Joshua Groß: „Prana Extrem“
© Matthes & Seitz
Ein Sommer im trippigen Realismus
06:19 Minuten
Joshua Groß
Prana ExtremMatthes & Seitz, Berlin 2022301 Seiten
24,00 Euro
Auf den ersten Blick erzählt im Roman „Prana Extrem“ ein Autor von sich selbst. Aber hat er wirklich telekinetische Kräfte? Und fliegen Riesenlibellen durch Tirol? Joshua Groß' Fantasie macht Spaß - und übt sich in Sensibilität.
Als Lisa ihr Stipendium im österreichischen Hall antritt, begleitet Joshua sie selbstverständlich. Die beiden sind ein Herz und eine Seele. Während Lisa eifrig an ihrem Roman werkelt, lässt Joshua sich treiben und öffnet sämtliche Sinne für die Stimmungen des Innsbrucker Umlands. Dabei wird viel US-Rap – bevorzugt Trap – gehört, gelegentlich gekifft und sich oft bitter an das eigene Aufwachsen erinnert. Softdrinks sind genau das Richtige und einmal näht Joshua sich sogar einen Samtbeutel für lässig wie nebenbei zu lutschende Chupa Chups.
Anderntags lernt er aus heiterem Himmel den hochveranlagten Skispringer Michael kennen, der mit 16 Jahren bereits alles mitbringt, um ein Weltspitzenathlet zu werden. Kurzerhand quartieren sich Lisa und Joshua bei Michael und dessen Schwester und Trainerin Johanna außerhalb der Stadt ein. Die Tage verstreichen und werden immer heißer. Davon handelt "Prana Extrem": von flüchtiger Zeit, die sich dennoch wie Kaugummi dehnt; vom Wunsch, ohne Resignation zu altern; von Verlorenheit und vom Hader – vor allem aber von Liebe.
Riesenlibellen und Meteoriten
Nebenbei mehren sich im Textfortgang auf mysteriöse Weise Riesenlibellen, wird ein Meteorit aus einem Museum entwendet und der vermeintlich qualvolle Suizid einer Science-Fiction-Schriftstellerin als Kunstperformance decouvriert.
In einem Vorgängerbuch bekannte Joshua Groß, einen „vollen, empfindsamen, trippigen Realismus“ schreiben zu wollen. "Prana Extrem" ist die Probe aufs Exempel – und sie gelingt. Im Zentrum der Poetik steht die in unseren authentizitätsversessenen Zeiten wieder einmal brandaktuelle Gretchenfrage nach der Echtheit des Erlebten. Der Roman macht nicht wenige leicht zu ergoogelnde Avancen, als biographisch grundiert gelesen zu werden. Was bereits bei der Namensgleichheit zwischen Autor und Erzähler seinen Anfang nimmt. Letzterer schreibt sich selbst allerdings telekinetische Kräfte zu: Solche trashigen Grenzüberschreitungen machen den Sog dieser Literatur aus.
Neue Sensibilität üben
Im Kosmos von Joshua Groß ist Fantasie eine Kardinaltugend, dort beginnt die neue Menschwerdung. Oder mit den Worten des Erzählers gesprochen: „Bestimmt kann ich es irgendwann schaffen, Gemächlichkeit und Hustlerspirit miteinander zu versöhnen, wenn ich es hinkriege, mich in die vierte Dimension hochzumeditieren beispielsweise.“ Hier tritt das titelgebende Prana auf den Plan, ein Begriff aus dem Hinduismus, der eine Art pneumatischer Beseeltheit bezeichnet - eine alles durchfließende Lebenskraft."
Wo in Groß‘ früherem Roman "Flexen in Miami" durch die Leerstellen der psychotische Horror brach, lösen die Katastrophen, die in "Prana Extrem" stets in der schwülen Luft liegen, sich ganz einfach in Wohlgefallen auf. Die angespannte Ruhe nutzen die Protagonisten für die Einübung einer neuen Sensibilität, die den zwischenmenschlichen Beziehungen ihre Unbarmherzigkeit nehmen soll.
Nahbar und gewitzt
Letztlich geht es um Ethik, deswegen kichern Lisa und Joshua auch die ganze Zeit. Wobei die zärtliche Nachsicht sich zwar nicht ausschließlich auf die Altersgenossen der um die 30-Jährigen beschränkt, doch die Urteile über die (Groß-)Elterngeneration bemerkenswert hart ausfallen. Während die Familienahnen mit ihren Macken schonungslos seziert werden, liegt über jeder Selbstreflexion ein samtiger Film aus Ironie, die aller Kritik im Vorhinein die Spitze nimmt. Das Schlimmste, zu dem Joshua selbst in der Lage zu sein scheint, sind Stilbrüche.
Die ostentativ zur Schau gestellte Nachlässigkeit beispielsweise in Modefragen ist selbstverständlich Teil einer Inszenierung, die gut ins Konzept passt, wenngleich das stellenweise nervt. Sprachlich mäandert die Prosa zwischen Rap-Jargon und poststrukturalistischem Slang, ist nahbar und gewitzt, wirkt reif, dabei aber alles andere als altbacken. Kurzum: „Prana Extrem“ macht Spaß!