Mutige Bischöfe in Mexiko gesucht
Mexiko ist nach Brasilien weltweit das Land mit den meisten Katholiken – und ein Land, in dem seit Jahrzehnten ein grausamer Drogenkrieg tobt. Journalisten, die sich für Menschenrechte einsetzen, leben gefährlich. Viele wünschen sich mehr Rückhalt von der katholischen Kirche.
"Angst liegt in der Luft. Journalisten wissen nicht, ob sie durch die Veröffentlichung ihrer Artikel in Gefahr geraten könnten."
Der Menschenrechtsanwalt Gabriel Soto sagt, Mexiko sei nach Pakistan und dem Irak der weltweit gefährlichste Arbeitsplatz für Journalisten. Soto:
"Man weiß nie, wer sich über was ärgert. Du fragst dich: 'Könnte es sein, dass jemand wütend ist, weil ich dieses oder jenes Foto einer Schießerei veröffentlicht habe?' So entsteht eine Atmosphäre der Selbstzensur."
Seit dem Jahr 2000 wurden in Mexiko 89 Reporter, Fotografen und Korrespondenten ermordet, viele erschossen, andere erwürgt, gefoltert, zerstückelt und ihre Leichen in Müllbeuteln weggeworfen.
"In den meisten Fällen gehen die Aggressionen von Staatsangestellten aus, von Leuten, die für die öffentliche Sicherheit arbeiten sollen, für das Justizsystem. In dieser Situation stellt sich für Journalisten die Frage, bei wem sie Unterstützung suchen können."
Passive Haltung historisch begründet?
Eine der einflussreichsten Institutionen in der mexikanischen Gesellschaft ist die katholische Kirche. Sie hätte die Möglichkeit, einen deutlichen Beitrag zu leisten, damit Journalisten ohne Angst ihrer Arbeit nachgehen können, meint Schwester Leticia Gutierrez, Missionarin und Direktorin einer Flüchtlingsorganisation.
"Es gibt dieses verquere Denken, dass die Kirche sich nicht in die sozialen Probleme der Menschen einmischen soll, weil das schnell politisch wird. Und Politik und Religion müssen angeblich strikt getrennt bleiben. Das halte ich für eine der schlechtesten Ausreden, die ein Priester vorbringen kann, um nicht Stellung für die Opfer zu beziehen und für die Menschen, die in diesem Land misshandelt werden."
Diese passive Haltung der Kirche sieht Schwester Leticia historisch begründet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden Katholiken in Mexiko verfolgt, Gläubige und Priester ermordet. Das Verhältnis zwischen Staat und Kirche blieb lange sehr distanziert.
"Zu einer wirklichen Veränderung kam es erst im Jahr 1994, als die Ein-Parteien-Diktatur der Partei PRI beendet wurde. Danach begann eine Phase der Versöhnung zwischen Staat und Kirche. Damit kann man erklären, weshalb sich die Kirche heute so sehr zurückhält. Sie will eine erneute Verfolgung vermeiden."
"Daran gewöhnt, in der Kuppel der Macht zu leben"
Im Jahr 2012 kam die PRI-Partei wieder an der Macht. Seitdem hat die Gewalt gegen Journalisten deutlich zugenommen, aber die Kirche schweigt. Nach Meinung des Menschenrechtsanwalts Gabriel Soto hat das ganz profane Gründe.
"Die Kirchenoberen haben sich daran gewöhnt, in der Kuppel der Macht zu leben. Dort, wo die Menschen eine Bildung an Privatschulen genießen und zu der Oberschicht Mexikos gehören. Der Klerus ist Teil dieses Zirkels, in dem es unangenehm ist, bestimmte Themen anzusprechen. Man will ja nicht den Platz am Tisch der Macht gefährden."
Die katholische Reporterin Yohali Reséndiz hat sich trotz Gefahr und mangelnder Unterstützung entschieden, in ihrer Berichterstattung eindeutig Stellung zu beziehen für die wehrlosesten Opfer und gegen die Täter.
"Vor Kurzem habe ich die Geschichte eines dreizehnjährigen Mädchens erzählt, das von einem Kongressabgeordneten misshandelt wurde. Der Politiker hat sie eindeutig vergewaltigt. Aufgrund meines Berichts verlor er sein Amt und hat heute keine politische Zukunft mehr. Den Namen Yohali Reséndiz wird er nicht vergessen."
Solche Recherchen sind gefährlich. Yohali Reséndiz bekommt immer wieder Morddrohungen oder einschüchternde E-Mails mit Fotos von Vergewaltigungen. Einmal lag ein Leichensack vor dem Haus ihrer Mutter, mit der Ankündigung, den könne sie bald für den Körper ihrer Tochter nutzen.
Mexikos Medienwelt ist geprägt vom Machismus
Frauen haben sowieso einen schweren Stand in Mexikos Medienwelt, die geprägt ist vom Machismus. Doch Yohali Reséndiz hat sich durchgesetzt. Ihr hartnäckiges Engagement wird auch von männlichen Kollegen anerkannt.
"Sie ist wie eine Kriegerin. Es gibt viele Reporter, aber keiner ist wie sie. Sie wühlt sich hinein in die Nachricht. Sie verbindet die journalistische Arbeit mit der Unterstützung der Opfer, über die sie berichtet. Für sie geht die Recherche so lange weiter, bis eine Lösung gefunden ist."
Auf die katholische Kirche kann Yohali Reséndiz bei ihrer Arbeit nicht zählen. Sie ist enttäuscht, wie wenig Unterstützung Opfer von Menschenrechtsverletzungen hier erhalten.
"Wer in eine Kirche geht, sucht Trost. Der Priester sollte sagen: 'Mein Kind, was brauchst du? Wie kann ich dir helfen?' Aber er sagt: 'Geh hin und bete.' Das bringt keine Lösung."
"Dieses Schweigen macht sie zur Komplizin der Gewalt im Land"
Leticia Gutierrez:
"Ich sehe es genauso wie viele Journalisten. Sie klagen, ihre Kirche schweige nun schon seit zwei Jahrzehnten. Dieses Schweigen macht sie zur Komplizin der Gewalt im Land. Es fehlt an Priestern, die uns verteidigen, die sich gegen die Ungerechtigkeiten aussprechen und gegen das Böse. Zum Beispiel kann ich mich nicht an eine einzige Äußerung eines Bischofs zu den Morden an Journalisten erinnern."
Aber Schwester Leticia weiß, dass die Kirche nicht nur aus Bischöfen und Priestern besteht. In ihren Reihen finden sich auch mutige Menschen, die sich solidarisch zeigen.
"An der Basis gibt es viele Katholiken, die Journalisten dabei unterstützen, wahrhaftige Nachrichten zu verbreiten. Ich kann ihnen nur raten, über die offizielle Haltung der Kirche hinauszuschauen, dann werden sie Menschen finden, die mit ihnen gehen wollen. Sie sind nicht allein."