Joseph Beuys, die Nazis und die Kunst
War der Avantgarde-Künstler Joseph Beuys den Nationalsozialisten näher als wir bisher dachten? Eine neue Biografie unterstellt ihm zumindest eine "Blut-und-Boden-Gesinnung", die ihn bis weit in die Nachkriegszeit geprägt habe. Der Autor Hans-Peter Riegel liefere für diese These aber "keinerlei Beweise", bemängelt der Kunstkritiker Carsten Probst.
Joachim Scholl: War der Künstler Joseph Beuys ein Mensch, der vom völkischen Gedankengut in der Zeit des Nationalsozialismus geprägt wurde und auch nach 1945 nicht davon lassen mochte? Müssen wir den wohl berühmtesten Avantgarde-Künstler der Bundesrepublik mit neuen Maßstäben messen? Eine neue Biografie sagt entschieden ja zu diesen Fragen: Das Buch des Autors Hans-Peter Riegel ist vorgestern erschienen, hat vorab schon gehörig Aufsehen erregt. Im Studio ist jetzt Carsten Probst, unser Mann für alles Kunstkritische – ich grüße Sie!
Carsten Probst: Hallo, hallo!
Scholl: Jedes Denkmal einer Persönlichkeit fordert es gewissermaßen heraus, dass man es eines Tages stürzt. Ist jetzt das Denkmal Joseph Beuys an der Reihe, Herr Probst?
Probst: Also, ob es jetzt an der Reihe ist, weiß ich nicht. Es hängt ein bisschen von der Perspektive ab. Wenn Sie zum Beispiel sehen, dass der Künstler Jörg Herold um das Jahr 2000 herum bereits schon mal so Recherchen betrieben hat an den Orten an der Krim, wo Beuys ja mit seinem Flugzeug angeblich abgestürzt ist, und dann drum herum auch die ganze Kernlegende, die Beuys ja immer wieder über sich erzählt hat, nachrecherchiert hat, da hat also Jörg Herold schon nachgewiesen, dass diese Legende eigentlich überhaupt nicht stimmen kann, ähnlich wie es jetzt auch Hans-Peter Riegel noch einmal quasi wiederholt.
Und man kann eigentlich sagen, dass dieses Nachrecherchieren von Jörg Herold schon exemplarisch ist für eine jüngere Generation, nicht nur von Künstlern, auch für Kuratoren, die dieser selbstgestrickten Legende von Beuys nicht mehr so ganz auf den Leim gehen. Deswegen, wenn jetzt ein Autor kommt, der das Ganze noch einmal so infrage stellt und sagt, Beuys hat eigentlich seine Biografie zu größeren Teilen selbst erfunden, ist das nichts Neues.
Scholl: Etliches Legendenhafte ist bekannt. Was hat Hans-Peter Riegel tatsächlich Neues zutage gefördert?
Probst: Ich tu mich ein bisschen schwer. Ich habe dieses Buch eigentlich mit großem Interesse gelesen, weil es so akribisch, fast kriminologisch daherkommt mit diesem Zusammensetzen vieler kleiner Indizien zu einer wirklich sehr, sehr langen Indizienkette. Da gibt es so einige Details, die ich auch nicht wusste, zum Beispiel, dass Beuys wahrscheinlich gar keinen Schulabschluss hatte und sich deswegen offiziell gar nicht an der Düsseldorfer Kunstakademie hätte einschreiben dürfen.
Und auch diese Sachen mit den Veteranentreffen aus dem Zweiten Weltkrieg waren mir ehrlich gesagt auch neu, das fand ich auch eine bizarre Vorstellung. Andererseits müssen Sie sehen, es gab ja schon 96 ein Band von einem Autorenduo – Gieseke, Markert –, die, das nannte sich "Flieger, Filz und Vaterland", die auch schon versucht haben, aus dem Werk von Beuys heraus und mit einer großangelegten Recherche in Archiven noch mal nachzuweisen, dass Beuys in der Wolle braun gefärbt war eigentlich, und so eine Art dritten Weg der nationalsozialistischen Kunsterneuerung für die Bundesrepublik angestrebt hat. Und auch das ist damals schon – dieses Projekt – aus Mangel an stichhaltigen Beweisen eigentlich gescheitert.
