Wie das Binnen-I in die taz kam
Das Binnen-I war ein typisches Projekt der 1980er-Jahre: Weil der Geschlechterkampf in die Jahre gekommen war und leicht ermattet geführt wurde, musste die Sprache als Überbauphänomen hinhalten. Auch und gerade in der alternativen "tageszeitung".
Die Nachrichtenredaktion der taz saß Anfang der 1980er-Jahre um einen großen, alles andere als runden Tisch: Der Tag begann hier, wo wir stets auf der Suche nach besonderen Aktualitäten und allem waren, was neu erschien, früher als in anderen Redaktionen des damals noch ziemlich alternativen Mediums, das weder Chefredakteur noch Ressortleiterinnen kannte. Vor der Redaktionskonferenz wurden Stapel von Zeitungen durchgeblättert: Was hatten die anderen, was wir nicht haben, wo war es uns gelungen, Akzente zu setzen, auf die sonst niemand gekommen war.
Besonders interessiert wurde die Schweizer "Wochenzeitung" WOZ längs- und quergelesen – eine Art kreatives Schwesterblatt, das seit 1983 das Binnen-I per Kollektivbeschluss zum Standard erhoben hatte. Ich fand es toll: einfach, witzig und auf Anhieb überzeugend. Das Argument der Duden-Redaktion jedenfalls, die sonst allerlei sprachlichen Unsinn mitmacht, überzeugt mich nicht: Das Binnen-I sei nicht hinzunehmen, weil es einen Verstoß gegen das Verbot der Großschreibung in der Wortmitte darstelle.
Direkt neben der Nachrichtenredaktion lag ein weiteres Großraumbüro. Hier gaben die Säzzerinnen und Säzzer der taz die Texte in die Computer ein, redigierten und korrigierten die Texte und versahen sie bei Bedarf und entsprechend guter oder schlechter Laune mit Anmerkungen. Auch im Sazz gab es etliche Anhängerinnen und Anhänger des Binnen-Is.
Die Wikipedia-Version der Einführung des Binnen-Is hat also mit der Wirklichkeit wenig zu tun, wenn sie behauptet, ich hätte die Binnen-I-Variante 1989 bei der taz eingeführt, deren Redaktion es dankbar als Ersatz für den Schrägstrich aufgenommen habe.
Die taz wurde damals von informellen Hierarchien, von Fraktionen und Überraschungen beherrscht. Neben dem Dauer-Streitthema Militanz konnte die selbstverwaltete Belegschaft über wenig Themen so ausdauernd und kontrovers diskutieren wie Feminismus. Das Binnen-I fanden damals zwar viele gut, manche waren strikt dagegen, einigen wurde es redigierend im Handstreich einfach in die Texte geschrieben. Dass das Binnen-I in der taz eine Zukunft haben konnte und heute eine Vergangenheit hat, war aber kein Ergebnis eines Beschlusses, sondern Ergebnis einer informellen Kooperation und nur möglich, weil damals die, die den Zeitungstag damit begannen, Themen, Thesen und Texte in Auftrag zu geben und die, die am Ende des Zeitungstages letzte Hand anlegten, um das Werk in den Druck zu schicken, es wollten.
Erinnerung an die Idee einer besseren Welt
Das Binnen-I war also ein typisches Projekt der 1980er-Jahre: Weil der Geschlechterkampf schon etwas in die Jahre gekommen war und leicht ermattet geführt wurde, musste die Sprache als Überbauphänomen hinhalten, um an die Idee einer besseren Welt zu erinnern. Nicht überraschend schaffte es die taz, sonst oft genug Trendsetter, mit diesem Projekt aber nicht, Zeichen zu setzen und den Mainstream umzuleiten.
Im Ergebnis ist das wohl zu begrüßen. Denn so überzeugend das große Binnen-I ist − es verführt, wie viele einfache Lösungen, auch zu Gedankenlosigkeit und stumpfer Routine. Das erlebte ich später bei der linken Monatszeitschrift "Konkret". Damals erreichte uns dort ein Text, dessen Autor es wohl zu mühsam war, über Jüdinnen und Juden zu schreiben, der aber doch geschlechtergerecht auftrat und die Überschrift platzierte: "Über den Widerstand von JüdInnen gegen die deutsche Besatzung." Der Herausgeber von "Konkret" und seine beiden Redakteure beschlossen gemeinsam und ohne zu zögern, dem Binnen-I in "Konkret" keinen Platz einzuräumen. In der weniger an formellen Beschlusslagen interessierten taz verschwand das Binnen-I dagegen im Lauf der Zeit ohne weitere Erklärungen fast wie von selbst.
Dennoch: Ich bereue nichts und gestehe, dass ich trotz aller berechtigten Einwände gegen die Majuskel auch heute noch lieber einen Text lese, in dem ein etwas unflexibles, nicht so elegantes Binnen-I wie ein Riff herausragt, als eine Abhandlung, deren Autor beim Schreiben nicht einmal aufgefallen sein wird, dass sich in seiner Welt wie selbstverständlich nur Lehrer, Jäger, Professoren, Ärzte, Politiker und Chefredakteure tummeln. In einer Zeit allgemeiner Emanzipation vom Duden, in der alle ihre eigenen Schreibweisen und -formen kreieren, kann man das klug gestreute Binnen-I immerhin noch als Zeichen erfreulichen, weil politisch bewussten Eigensinns verstehen.