen auch der Psychologe mit dem Lehrer durch. So nahe liegend es ist, die typisch deutsche Hysterie im Umgang mit Schulleistungsstudien sowie den ausgeprägten Masochismus sowie die unausrottbare Lust am Schlechtreden der deutschen Schüler aufs Korn zu nehmen, so fragwürdig ist das Kapitel über "Pisa und die Psychopathologie real existierender Schulpolitik". Neben Amnesie, Autismus, Autoaggression und weiteren Krankheitsformen attestiert Kraus dem deutschen Nationalcharakter auch "Megalomanische Machbarkeitsvisionen":
"Schulpolitische Zukunftskongresse werden schier sakral abgehalten wie Hochämter. …Legion sind die erleichterungspädagogischen Mega-Versprechungen: Bessere Noten durch weniger Druck; weniger Durchfaller sowie mehr und bessere Abiturienten durch kürzere Schulzeit. "
Indessen hat Kraus Recht mit seinem Zweifel an der Aussagefähigkeit der Pisa-Studien über den Bildungsstand der 15 Jahre alten Schüler. In der Tat testet Pisa nicht Bildung oder Tauglichkeit für die Wissensgesellschaft, wohl aber die Voraussetzungen für den Erwerb solcher Bildung.
Seine Vorschläge für schulpolitische Lösungen der durch Pisa hervorgetretenen Defizite sind um so lesenwerter: Kraus warnt davor, die Lösung über eine andere Schulstruktur zu suchen und er erinnert zu Recht an das berufliche Bildungssystem in Deutschland:
"Der Qualitätsanspruch der beruflichen Schulen steht und fällt mit der Unterrichtsversorgung bzw. mit ihren Möglichkeiten, eine Schülerschaft differenziert zu beschulen, die vom ehemaligen Sonderschüler bis hin zum ehemaligen Spitzengymnasiasten reicht…. Das heißt, die beruflichen Schulen bräuchten im Grunde jetzt schon zusätzliche Stunden, um Vorbildungsdefizite zu kompensieren."
Ähnlich überzeugend ist auch ein Hinweis auf die vorantreibende Kraft eines ausgeprägten föderalen Wettbewerbs. Was viele Länder nicht glauben wollten, hat sich auch beim zweiten Ländervergleich bestätigt: Jedes Land bemüht sich, besser zu werden. Bestätigt ist auch die These des Autors, dass Zentralprüfungen sich leistungsfördernd auswirken. Die von den Kultusministern beschlossenen Standards haben nur dann Sinn, wenn sie durch Zentralprüfungen flankiert werden, sowie Kerncurricula bleiben. Kraus wettert gegen die Preisgabe der Inhalte zugunsten der Beliebigkeit – und zwar mit dem überzeugenden Argument, dass nur so die viel gepriesene kulturelle Identität gebildet werden kann.
Bei seinen schulpolitischen Schlussfolgerungen zeigt sich der erfahrene Lehrer und Schulleiter und hier treffen sich Pragmatismus und Bodenständigkeit aufs angenehmste.
So berechtigt Kraus’ differenzierter Blick auf Finnland sein mag, so wenig nachvollziehbar ist seine Fixierung auf bayerische Ergebnisse – natürlich liegt Bayern an der Spitze, aber es gibt glücklicherweise noch andere Länder, die etwa in der Integration ausländischer Kinder noch besser abgeschnitten haben, allen voran Baden-Württemberg. Hier ist es ihm nicht immer gelungen, seinen Drahtseilakt zwischen Pisa-Skepsis und gleichzeitiger Bestätigung für süddeutsche Schulpolitik zu vollführen. Unzutreffend ist seine weiß-blaue Euphorie allerdings nicht – den neuen Ländervergleich konnte Kraus schließlich noch gar nicht kennen, als er sein Buch schrieb und feststellte:
"Bayern kann also international mithalten. Dabei haben die Bayern nicht allein deshalb so gut abgeschnitten, weil sie gute, angeblich "selektierte" Gymnasiasten haben, sondern weil Bayerns Hauptschüler und Realschüler ausgesprochen gut dastehen. Der innerdeutsche Vorsprung der Bayern reicht sogar so weit, dass Bayern ohne seine – fiktiv aus Pisa heraus gerechneten – Gymnasiasten bundesweit … etwa auf der Höhe von NRW inklusive dessen Gymnasiasten" stünde. "
Wider alle ideologischen Mutmaßungen der Gewerkschaft "Erziehung und Wissenschaft" (GEW) scheint ein dreigliedriges Schulsystem mit starken Schulformen in der Tat ein Garant für gute und anspruchsvolle Ergebnisse zu sein. Das bestätigt der neue Ländervergleich.