Scholl: Im Zentrum der aktuellen Kritik steht natürlich dieses Verhalten im Nationalsozialismus und auch im Zentrum der Aufregung, die jetzt wieder erzeugt wurde. Man weiß vom Flieger Beuys, von seiner Faszination für den Krieg als junger Mann, dann vom Abgeschossen-Werden und seiner abenteuerlichen, vermeintlichen Rettung durch Tataren – Sie haben es auch schon erwähnt, Herr Probst. Wir haben gestern in unserer Sendung "Fazit" mit Hans-Peter Riegel ein Interview geführt, und zu Beuys‘ Einstellung nach 1933 hat er folgendes gesagt -
Hans-Peter Riegel: "Beuys hat sich ja, was auch bislang nicht bekannt war, zwölf Jahre zum Militär gemeldet, ohne Not, er hätte das nicht tun müssen. Er ist dort hingegangen, hat sich freiwillig gemeldet, und er ist Berufssoldat geworden. Das heißt, er ist natürlich mit einer durchaus grundsätzlichen Begeisterung für diese Dinge, die in dieser Zeit passiert sind, hingegangen, und hat sich dort unter Einsatz seines Lebens engagiert. Und man muss wissen, damals haben die Menschen gedacht, der Krieg ist schnell zu Ende, Beuys hingegen hat sich für zwölf Jahre verpflichtet. Verstehen Sie, das ist eine Art und Weise der Annahme eines Systems, ein Glaube auch, ein Fortschritt in einem System, dem er sicherlich in einem gewissen Maß angehangen hat."
Scholl: Der Beuys-Biograf Hans-Peter Riegel gestern in unserer Sendung Fazit hier im Deutschlandradio Kultur. Carsten Probst, Hans-Peter Riegel kommt dann zu dem Schluss, dass Joseph Beuys kein Nazi, auch kein Antisemit gewesen sei, aber durch und durch völkisch und vor allem das im Sinne der Anthroposophie Rudolf Steiners. Was meint er denn damit?
Probst: Das ist ein sehr unbefriedigender Teil in dieser Argumentation für mich. Er meint ja zunächst erst mal nicht nur im Sinne Steiners völkisch, sondern im Sinne dieses Zeitgeistes seiner Jugendjahre – Beuys war ja zwischen zwölf und etwa 20 Jahre alt in dieser Phase, was er eben auch sagte in diesem Interview.
Also diese Begeisterung für Krieg und vielleicht auch so ein bisschen für diese Blut-und-Boden-Philosophie, das behauptet zumindest Riegel, sei eigentlich die Basis dafür gewesen, dass sich Beuys nachträglich, nach dem Krieg eigentlich Steiners Philosophie zu eigen gemacht hat, und die Anthroposophie, um das dann künstlerisch zu transformieren, und nennt also … wandelt das so ein bisschen ab, er nennt es bei Steiner eine völkische Esoterik, die dann so vorchristlich geprägten germanisch-keltischen Okkultismus pflegt, der für den Fortschritt der Weltentwicklung bei Steiner ja auch reklamiert wird.
Und Beuys selber hat nun wiederum ja auch immer wieder ganz offen über den Einfluss von Steiner auf sein Werk gesprochen, aber eben dieser eine argumentative Punkt, Beuys habe behauptet, er hätte Steiner schon während des Krieges gelesen, den macht Riegel ihm streitig, allerdings ohne Beweise, muss man dazu sagen. Er vermutet, Beuys habe Steiner erst nach dem Krieg gelesen und das sich dann so zurechtgebaut als eine Art eigene Kunstphilosophie, um dann sein Werk an Steiner ausgerichtet mit dieser Blut-und-Boden-Gesinnung noch einmal fortzuschreiben und das dann sozusagen zu verkappen als künstlerische Erneuerung.
Und das finde ich ziemlich heftig, weil ich sagen muss, dafür bringt er keinerlei Beweise, und ich habe ehrlich gesagt – und wenn man völkische Gesinnung als rechte Gesinnung auffasst – nie, auch wirklich in keinerlei Dokumentationen, in keinerlei Äußerung von Beuys jemals irgendetwas von dieser Einschränkung auf Blut-und-Boden-Ideologie, auf Reinheit des Volksstammes und so weiter gehört. Da werden, glaube ich, verschiedene Dinge durcheinander geworfen, auch in der Hinsicht, was die Traditionen, die Quellen betrifft, auf denen Steiners Anthroposophie beruht.
