Journalist Jürgen Schreiber

Sich ins Leben des Gegenübers eingraben

35:17 Minuten
Der Journalist Jürgen Schreiber
Der Journalist Jürgen Schreiber © Oliver Jung / Verlag Droemer Knaur
Jürgen Schreiber im Gespräch mit Katrin Heise |
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Er ist einer der wichtigsten investigativen Journalisten Deutschlands. Kaum einer recherchiert so akribisch wie Jürgen Schreiber. Dass seine Reportagen dicht und fesselnd sind, hat auch mit Vertrauen zu tun. Schreiber weiß, wie man Menschen zum Reden bringt.
"Ich bin sehr diszipliniert und halte mich an Verabredungen. Und es ist vielleicht eine Fähigkeit von mir, dass ich gut zuhören kann. Ich schneide niemandem das Wort ab und lasse den Dingen ihren Lauf. Die Stasi-Leute, die nach der Wende total verachtet wurden, waren es gar nicht gewohnt, dass man sich erst einmal mit ihnen hinsetzt, einen Kaffee trinkt und ihnen zuhört."
Jürgen Schreiber ist einer bekanntesten investigativen Journalisten in Deutschland. Als junger Volontär begann er, in der schwäbischen Provinz Menschen und Orte zu beschreiben. Bald stieg er auf, ging nach Stuttgart, schrieb über Stammheim, in Frankfurt am Main berichtete er aus der Hausbesetzerszene und kannte Aktivisten wie Daniel Cohn-Bendit und Joschka Fischer schon in jungen Jahren.

Der Leistungsdruck im Journalismus ist sehr hoch

Damals, sagt er, gab es noch viel bessere Arbeitsverhältnisse für Journalisten als heute: "Der Leistungsdruck im Gewerbe ist hoch. Nicht nur bei den so genannten Edelfedern. Viele Stellen sind gestrichen worden, jeder Reporter glaubt, er muss große Geschichten beibringen."
Darüber ist gerade ein bekannter Reporter beim "Spiegel" gestolpert. Der Fall Relotius ist für Schreiber ein schwerer Rückschlag für die Glaubwürdigkeit des Journalismus in Deutschland.
"Das ist eine sehr bittere Diskussion und ich bin froh, dass ich damit nichts mehr zu tun haben muss. Ich habe zu meinen Zeiten meine Chefredakteure zur Verzweiflung gebracht, weil ich immer noch weiter recherchieren wollte. Glaubwürdigkeit ist, dass eine Reportage in ihren Fakten stimmen muss. Früher hatte eine Zeitung wie der Tagesspiegel 5-7 Dokumentaristen. Und ich war immer froh, wenn noch jemand draufgeschaut hat."

Mit den Interviewpartnern nicht gemein machen

Schreibers Spezialität ist es, sich tief ins Leben seiner Gesprächspartner einzugraben, ohne sich mit ihnen gemein zu machen. Er hat über Gerhard Richter, Monika Ertl und die Stasi geschrieben, über Politiker, Künstler und Mörder.
"Die Einsicht, dass es das Böse an sich gibt, ist mir erst als Reporter im Gerichtsaal gekommen. Als Achtundsechziger hatte ich eigentlich ein Aufklärungsbedürfnis und einen Glauben an das Gute im Menschen. Dann aber sitzt man einem Vierfachmörder gegenüber und muss einsehen, dass das nicht funktioniert."
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