Die Ausstellung "Der Erfinder der Elektrizität. Joseph Beuys und der Christusimpuls" ist bis zum 12. September in der St. Matthäus-Kirche in Berlin zu sehen.
Der Moment, in dem jeder Mensch zum Künstler wurde
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Die christliche Ikonografie ist ein wichtiges Thema im Werk von Joseph Beuys – seine religiösen Wurzeln sind unverkennbar. Eine Ausstellung in Berlin untersucht, wie Beuys auf die Idee kam, Christus als den "Erfinder der Elektrizität" zu bezeichnen.
Zu den Orgelklängen des dänischen Fluxus-Künstlers Henning Christiansen richtet Joseph Beuys einen fast 50 Kilogramm schweren Kupferstab auf und angelt mit dem gebogenen Ende nach einer Glühbirne an der Decke. Der Film "Eurasienstab" rauscht seinem Alter entsprechend in der hellen Kirche mit ihrer klaren Architektur.
"Interessant ist, dass der Beuys dem Jesuitenpater Mennekes, der ihn gefragt hat, was würden Sie denn sagen, was Ihr Beitrag zum Christusbild ist, dann sagt der Beuys: Der Erweiterte Kunstbegriff, ganz einfach."
Eugen Blume, der ehemalige Leiter des Hamburger Bahnhof, des Berliner Museums für die Kunst der Gegenwart, hat die luzide Ausstellung "Der Erfinder der Elektrizität" in der Berliner St. Matthäus-Kirche rund um die Frage konzipiert, was Christus mit dem Erweiterten Kunstbegriff zu tun hat. "Jeder Mensch ist ein Künstler", dieser geflügelte Beuys-Satz spricht jedem Menschen die kreative Kraft zu, sein Leben zu verändern.
"Er hat solche Diagrammzeichnungen gemacht, wo er dargestellt hat, wie die geistig-kulturelle Entwicklung der Menschheit ist. Da zeigt er den Moment, wo Christus erscheint, also wo dieser Gottmensch in die Welt kommt. Das ist für ihn ein wesentlicher Umschlag, weil in diesem Augenblick die Person erscheint, also das Individuum, die Ich-Kraft, würde Rudolf Steiner sagen, auf den er sich bezieht."
Christus implantiert die Schöpferkraft
In dem Moment, in dem sich das Individuum aus der Gruppe löst, gewinnt es die Möglichkeit, die Sicht des Einzelnen einzunehmen, sagt Eugen Blume:
"Die Fähigkeit, die Welt analytisch zu betrachten, die kommt mit Christus in die Welt. Er implantiert die Schöpferkraft in den Menschen. Für Beuys, war das der Moment, wo das in jeden eintritt. Das heißt, in diesem Augenblick wird jeder Mensch zum Künstler. Das ist die Verbindung zwischen Christus und dem Erweiterten Kunstbegriff."
Ein Kreuz, eine Kiste und eine Glühbirne, die an eine Zitrone angeschlossen ist, in diesem Dreieck baut Blume die Christus-Vorstellung von Joseph Beuys im Kirchenraum auf. Das kleine Bronzekreuz ähnelt dem Körper einer Biene als Symbol für Leben. Die "Dumme Kiste" vereinbart Technik und Intuition, denn ihre scharfen Kanten sind mit weichem Filz gepolstert. Das berühmte Multiple "Capri-Batterie" zieht elektrische Energie aus der Natur.
"Das heißt, in diesem Licht, in dieser Glühbirne ist dieses Vermögen gezeigt, hocheffiziente Erfindungen in der Gesellschaft zu tätigen, und in der Zitrone ist die andere Seite gezeigt, also die Natur."
Ein unheimlicher Ort
"Der Erfinder der Elektrizität" hat Joseph Beuys einmal auf bunte Votivbildchen von einem erleuchteten Jesus geschrieben, die jetzt neben der Apsis hängen und in ihrer Heiterkeit die Bedrückung abfedern. Denn über dem Altar ist auf einem Bildschirm ein Film vom "Schmerzraum" zu sehen, den Beuys in der Galerie Konrad Fischer eingerichtet hat. Ein unheimlicher Ort mit Wänden aus Blei, darin liegen zwei Ringe aus Silber als Energiefänger. Der Schmerzraum, sagt Pfarrer Hannes Langbein, nimmt die Thematik des Altarraums auf.
"Normalerweise hängt über einem Altar ein Kreuz, möglicherweise ein Kruzifix, also ein Gekreuzigter. Wenn man so will, kann man das Kruzifix als eine Form des Schmerzraumes verstehen, jedenfalls als ein Bild des Leidens."
Die Beuys-Porträts von Lothar Wolleh auf der Empore zeigen den Künstler in ständiger Bewegung. Manchmal huscht er nur als Schatten durchs Bild. Da scheint Beuys schwer zu fassen. Er schöpft gleichermaßen aus Bibel und Naturreligionen. Für seine Anleihen bei Anthroposophie und Mythen ist der Künstler als rückwärtsgewandt attackiert worden.
Alles war für ihn gegenwärtig
"Beuys hat gesagt, ich kenne keinen historischen Abstand", erläutert Eugen Blume. "Für ihn ist das gegenwärtig. Also alles, was die Menschen entwickelt haben und gedacht haben, ist in einem großen gleichzeitigen Raum. Es ist alles immer schon da gewesen und das, was war, ist immer vorhanden."
Gut, dass Friedrich August Stüler die St. Matthäus-Kirche so hoch und geradlinig entworfen hat. Der Raum lässt kein Pathos aufkommen, sondern bietet ausreichend Platz für Witz und Geistesblitze.