Scholl: Joseph Beuys in neuer kritischer Sicht, und wir sind im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Kunstkritiker Carsten Probst, der diese kritische Sicht nun kritisiert. Ungute Kontinuitäten nach 1945 herzustellen, öffentlich zu machen, das hat uns viel gelehrt für unsere Demokratie, Herr Probst, und die Biografie von Hans-Peter Riegel geht in dieser Spur zunächst. Wie war das eigentlich, wenn wir es mal wirklich von dieser Seite aus beleuchten, eigentlich in der Kunst. Gab es dort nach 1945 aber nicht auch jene Seilschaften, Verquickungen, die dazu führten, dass alte Nazis und Gesinnungsgenossen einfach weitermachen konnten?
Probst: Klar gab es die. Natürlich schon deshalb, weil ja während des Krieges, während der Nazizeit in Deutschland die ganze künstlerische Avantgarde weg war beziehungsweise auch geflohen oder umgekommen war. Und viele, die dann aus der sogenannten inneren Immigration herauskamen, waren jetzt dann nach dem Krieg in Westdeutschland gefragt, um diesen Kunstbetrieb auch wieder, auch das ganze Kulturleben wieder aufzubauen. Und von denen hatten ja nicht wenige zeitweilig auch mitgetan im Dritten Reich, teilweise weil sie mussten, weil sie die Karriere retten wollten.
Also man kann das nicht alles über einen Kamm scheren, und gerade die Forschung in den letzten zwei, drei Jahrzehnten hat meines Erachtens sehr stark zu Differenzierungen beigetragen für die jeweiligen Einzelschicksale. Sie widmen sich immer Einzelschicksalen, und das kommt mir hier bei Riegel auch etwas zu kurz, weil er einerseits behauptet, er würde sich explizit auf die Beuys-Biografie beziehen, aber in seinen Schlussfolgerungen wird er dann plötzlich wieder sehr allgemein.
Scholl: Im alternativ-kritischen Milieu der Bundesrepublik wurde Beuys spätestens so ab den 80er-Jahren ja schon zu einer Art Heiligenfigur mit seiner offenen Kritik, mit seinen Auftritten. Wie würden Sie sagen, wie stark hat dieses Image seine Rezeption beeinflusst, und muss man von daher vielleicht auch jene Aufregung jetzt sehen, die Hans-Peter Riegels Interpretation in der Presse erzeugt, dass also hier jetzt von einem längst fälligen Sturz oder Denkmalsturz die Rede ist?
Probst: Ja, er hat ja sehr, sehr stark polarisiert, jetzt nicht nur als öffentliche Figur allgemein, also in einem weiteren Publikumskreis, wo er ja auf viel Unverständnis auch gestoßen ist, sondern diese Polarisierungen wirken innerhalb des Kunstbetriebes sicherlich immer noch ein bisschen nach.
Ich würde gern mal als Beispiel Norbert Kricke nennen, also seinen wichtigsten Gegenspieler eigentlich in der Düsseldorfer Zeit, der Akademiedirektor damals, der ja maßgeblich mit dafür gesorgt hat, dass Beuys die Akademie verlassen musste dann als Lehrer. Kricke war ein Jahr jünger als Beuys, also im Prinzip ganz genau derselbe, fast derselbe Jahrgang mit einer ganz ähnlichen Vorgeschichte eben auch das Nazireich durchlaufen hat, aber nach dem Krieg als abstrakter Künstler eben gerade diese Laufbahn gemacht, ein besseres Deutschland über die Kunst schaffen zu wollen, mit abstrakten Figuren, mit Eisenskulpturen und dergleichen mehr, und hat sich dadurch sehr beliebt gemacht bei den führenden Eliten der 50er-Jahre. Das ist diese typische informelle 50er-Jahre-Kunst, die so später als Reinwaschungskunst ein bisschen gebrandmarkt wurde – auch ungerechterweise. Aber gerade dieser Kricke war gegen Beuys eingestellt, weil Beuys‘ künstlerische Haltung völlig gegen jede Fortschreibung eigentlich so eines positiven Deutschenbildes gerichtet war.
Beuys hat alles durch den Kakao gezogen in gewisser Weise, auch mit seiner ironischen Art. Und ich glaube, schon dieser Glaubenskampf zwischen Kricke und Beuys in der damaligen Zeit müsste eigentlich auch jemandem wie Riegel die Augen öffnen, dass es mit einer Blut-und-Boden-Gesinnung, einer verborgenen, bei Beuys nicht wirklich stichhaltig der Fall sein kann.