Umso mehr geht es Kraus darum, die Legenden um Gesamt-, Einheits-, Gemeinschafts- oder Ganztagsschulen zu entzaubern. Schon längst ist die Gesamtschule entlarvt als Schulform, die nicht nur in den Leistungen, sondern auch im Sozialverhalten anderen Schularten hinterherhinkt. Doch eine Studie, die das schon in den siebziger Jahren belegte, verschwand in den Schubladen der zuständigen Behörden, weil sie nicht mit der damaligen Schulpolitik in Einklang zu bringen war. Das geschähe nach Pisa nicht mehr.
Es gehört zu den großen Verdiensten dieses Buches, sämtliche aussagefähigen, häufig kaum von der Öffentlichkeit wahrgenommenen Schulstudien auch aus einzelnen Bundesländern verarbeitet und überblicksartig vorgestellt zu haben. Wer sich also im Wald der Abkürzungen von Markus, Desi, Vera, Tosca nicht mehr zurechtfindet, wird bei Kraus auf zwei Seiten die nötigen Erklärungen mit kurzer Charakteristik finden. Aufgrund seines psychologischen Zusatzstudiums gehört er zu denjenigen, die sich auch von keiner Statistik blenden lassen.
Allerdings geht an einigen Stellen auch der Psychologe mit dem Lehrer durch. So nahe liegend es ist, die typisch deutsche Hysterie im Umgang mit Schulleistungsstudien sowie den ausgeprägten Masochismus sowie die unausrottbare Lust am Schlechtreden der deutschen Schüler aufs Korn zu nehmen, so fragwürdig ist das Kapitel über "Pisa und die Psychopathologie real existierender Schulpolitik". Neben Amnesie, Autismus, Autoaggression und weiteren Krankheitsformen attestiert Kraus dem deutschen Nationalcharakter auch "Megalomanische Machbarkeitsvisionen":
"Schulpolitische Zukunftskongresse werden schier sakral abgehalten wie Hochämter. …Legion sind die erleichterungspädagogischen Mega-Versprechungen: Bessere Noten durch weniger Druck; weniger Durchfaller sowie mehr und bessere Abiturienten durch kürzere Schulzeit. "
Indessen hat Kraus Recht mit seinem Zweifel an der Aussagefähigkeit der Pisa-Studien über den Bildungsstand der 15 Jahre alten Schüler. In der Tat testet Pisa nicht Bildung oder Tauglichkeit für die Wissensgesellschaft, wohl aber die Voraussetzungen für den Erwerb solcher Bildung.
Seine Vorschläge für schulpolitische Lösungen der durch Pisa hervorgetretenen Defizite sind um so lesenwerter: Kraus warnt davor, die Lösung über eine andere Schulstruktur zu suchen und er erinnert zu Recht an das berufliche Bildungssystem in Deutschland:
"Der Qualitätsanspruch der beruflichen Schulen steht und fällt mit der Unterrichtsversorgung bzw. mit ihren Möglichkeiten, eine Schülerschaft differenziert zu beschulen, die vom ehemaligen Sonderschüler bis hin zum ehemaligen Spitzengymnasiasten reicht…. Das heißt, die beruflichen Schulen bräuchten im Grunde jetzt schon zusätzliche Stunden, um Vorbildungsdefizite zu kompensieren."
Ähnlich überzeugend ist auch ein Hinweis auf die vorantreibende Kraft eines ausgeprägten föderalen Wettbewerbs. Was viele Länder nicht glauben wollten, hat sich auch beim zweiten Ländervergleich bestätigt: Jedes Land bemüht sich, besser zu werden. Bestätigt ist auch die These des Autors, dass Zentralprüfungen sich leistungsfördernd auswirken. Die von den Kultusministern beschlossenen Standards haben nur dann Sinn, wenn sie durch Zentralprüfungen flankiert werden, sowie Kerncurricula bleiben. Kraus wettert gegen die Preisgabe der Inhalte zugunsten der Beliebigkeit – und zwar mit dem überzeugenden Argument, dass nur so die viel gepriesene kulturelle Identität gebildet werden kann.
Bei seinen schulpolitischen Schlussfolgerungen zeigt sich der erfahrene Lehrer und Schulleiter und hier treffen sich Pragmatismus und Bodenständigkeit aufs angenehmste.