Simone Schmollack ist Journalistin und Buchautorin in Berlin. Ihre Themenschwerpunkte sind Frauen, Familie, Gender, Soziales, Ostdeutschland, Migration/Integration. Ihr letztes Buch "Und er wird es wieder tun" befasst sich mit Gewalt in der Partnerschaft.
Ein Graben geht durch die Redaktionen
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Ist es transfeindlich, Elliot Pages alten weiblichen Vornamen zu erwähnen? Nicht nur im Internet wird über solche Fragen gestritten, sondern auch in den Redaktionen. Dabei tun sich Generationsgräben auf, meint die Journalistin Simone Schmollack.
Aus Ellen Page wird Elliot Page. Ein Satz, der zunächst einmal eine schlichte Nachricht ist: Der Hollywoodstar Page, der mit der Rolle eines schwangeren Teenagers berühmt geworden ist, lebt jetzt als Mann.
Doch der Satz trägt eine enorme Sprengkraft in sich: Die Geschlechtstransition lädt Kommentator*innen bei analogen wie sozialen Medien zu transfeindlichen Abwertungen ein. Einerseits. Andererseits ruft er Menschen auf den Plan, die es als diskriminierend empfinden, wenn in Artikeln über Pages Outing als Transmann sein alter weiblicher Vorname genannt wird.
Das Andererseits wirft Fragen auf: Ist das Drängen auf Verschweigen des "Deadnames", also des Ursprungsnamens, korrekt, weil dadurch queere Lebensweisen als selbstverständlich akzeptiert werden? Oder verbirgt sich dahinter ein kritikwürdiges Sprechverbot?
Wer darf was wie fragen?
Die Frage, ob man die Eigenbezeichnungen bestimmter Gruppen und deren Codes übernimmt oder lieber auf das überlieferte Besteck zurückgreift, hat inzwischen auch einige gestandene Frauenrechtler*innen unter Druck gesetzt - etwa die "Harry Potter"-Erfinderin Joanne K. Rowling, die britische Journalistin Susanne Moore und die deutsche Feminismus-Ikone Alice Schwarzer. Ihnen wird Transphobie vorgeworfen, weil sie sich in eine angeblich nicht korrekten Sprache geäußert haben, beziehungsweise diese hinterfragen.
Auch in den Medienhäusern selbst wird diese Debatte gerade intensiv geführt – angefangen bei Zeitungsverlagen über Hörfunkanstalten bis hin zu Nachrichtenagenturen. Was darf wie und von wem gesagt werden?
Umstritten sind nicht nur Wörter, sondern ebenso Kommentare, Kolumnen, Karikaturen. Die einen geben vor, was richtig und damit gesellschaftlich akzeptiert zu sein hat. Andere, die sich aus guten (und auch aus schlechten) Gründen nicht daran halten, sehen sich rasch dem Vorwurf der Diskriminierung ausgesetzt.
Es geht ums journalistische Selbstverständnis
Es ist eine Debatte um Identitätspolitik und Moral, um Ideologie und den Umgang mit anderen Haltungen. Der Bruch in den Redaktionen verläuft relativ klar entlang einer Generationslinie: Auf der einen Seite junge, online-affine, gender-Studies-geschulte Studienabgänger*innen. Auf der anderen Seite ältere Kolleg*innen, die dem Zeitalter des analogen Journalismus entsprungen sind und sich eher an traditionellen Geschlechterdefinitionen orientieren.
Doch es ist mehr: Es ist ein Streit um das Verständnis von Journalismus.
Während die Alten darauf beharren, Konflikte klar zu benennen und von allen Seiten zu beschreiben, geht es den Jungen oft darum, etwas nicht mehr zu benennen, nicht mehr zu sagen, um es nicht fortzuschreiben. Was bei den anderen Kolleg*innen als "Missionieren" ankommt.
Um es am Beispiel des Hollywoodstars Page zu verdeutlichen: Für die Alten gehört es selbstverständlich zur journalistischen Sorgfalt, in der ersten Nachricht zum Outing beide Namen zu verwenden. Wie sonst soll das Publikum erfahren, vom wem die Rede ist? Für die Jungen hingegen ist das ein verbaler Übergriff, weil Sprache Gewalt sein kann.
Nicht gleich nach Verboten rufen
Richtig: Sprache kann verletzen, diskriminieren, zerstören. Das wollen die "Jungen" unbedingt vermeiden. Ihnen geht es darum, vulnerable Gruppen in jeglicher Hinsicht zu schützen. Aber wird die Welt besser, friedlicher, gewaltfreier, wenn ein Teil der Lebensrealität ausgeblendet wird, weil er nicht mehr benannt werden darf? Werden Sexismus, Transphobie und Rassismus verbannt, wenn nicht mehr in allen Facetten darüber gesprochen werden darf? Eine offene Debatte ist eine Kernaufgabe des Journalismus.
Dieser Diskurs wird weitergehen. Dafür eine kleine Bitte: Nicht gleich bei jeder Karikatur, jeden Kommentar und jede Kolumne, die nicht der eigenen Haltung entspricht, "Verbieten!" rufen, sondern sich selbst zurücknehmen.
Journalist*innen arbeiten nicht für sich selbst, sondern für Leser*innen, Hörer*innen, Zuschauer*innen. Und die sind häufig klüger und gelassener, als man in den Redaktionen glaubt.