Scholl: Sie haben jetzt schon die Beuys-Rezeption auch der letzten Jahre, auch die kritische Beuys-Rezeption der letzten Jahre – und Jahrzehnte, muss man schon sagen – rekonstruiert, Carsten Probst. Wird diese Biografie, die neue, die jetzt doch plötzlich zu einer Art von Ikonoklasmus aufgebaut wird, zu einem längst fälligen, zu einer längst fälligen neuen Sicht auf Beuys, wird diese eine wichtige Beuys-Diskussion anregen? Ist das Buch insofern förderlich oder eher ärgerlich in Ihrem Sinn?
Probst: Also einerseits sagte ich ja schon, wir haben so eine fortgeschriebene Forschung jetzt, die immer differenzierter auf Einzelbiografien und Einzeldifferenzierungen eingeht. Und es ist irgendwie ein bisschen bedauerlich, dass in den entscheidenden Punkten diese Biografie zu Beuys eigentlich nichts Neues beiträgt, und auf der anderen Seite dann ein Medienhype ein bisschen drum gemacht wird – das muss man natürlich auch sagen, "der Spiegel", das "Spiegel"-Magazin verfolgt eine ganz eigene Strategie.
Was die jüngere Kunst anbelangt, man muss sagen, dass Beuys bei jüngeren Künstlern und Kuratoren längst schon überführt ist als jemand, der seine Biografie ein bisschen gefakt hat, und das auch gleichzeitig mit seinen ästhetischen Entwürfen, die er so eng an seine Biografie angeknüpft hat, eigentlich ein Künstler war, der heutigen Maßstäben an Kunst gar nicht mehr entspricht, wo man von zersplitterten Biografien ausgeht, von hypothetischen Biografien, von einem Ich-Begriff, der gar nicht mehr so einheitlich ist. Und von daher glaube ich, dass, wenn jetzt ein Autor kommt und sagt, he, dass war doch alles nur Fake, man eigentlich so ein bisschen tatsächlich Schultern zuckt, weil ja nichts Substanzielles eigentlich daraus an neuen Erkenntnissen entsteht.
Scholl: Und der Hase bleibt.
Probst: Der bleibt, ja, in der Tat!
Scholl: Ein neuer Blick auf Beuys und was davon zu halten ist – bei uns war Carsten Probst. Ich danke Ihnen für dieses Gespräch! Und jene Biografie von Hans-Peter Riegel, über die wir diskutiert haben, ist jetzt im Aufbau-Verlag erschienen mit 600 Seiten zum Preis von 28 Euro.
Carsten Probst: Hallo, hallo!
Scholl: Jedes Denkmal einer Persönlichkeit fordert es gewissermaßen heraus, dass man es eines Tages stürzt. Ist jetzt das Denkmal Joseph Beuys an der Reihe, Herr Probst?
Probst: Also, ob es jetzt an der Reihe ist, weiß ich nicht. Es hängt ein bisschen von der Perspektive ab. Wenn Sie zum Beispiel sehen, dass der Künstler Jörg Herold um das Jahr 2000 herum bereits schon mal so Recherchen betrieben hat an den Orten an der Krim, wo Beuys ja mit seinem Flugzeug angeblich abgestürzt ist, und dann drum herum auch die ganze Kernlegende, die Beuys ja immer wieder über sich erzählt hat, nachrecherchiert hat, da hat also Jörg Herold schon nachgewiesen, dass diese Legende eigentlich überhaupt nicht stimmen kann, ähnlich wie es jetzt auch Hans-Peter Riegel noch einmal quasi wiederholt.
Und man kann eigentlich sagen, dass dieses Nachrecherchieren von Jörg Herold schon exemplarisch ist für eine jüngere Generation, nicht nur von Künstlern, auch für Kuratoren, die dieser selbstgestrickten Legende von Beuys nicht mehr so ganz auf den Leim gehen. Deswegen, wenn jetzt ein Autor kommt, der das Ganze noch einmal so infrage stellt und sagt, Beuys hat eigentlich seine Biografie zu größeren Teilen selbst erfunden, ist das nichts Neues.
