Joseph Haydns "Jahreszeiten"

26.04.2008
Im kommenden Jahr begeht die Musikwelt Joseph Haydns 200. Todestag – hoch willkommener Anlass, kommerziell wirksam zu werden, aber auch die Chance, sich entgegen eines reinen Starkultes mit Haydns historischer Stellung aus heutiger Sicht auseinanderzusetzen. Das tut das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin mit dem Oratorium "Die Jahreszeiten", tatkräftig unterstützt vom RIAS Kammerchor, drei hochkarätigen Gesangssolisten und unter der Leitung von Andrew Manze.
"Die Jahreszeiten", von Haydn im Jahre 1801 nach dem durchschlagenden Erfolg seiner "Schöpfung" vollendet, behandelt die Thematik des Jahres- und Tageskreises auf der Grundlage eines Librettos von Baron Gottfried van Swieten, einer deutschen Wiedergabe eines Auszugs des englischen Versepos "The Seasons" von James Thomsons. "Die Jahreszeiten" lassen in ihren eindringlichen Naturschilderungen einen deutlichen Einfluss Rousseaus erkennen und stehen somit im Gegensatz zu anderen Oratorien aus der Zeit Haydns. Das Werk ist, entsprechend den tatsächlichen Jahreszeiten, in vier Teile untergliedert - Frühling, Sommer, Herbst und Winter - und präsentiert drei Vokalsolisten, die das beschriebene Landvolk repräsentieren. Zu hören sind in der oft illustrativen und tonmalerischen Komposition u. a. ein Jagdlied mit Waldhornklängen, ein wütender Sturm, ein Chorgebet für eine reiche Ernte und ein Weinfest der feiernden Bauernbevölkerung. Die künstlerische Leitung übernimmt Andrew Manze, britischer Dirigent mit Spezialisierung aufs Barocke. Die Choreinstudierung des RIAS Kammerchores, ebenso wie das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin ein Ensemble der roc berlin, leitet Eberhard Friedrich. Als Solisten sind Sally Matthews, Jeremy Ovenden und Nikolay Borchev zu erleben.

