Erdogan sieht sich als "Fleisch gewordener Staat"
Präsidentenbeleidigung ist ein schwerwiegender Befund in der Türkei, der auch eine Haftstrafe nach sich ziehen kann. Cigdem Akyol, deutsche Korrespondentin in Istanbul, arbeitet derzeit an der ersten deutschen Erdogan-Biografie. Wie schreibt es sich in diesem Klima?
Seit dem 4. Dezember steht ein türkischer Arzt vor Gericht: Weil er seinen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan mit der Tolkienschen Figur des "Gollum" aus "Der Herr der Ringe" verglichen hat, droht ihm eine zweijährige Haftstrafe wegen Präsidentenbeleidigung. Dieser Befund wiegt schwer in der Türkei, hunderte Ermittlungsverfahren der letzten Monate stützen sich allein auf diesen Vorwurf.
Wie schreibt man in diesem Klima eine Erdogan-Biografie? Vor allem als deutsche Korrespondentin in Istanbul, der als Vertreterin der kritisch beäugten Auslandspresse keine Interviews mit dem Präsidenten gestattet werden? Darüber sprachen wir mit der Journalistin und Buchautorin Cigdem Akyol, die derzeit an der ersten deutschen Erdogan-Biografie arbeitet.
Hass-Post und Drohungen gehören dazu
"Wir Auslandskorrespondenten, da bin ich nicht alleine, wir bekommen regelmäßig Hass-Post von Erdogan-Befürwortern, seinen Unterstützern", so Cigdem Akyol, "da bekommt man dann auch Drohungen, das ist Alltag, der gehört dazu bei unserem Job dort in der Türkei."
Es gebe Auslandskorrespondenten, die schon ausgewiesen wurden. Und auch türkische Medien, die noch unabhängig seien, würden zunehmend in die Ecke gedrängt und juristisch belangt. Doch sie spielen sowieso nur eine untergeordnete Rolle.
80 Prozent der Medien gleichgeschaltet
"Mittlerweile gehörten 80 Prozent der Presse direkt oder indirekt zu der Familie Erdogan - und ist ihm hörig, berichtet das, was er hören will."
Die Situation sei durchaus mit Putin in Russland vergleichbar, meint die Erdogan-Biografin.
"Die beiden sind ja auch Brüder im Geiste. Beide verachten die Demokratie, beide verachten die Pressefreiheit, und beide sehen sich als Fleisch gewordener Staat."