Scholl: Etliches Legendenhafte ist bekannt. Was hat Hans-Peter Riegel tatsächlich Neues zutage gefördert?
Probst: Ich tu mich ein bisschen schwer. Ich habe dieses Buch eigentlich mit großem Interesse gelesen, weil es so akribisch, fast kriminologisch daherkommt mit diesem Zusammensetzen vieler kleiner Indizien zu einer wirklich sehr, sehr langen Indizienkette. Da gibt es so einige Details, die ich auch nicht wusste, zum Beispiel, dass Beuys wahrscheinlich gar keinen Schulabschluss hatte und sich deswegen offiziell gar nicht an der Düsseldorfer Kunstakademie hätte einschreiben dürfen.
Und auch diese Sachen mit den Veteranentreffen aus dem Zweiten Weltkrieg waren mir ehrlich gesagt auch neu, das fand ich auch eine bizarre Vorstellung. Andererseits müssen Sie sehen, es gab ja schon 96 ein Band von einem Autorenduo – Gieseke, Markert –, die, das nannte sich "Flieger, Filz und Vaterland", die auch schon versucht haben, aus dem Werk von Beuys heraus und mit einer großangelegten Recherche in Archiven noch mal nachzuweisen, dass Beuys in der Wolle braun gefärbt war eigentlich, und so eine Art dritten Weg der nationalsozialistischen Kunsterneuerung für die Bundesrepublik angestrebt hat. Und auch das ist damals schon – dieses Projekt – aus Mangel an stichhaltigen Beweisen eigentlich gescheitert.
Scholl: Im Zentrum der aktuellen Kritik steht natürlich dieses Verhalten im Nationalsozialismus und auch im Zentrum der Aufregung, die jetzt wieder erzeugt wurde. Man weiß vom Flieger Beuys, von seiner Faszination für den Krieg als junger Mann, dann vom Abgeschossen-Werden und seiner abenteuerlichen, vermeintlichen Rettung durch Tataren – Sie haben es auch schon erwähnt, Herr Probst. Wir haben gestern in unserer Sendung "Fazit" mit Hans-Peter Riegel ein Interview geführt, und zu Beuys‘ Einstellung nach 1933 hat er folgendes gesagt -
Hans-Peter Riegel: "Beuys hat sich ja, was auch bislang nicht bekannt war, zwölf Jahre zum Militär gemeldet, ohne Not, er hätte das nicht tun müssen. Er ist dort hingegangen, hat sich freiwillig gemeldet, und er ist Berufssoldat geworden. Das heißt, er ist natürlich mit einer durchaus grundsätzlichen Begeisterung für diese Dinge, die in dieser Zeit passiert sind, hingegangen, und hat sich dort unter Einsatz seines Lebens engagiert. Und man muss wissen, damals haben die Menschen gedacht, der Krieg ist schnell zu Ende, Beuys hingegen hat sich für zwölf Jahre verpflichtet. Verstehen Sie, das ist eine Art und Weise der Annahme eines Systems, ein Glaube auch, ein Fortschritt in einem System, dem er sicherlich in einem gewissen Maß angehangen hat."
Scholl: Der Beuys-Biograf Hans-Peter Riegel gestern in unserer Sendung Fazit hier im Deutschlandradio Kultur. Carsten Probst, Hans-Peter Riegel kommt dann zu dem Schluss, dass Joseph Beuys kein Nazi, auch kein Antisemit gewesen sei, aber durch und durch völkisch und vor allem das im Sinne der Anthroposophie Rudolf Steiners. Was meint er denn damit?
Probst: Das ist ein sehr unbefriedigender Teil in dieser Argumentation für mich. Er meint ja zunächst erst mal nicht nur im Sinne Steiners völkisch, sondern im Sinne dieses Zeitgeistes seiner Jugendjahre – Beuys war ja zwischen zwölf und etwa 20 Jahre alt in dieser Phase, was er eben auch sagte in diesem Interview.
Also diese Begeisterung für Krieg und vielleicht auch so ein bisschen für diese Blut-und-Boden-Philosophie, das behauptet zumindest Riegel, sei eigentlich die Basis dafür gewesen, dass sich Beuys nachträglich, nach dem Krieg eigentlich Steiners Philosophie zu eigen gemacht hat, und die Anthroposophie, um das dann künstlerisch zu transformieren, und nennt also … wandelt das so ein bisschen ab, er nennt es bei Steiner eine völkische Esoterik, die dann so vorchristlich geprägten germanisch-keltischen Okkultismus pflegt, der für den Fortschritt der Weltentwicklung bei Steiner ja auch reklamiert wird.
