Eine Therapie für traumatisierte Reporter
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Bombenhagel, Terroranschläge, Naturkatastrophen: Solche Ereignisse können auch Journalisten traumatisieren, die darüber berichten. Doch Traumatherapeuten fehlt es oft an Verständnis für deren Situation. Eine spezielle Weiterbildung soll Abhilfe schaffen.
"Ich habe mehrere Wochen mit einigen Kämpfern zusammengelebt, die gegen den IS gekämpft haben und drei sind vom IS getötet worden. Ich war bei der Beerdigung dabei. Und die Iraker haben darauf bestanden, dass ich das filme, damit die Menschen in Europa auch sehen, was da vor Ort passiert", sagt der Journalist Enno Heidtmann.
Trauernde Menschen filmen – eigentlich ist das ein absolutes No-Go für Heidtmann. Doch er macht damals – um 2017/2018 – eine Ausnahme, ohne zu wissen, wie bedeutend diese und viele andere schlimme Bilder später auch für ihn selbst noch werden.
"Die Geschichten vergisst man einfach nicht", betont er.
Deshalb wechselt der ehemalige Soldat sein Einsatzgebiet und beschließt, vorerst nicht mehr mit seiner Kamera in Länder wie Irak, Afghanistan, Libyen oder Syrien zu reisen.
"Als ich das Angebot bekommen hatte, im Lokalen zu arbeiten, hatte ich tatsächlich gedacht, das ist für mich jetzt der Sprung raus aus diesen negativen Erlebnissen. Ich habe aber gemerkt, dass das gar nicht so einfach ist."
"Ich meide große Menschenansammlungen"
Seine Erlebnisse haben Heidtmann nachhaltig traumatisiert. Schlafstörungen sind ein Teil davon.
"Feuerwerke gibt es für mich nicht mehr. Große Menschenansammlungen meide ich. Wenn ich zum Beispiel in einem Restaurant sitze, dann immer mit dem Gesicht zur Tür, niemals mit dem Rücken."
Über diese Erlebnisse spricht Enno Heidtmann offen. Doch die Scham, unprofessionell, zu sensibel zu wirken, halten wohl viele seiner Kolleginnen und Kollegen davon ab, meint Enno Heidtmann. Auch in den Redaktionen und Medienhäusern selbst würde es viel zu wenig besprochen oder mitgedacht.
"Einige öffentlich-rechtliche Sender, der WDR und der NDR, haben es inzwischen ins Volontariat eingebaut", sagt Fee Rojas. "Da gibt es einen Tag 'Trauma und Journalismus', das mache ich mit den Volontären, wo es darum geht: Wie gehe ich mit Betroffenen um? Und wie gehe ich mit mir selber um?"
Die ehemalige Journalistin Rojas beschäftigt sich seit über 15 Jahren mit dem Thema. Einzelcoaching mit ihr müssen Medienschaffende allerdings in vielen Fällen selbst bezahlen. Doch das ist nur eine der Hürden: Häufig sind es nämlich die freien Mitarbeitenden, die mit Trauma direkt in Berührung kommen oder auch durch Erzählungen ihrer Interviewpartnerinnen und -partner selbst traumatisiert werden können. Doch Freiberufler haben meist keine finanzielle Absicherung, Ausfallen geht nicht. Oft zögern sie deshalb, sich Hilfe zu suchen.
Als Adrenalinjunkies abgestempelt
Und es gibt noch einen Grund: Meist würden Journalistinnen und Journalisten missverstanden. Abgestempelt als Adrenalinjunkies, die, wenn jemand Feuer ruft, einfach reinrennen, meint Emily Sachs: "Sie brechen oft die Therapie ab, weil die Therapeuten schockiert vom Gehörten sind oder es nicht verstehen. Oder sogar den Lebensstil pathologisieren und die Arbeitsweise."
Abgabetermine, Nachtschichten, ständiger Druck – das alles gehört dazu, meint die Psychologin Emily Sachs. Sie ist Mitbegründerin des "Journalist Trauma Support Network" – ein Programm des Dart Center für Journalismus und Trauma, das ursprünglich sein Zuhause in den USA hat, aber auch in Europa aktiv ist: "Das Ziel des Programms ist es, bereits erfahrene Traumatherapeuten für Journalisten auszubilden, die beruflich Stress und Trauma ausgesetzt sind."
80 bis 100 Prozent der Medienschaffenden betroffen
Ausgebildet werden dieses Jahr 22 Therapeutinnen und Therapeuten. Sie lernen in sechs Monaten mehr über den Beruf und die Menschen dahinter – dank direktem Kontakt zu Medienschaffenden, Lehrvideos und engmaschig begleiteten Therapien. Emily Sachs beobachtet, dass die Zahl der traumatisierenden Journalistinnen und Journalisten zunimmt. Dabei sind es längst nicht mehr nur jene, die aus Kriegsgebieten berichten. Laut Untersuchungen des Dart Centers sind 80 bis 100 Prozent der Medienschaffenden Traumata ausgesetzt.
Eine große Bedeutung bekommt hier auch das Internet, wo Journalistinnen und Journalisten zunehmend auch massive Anfeindung erleben. Deshalb hat es natürlich auch einen ganz besonderen Beigeschmack, dass diese Ausbildung der Psychologinnen und Psychologen momentan durch Spenden des Tech-Giganten Google finanziert wird.
"Das ist schwierig", findet Emily Sachs. "Sie sollten sich um ihr Image und die Unterstützung der Menschen kümmern, die ihnen Inhalte liefern, denn die brauchen sie. Ich wünschte, mehr Unternehmen würden das."
"Irgendeiner muss die Geschichten ja erzählen"
Am liebsten wären ihr Spenden, die nicht von Unternehmen kommen, wo es keine Interessenkonflikte gibt. Das könnte die Sicherung des Programmes nach der Testphase bedeuten.
Auch Journalist Enno Heidtmann überlegt, wie es für ihn weitergehen soll. "Irgendeiner muss die Geschichten ja erzählen", sagt er.
Und so schließt er nicht aus, dass er irgendwann wieder seine Kamera ganz nah auf die Geschichten aus Kriegs- und Fluchtgebieten hält.