Während der Proben für dieses Konzert führte Haino Rindler, der Moderator unserer Sendung, das folgende Gespräch mit Andrew Manze:
- Herr Manze, ich habe ein bisschen durchs Internet geblättert, aber nirgends habe ich gefunden, dass Sie schon mal die Jahreszeiten aufgeführt hätten. Wie kam es denn jetzt dazu?
- Vor zwei Jahren haben wir hier die Schöpfung gemacht. Und das DSO hat gesagt, hey, das war so schön, lasst uns die Jahreszeiten sozusagen als Partnerstück aufführen. Ich war sehr interessiert, das zu machen, denn Haydn hat es gegen Ende seines Lebens komponiert und ich wollte etwas machen, was genau in diese Periode fällt - also geschrieben im 19. Jahrhundert, aber mit dem Herzen noch im 18. Jahrhundert.
- Es gibt ja da einige Versionen, sogar für Streichquintett, aber auch Orchester-Fassungen. Für welche Version haben Sie sich entschieden?
- Es gibt eine etwas längere Fassung, aber wir haben die benutzt, die man gemeinhin als die Erste Edition bezeichnet. Das ist die von Haydn genehmigte. … Die Instrumental-Einleitungen mit Ausnahme der zum Frühling sind etwas kürzer. Aber es handelt sich um 2 bis 3 Minuten von insgesamt 3 Stunden Musik. Also wird man wenig Musik vermissen. Und Haydn wird es wohl auch so empfunden haben, dass das ein langes Stück ist. Vor allem für das Orchester ist das eine physische Herausforderung. Haydn hat ein schweres Stück geschrieben. Er hat das Orchester nicht geschont. Das ist schon ein Schock! Ich meine: viele Orchestermusiker denken, das ist ja bloß Haydn. Aber es ist eben wie ein schwerer Mozart. Es ist also eine große Herausforderung für das Orchester.
- Haben Sie Kompromisse für das Publikum gemacht, beispielsweise Rezitative gekürzt?
- Nein, ich denke Haydn hat uns ein perfektes Werk hinterlassen. Was man bemerkt: die Rezitative sind oft sehr kurz. Wenn wenig zu sagen ist, sagt er es schnell. Und wenn er Farben möchte, dann nimmt er das Orchester dazu und malt ein Bild von dem, was der Sänger da sagt. Aber Haydn hat sich viel Platz gelassen, um wunderschöne Dinge in den Arien zu tun oder in den Chören – und wir haben heute Abend einen fantastischen Chor der Spitzenklasse …
- Normalerweise arbeiten Sie mit historischen Instrumenten, ich denke an Ihr Ensemble The English Concert. Heute benutzt das Orchester moderne Instrumente. Beeinflusst das die Musik in irgend einer Weise?
- Ich versuche, meine Erfahrungen mit alten Instrumenten einzubringen. Ich sage zum Beispiel zu den Musikern: diese Passage, die für Dein modernes Instrument sehr leicht zu spielen ist, war für Instrumente zu Haydns Zeit sehr schwer zu spielen. Also spiele, als ob es sehr schwierig wäre! Ein Teil des Ausdrucks kommt über das Verstehen der Instrumente zustande. Oder beispielsweise in der wundervollen Jagdszene im Herbst: da hört man eine sehr gelungene Nachahmung von Naturhörnern, obwohl die Musiker moderne Ventilhörner benutzen, … und so kann man Wege finden, um die Farben alter Instrumente herauszukitzeln.
- Aber der Klang der Streicher bleibt ein moderner …?
- Das ist richtig. Ich finde, das Instrument ist bei weitem nicht so wichtig wie der Musiker. Ein guter Musiker wird den richtigen Stil finden. Und dann ist das Instrument nicht mehr so wichtig. Wenn man dieses Haydn-Stück wie Brahms spielen würde, dann wäre das fatal. Man würde Vibrato benutzen, Portamento und Rubato. Das würde sehr eigenartig klingen. Also auf den Stil kommt es an. Ich finde historische Instrumente sehr interessant, aber mir ist ein guter Musiker wichtiger. Selbst wenn er auf einer modernen Geige Bach oder Biber spielt. Ich muss sogar sagen, dass die historische Spielpraxis störend sein kann, wenn sie ein bestimmtes Repertoire von tollen Musikern, die aber nun mal auf modernen Instrumenten spielen, fernhält.
- Es geht also eher um Phrasierungen, gestalterische Momente?
- Ja, es ist immer die ganze Haltung. Wenn wir an Haydn denken, dann denken wir an einen ernsten Mann, der uns mit einem Auge zuzwinkert. Ich glaube, er hatte großen Sinn für Humor. Er ist seriös, gut angezogen, nicht reich, aber elegant. Und dieses Bild bringt den Ansatz für die Musik – denken Sie an Beethoven, der etwas unordentlich angezogen ist, mit wild funkelnden Augen – das ist eine komplett andere Vorstellung. So muss man sein Bild finden und dann im Bild das Zwinkern … Und von diesem Gedanken aus lässt sich die Musik erforschen. Wir alle haben viel Spaß bei den Proben gehabt mit dieser Erforschung.
- Sie kennen vermutlich Haydns Ansicht, dass er die Schöpfung qualitativ für das bessere Werk hielt. Stimmen Sie da mit ihm überein?
- Nein, eigentlich nicht. Ich glaube, er war vom Text der Jahreszeiten sehr enttäuscht. Es ist kein starker Text. Es gibt einige schöne Momente. Aber was er daraus gemacht hat, ist erstaunlich. Die Schöpfung hat einen der besten Texte überhaupt, die man lesen kann. Da musste er eine gleichwertige Musik zum Text finden. In den Jahreszeiten bestand die Herausforderung darin, etwas mit Tragweite, etwas Wertvolles über einen Text zu setzten, der eher gewöhnlich ist. Deshalb hat Haydn auch nicht einfach Musik zum Text gesucht, sondern er blickte auf sein eigenes Leben. Insbesondere wenn man zum Winter kommt, dann spürt man, dass Haydn hier das Ende seines eigenen Lebens meint. Er zitiert Mozart an einigen Stellen. Und schaut zu ihm als einem Mann, der im Sommer seines Lebens starb – er erreichte nicht mal den Herbst. Haydn betrachtete ihn als ein Symbol für ein unvollendetes Leben, das so viel Herrliches hervorbrachte. Es ist fast so, als würde Haydn hier sagen: Ich würde meinen Herbst und Winter gerne dafür geben, wenn ich dafür Mozarts Herbst und Winter hören könnte. Und auch wenn es Haydn schwer fiel, das zu komponieren – es ist ein langes Stück, der Text war nicht gut, er war alt – so finde ich doch, dass die Musik schöner ist als in der Schöpfung.
- Sie haben den RIAS Kammerchor schon erwähnt. Der ist auch für seine Beschäftigung mit zeitgenössischer Musik bekannt. Hat das einen Einfluss auf diese, Haydns Musik?
- Ganz bestimmt – die Fähigkeit, mit einer unvoreingenommenen, frischen Haltung an ein Stück zu gehen, ist so wertvoll. Wir vergessen, dass die Jahreszeiten, als Haydn sie aufführte, reine Avantgardemusik war. Dieser Gedanke und die damit verbundene Haltung ist das Geheimnis einer guten Aufführung. Es wäre falsch zu denken, Haydn ist alt und Berio ist neu. Beides benötigt den gleichen Respekt, den gleichen Mut, Können und Sinn für Farben. Und das ist es, was ich so anregend beim RIAS Kammerchor finde, sie haben eine fabelhafte Bandbreite in ihrer Phrasierung – die technische Qualität ist so hoch, dass man noch nicht mal daran denkt. Der Ensemble-Klang, die Intonation - das ist einfach ein ganz hohes Niveau. Was sie mitbringen, ist ein unglaubliches Maß an Flexibilität. Man kann ein Stück ganz schnell singen oder langsam – sie haben die Fähigkeit oder Flexibilität, beides zu tun. Es ist genau das, was ich vorhin über den Orchestermusiker gesagt habe, der wichtiger als das Instrument an sich ist. Im Fall der Sänger ist natürlich die Stimme wichtig, aber noch wichtiger ist wohl, was im Kopf vorgeht. Und die haben wirklich tolle Idee in ihren Köpfen…(lacht).



Philharmonie Berlin
Aufzeichnung vom 19.04.2008

Joseph Haydn
"Die Jahreszeiten", Oratorium für Soli, Chor und Orchester

Sally Matthews, Sopran
Jeremy Ovenden, Tenor
Nikolay Borchev, Bass-Bariton
RIAS Kammerchor
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Leitung: Andrew Manze

nach Konzertende ca. 21:34 Uhr Nachrichten