Und Beuys selber hat nun wiederum ja auch immer wieder ganz offen über den Einfluss von Steiner auf sein Werk gesprochen, aber eben dieser eine argumentative Punkt, Beuys habe behauptet, er hätte Steiner schon während des Krieges gelesen, den macht Riegel ihm streitig, allerdings ohne Beweise, muss man dazu sagen. Er vermutet, Beuys habe Steiner erst nach dem Krieg gelesen und das sich dann so zurechtgebaut als eine Art eigene Kunstphilosophie, um dann sein Werk an Steiner ausgerichtet mit dieser Blut-und-Boden-Gesinnung noch einmal fortzuschreiben und das dann sozusagen zu verkappen als künstlerische Erneuerung.
Und das finde ich ziemlich heftig, weil ich sagen muss, dafür bringt er keinerlei Beweise, und ich habe ehrlich gesagt – und wenn man völkische Gesinnung als rechte Gesinnung auffasst – nie, auch wirklich in keinerlei Dokumentationen, in keinerlei Äußerung von Beuys jemals irgendetwas von dieser Einschränkung auf Blut-und-Boden-Ideologie, auf Reinheit des Volksstammes und so weiter gehört. Da werden, glaube ich, verschiedene Dinge durcheinander geworfen, auch in der Hinsicht, was die Traditionen, die Quellen betrifft, auf denen Steiners Anthroposophie beruht.
Scholl: Joseph Beuys in neuer kritischer Sicht, und wir sind im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Kunstkritiker Carsten Probst, der diese kritische Sicht nun kritisiert. Ungute Kontinuitäten nach 1945 herzustellen, öffentlich zu machen, das hat uns viel gelehrt für unsere Demokratie, Herr Probst, und die Biografie von Hans-Peter Riegel geht in dieser Spur zunächst. Wie war das eigentlich, wenn wir es mal wirklich von dieser Seite aus beleuchten, eigentlich in der Kunst. Gab es dort nach 1945 aber nicht auch jene Seilschaften, Verquickungen, die dazu führten, dass alte Nazis und Gesinnungsgenossen einfach weitermachen konnten?
Probst: Klar gab es die. Natürlich schon deshalb, weil ja während des Krieges, während der Nazizeit in Deutschland die ganze künstlerische Avantgarde weg war beziehungsweise auch geflohen oder umgekommen war. Und viele, die dann aus der sogenannten inneren Immigration herauskamen, waren jetzt dann nach dem Krieg in Westdeutschland gefragt, um diesen Kunstbetrieb auch wieder, auch das ganze Kulturleben wieder aufzubauen. Und von denen hatten ja nicht wenige zeitweilig auch mitgetan im Dritten Reich, teilweise weil sie mussten, weil sie die Karriere retten wollten.
Also man kann das nicht alles über einen Kamm scheren, und gerade die Forschung in den letzten zwei, drei Jahrzehnten hat meines Erachtens sehr stark zu Differenzierungen beigetragen für die jeweiligen Einzelschicksale. Sie widmen sich immer Einzelschicksalen, und das kommt mir hier bei Riegel auch etwas zu kurz, weil er einerseits behauptet, er würde sich explizit auf die Beuys-Biografie beziehen, aber in seinen Schlussfolgerungen wird er dann plötzlich wieder sehr allgemein.
Scholl: Im alternativ-kritischen Milieu der Bundesrepublik wurde Beuys spätestens so ab den 80er-Jahren ja schon zu einer Art Heiligenfigur mit seiner offenen Kritik, mit seinen Auftritten. Wie würden Sie sagen, wie stark hat dieses Image seine Rezeption beeinflusst, und muss man von daher vielleicht auch jene Aufregung jetzt sehen, die Hans-Peter Riegels Interpretation in der Presse erzeugt, dass also hier jetzt von einem längst fälligen Sturz oder Denkmalsturz die Rede ist?
Probst: Ja, er hat ja sehr, sehr stark polarisiert, jetzt nicht nur als öffentliche Figur allgemein, also in einem weiteren Publikumskreis, wo er ja auf viel Unverständnis auch gestoßen ist, sondern diese Polarisierungen wirken innerhalb des Kunstbetriebes sicherlich immer noch ein bisschen nach.
