Halb Memoir, halb Manifest
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Wer ist der Mann, der sich immer wieder mit der Großmacht China anlegt und so das Gesicht einer jungen Protestgeneration in Hongkong wurde? Joshua Wong erzählt seine Geschichte in dem Buch "Unfree Speech".
Hinter Gittern. Schon wieder. Anfang September 2019 wird der Demokratieaktivist Joshua Wong kurz vor seiner Reise nach Deutschland am Flughafen in Hongkong festgenommen. 24 Stunden später kommt er auf freien Fuß und setzt seine Reise Richtung Berlin fort. Dort weiß er die Bühne für sich zu nutzen, trifft Außenminister Heiko Maas und stellt Forderungen an Bundeskanzlerin Angela Merkel. Wenige Tage später macht er bei einer Anhörung im US-Kongress genau da weiter.
Aktivist aus konservativem Elternhaus
Ein 23-jähriger Student mit zartem Flaum über der Oberlippe legt sich mit der Großmacht China an und mobilisiert fast zwei Millionen Hongkonger zu Massenprotesten. Durchaus überraschend: Joshua Wong kommt aus konservativem Haus, seine Eltern sind fromme Christen. Der Vater gelernter Informatiker, die Mutter Beraterin in einem Familienzentrum. Geheiratet haben die beiden 1989, kurz nach dem Tiananmen-Massaker. 1996 kommt Sohn Joshua auf die Welt, ein Jahr bevor die britische Kolonialmacht Hongkong zurück an Festlandchina übergibt. Bewegte Zeiten.
Joshua ist Legastheniker und nicht gut in der Schule. Doch schon damals ein talentierter Redner – und Aktivist. Mit seiner ersten Protestbewegung setzt er 2009 bessere Mahlzeiten in seiner Schule durch. Auch mit Hilfe seiner Eltern, die ihn damals wie heute unterstützen:
"Es ist wirklich beeindruckend und ermutigend, wie mich meine Familienmitglieder in meinem Kampf unterstützen. Und auch, dass meine Eltern mir den Rücken freihalten, sodass ich politisch aktiv sein kann, treibt mich an", sagt Wong im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur.
Wongs Festnahme befeuert die Proteste
Ursprünglich wollte er sein neues, nun auch auf deutsch erschienenes Buch "Unfree Speech" persönlich in Deutschland vorstellen. Doch Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam untersagte ihm die Ausreise. Im Buch, halb Memoir, halb Manifest, zeichnet er seinen rasanten Aufstieg nach: 2011, Wong ist damals 14 Jahre alt, ruft er die Aktivistengruppe "Scholarism" ins Leben. Ihr Protest richtet sich gegen ein neues Schulfach, das den Schülern pro-chinesischen Patriotismus eintrichtern soll. Es folgen monatelange Proteste vor dem Regierungssitz. Anfangs von 100 Schülern, am Ende von 120.000 Hongkonger Bürgern. Die Initiative wird zurückgezogen.
Herbst 2014. Wieder sind Zehntausende Studentinnen und Studenten auf den Straßen. Ihr Markenzeichen: gelbe Regenschirme. Diesmal pochen sie auf freie Wahlen. Denn Hongkongs Regierung wird von einem überwiegend pekingtreuen Wahlgremium bestimmt. Einer der Organisatoren der Proteste ist Joshua Wong, dessen zwischenzeitliche Festnahme die Regenschirm-Bewegung nur noch weiter anstachelt.
Jugendlicher des Jahres 2014
Joshua Wong, dessen chinesischer Name Chi-fung lautet, ist spätestens jetzt das Gesicht der Hongkonger Demokratiebewegung – auch international. Im Oktober 2014 schmückt sein Gesicht die Titelseite des Time Magazines, die Times kürte ihn zum Jugendlichen des Jahres 2014, Netflix produziert wenig später eine aufwendige Dokumentation über ihn. Der Titel: Teenager gegen Supermacht:
"Ich betrachte mich selbst als Lobbyist dafür, die Stimme Hongkongs weltweit hörbar zu machen", sagt Wong. "Das ist unsere Pflicht. Und anstatt der Anführer der Bewegung zu sein, will ich eben gerade nicht wie ein Befehlshaber auftreten, der hierarchisch von oben Befehle ausgibt."
Als die Regenschirme weniger werden, gründet Wong 2016 mit einigen Mitstreitern die politische Gruppierung Demosisto. Ihr Ziel: mit eigenen Abgeordneten Einfluss auf die Politik zu nehmen. Doch im August 2017 stecken ihn die Hongkonger Behörden für mehrere Monate ins Gefängnis. Die Begründung: Teilnahme an nicht genehmigten Protesten 2014. Wong wird zum ersten politischen Häftling in der Geschichte Hongkongs:
"Auch wenn die Regierung mich von der Gesellschaft isoliert, werden unsere Kämpfe weitergehen. Die Bedrohungen können mich nicht kleinkriegen, das macht mich nur noch entschiedener."
Briefe aus dem Gefängnis
Aus seiner Zelle schreibt Wong, zu dem Zeitpunkt 20 Jahre alt, kämpferische Briefe an seine Unterstützer, die nun auch im zweiten Teil seines Buchs abgedruckt sind. Als er nach rund drei Monaten entlassen wird, erwarten ihn begeisterte Anhänger, die ihn in seinem Kampf für mehr Demokratie bestärken.
Juni 2019. Die Proteste gegen das geplante Auslieferungsgesetz eskalieren. Straßenschlachten mit Molotow-Cocktails sind an der Tagesordnung. Am 23. Oktober wird der Entwurf offiziell zurückgezogen. Doch Carrie Lam, die in Hongkong verhasste Regierungschefin, bleibt im Amt. Und kurz vor den Kommunalwahlen im November 2019 verbietet die Hongkonger Regierung Joshua Wong, sich als Kandidat aufstellen zu lassen. Die Proteste gehen weiter. Doch derzeit sind die Straßen leer. Der Grund: Das Coronavirus. Wong kritisiert das Krisenmanagement der chinesischen und der Hongkonger Regierung. Und prognostiziert:
"Das wird nur noch mehr Unzufriedenheit im Sommer auslösen."
Ob er bei möglichen, neuen Protesten im Sommer dabei sein kann, fraglich. Ihm droht eine neue Gefängnisstrafe.