Ich würde gern mal als Beispiel Norbert Kricke nennen, also seinen wichtigsten Gegenspieler eigentlich in der Düsseldorfer Zeit, der Akademiedirektor damals, der ja maßgeblich mit dafür gesorgt hat, dass Beuys die Akademie verlassen musste dann als Lehrer. Kricke war ein Jahr jünger als Beuys, also im Prinzip ganz genau derselbe, fast derselbe Jahrgang mit einer ganz ähnlichen Vorgeschichte eben auch das Nazireich durchlaufen hat, aber nach dem Krieg als abstrakter Künstler eben gerade diese Laufbahn gemacht, ein besseres Deutschland über die Kunst schaffen zu wollen, mit abstrakten Figuren, mit Eisenskulpturen und dergleichen mehr, und hat sich dadurch sehr beliebt gemacht bei den führenden Eliten der 50er-Jahre. Das ist diese typische informelle 50er-Jahre-Kunst, die so später als Reinwaschungskunst ein bisschen gebrandmarkt wurde – auch ungerechterweise. Aber gerade dieser Kricke war gegen Beuys eingestellt, weil Beuys‘ künstlerische Haltung völlig gegen jede Fortschreibung eigentlich so eines positiven Deutschenbildes gerichtet war.
Beuys hat alles durch den Kakao gezogen in gewisser Weise, auch mit seiner ironischen Art. Und ich glaube, schon dieser Glaubenskampf zwischen Kricke und Beuys in der damaligen Zeit müsste eigentlich auch jemandem wie Riegel die Augen öffnen, dass es mit einer Blut-und-Boden-Gesinnung, einer verborgenen, bei Beuys nicht wirklich stichhaltig der Fall sein kann.
Scholl: Sie haben jetzt schon die Beuys-Rezeption auch der letzten Jahre, auch die kritische Beuys-Rezeption der letzten Jahre – und Jahrzehnte, muss man schon sagen – rekonstruiert, Carsten Probst. Wird diese Biografie, die neue, die jetzt doch plötzlich zu einer Art von Ikonoklasmus aufgebaut wird, zu einem längst fälligen, zu einer längst fälligen neuen Sicht auf Beuys, wird diese eine wichtige Beuys-Diskussion anregen? Ist das Buch insofern förderlich oder eher ärgerlich in Ihrem Sinn?
Probst: Also einerseits sagte ich ja schon, wir haben so eine fortgeschriebene Forschung jetzt, die immer differenzierter auf Einzelbiografien und Einzeldifferenzierungen eingeht. Und es ist irgendwie ein bisschen bedauerlich, dass in den entscheidenden Punkten diese Biografie zu Beuys eigentlich nichts Neues beiträgt, und auf der anderen Seite dann ein Medienhype ein bisschen drum gemacht wird – das muss man natürlich auch sagen, "der Spiegel", das "Spiegel"-Magazin verfolgt eine ganz eigene Strategie.
Was die jüngere Kunst anbelangt, man muss sagen, dass Beuys bei jüngeren Künstlern und Kuratoren längst schon überführt ist als jemand, der seine Biografie ein bisschen gefakt hat, und das auch gleichzeitig mit seinen ästhetischen Entwürfen, die er so eng an seine Biografie angeknüpft hat, eigentlich ein Künstler war, der heutigen Maßstäben an Kunst gar nicht mehr entspricht, wo man von zersplitterten Biografien ausgeht, von hypothetischen Biografien, von einem Ich-Begriff, der gar nicht mehr so einheitlich ist. Und von daher glaube ich, dass, wenn jetzt ein Autor kommt und sagt, he, dass war doch alles nur Fake, man eigentlich so ein bisschen tatsächlich Schultern zuckt, weil ja nichts Substanzielles eigentlich daraus an neuen Erkenntnissen entsteht.
Scholl: Und der Hase bleibt.
Probst: Der bleibt, ja, in der Tat!
Scholl: Ein neuer Blick auf Beuys und was davon zu halten ist – bei uns war Carsten Probst. Ich danke Ihnen für dieses Gespräch! Und jene Biografie von Hans-Peter Riegel, über die wir diskutiert haben, ist jetzt im Aufbau-Verlag erschienen mit 600 Seiten zum Preis von 28 Euro.