Ein Hilferuf für die verfolgten Jesiden
Die Berliner Journalistin Düzen Tekkal hat im Nordirak einen Dokumentarfilm über die Verbrechen des IS an den Jesiden gedreht. Er heißt "Hawar – Meine Reise in den Genozid". Damit hat sie verstörende Geschichten aus der Heimat ihrer Eltern eingefangen.
Die erschreckenden Erlebnisse lassen Düzen Tekkal nicht mehr los, die Wahlberlinerin wird zur Stimme ihrer eigenen Religionsgemeinschaft. Denn sie ist auch Jesidin und eine der ersten, die im Sommer 2014 über den Genozid an ihrem Volk berichtet. Je öfter sie nun ihre Kamera in die Hand nimmt, umso häufiger wird sie zur Chronistin der Gräuel der IS-Kämpfer, die sie vor allem an jungen Frauen verüben:
"Ich erinnere mich an eine Jesidin, die war 18. Die hat von ihrer kleinen Schwester erzählt, einer Neunjährigen, die abgeholt worden ist von IS-Kämpfern, wohlwissend, dass sie vergewaltigt wird. Dramatisch für die junge Jesidin, die natürlich gesagt hat, nehmt mich, was wollt ihr von meiner kleinen Schwester. Sie hat stundenlang ausgeharrt, bis ihre Schwester verstört zurückgebracht wurde und als Sexsklavin missbraucht wurde. Wie soll man so was beschreiben, systematische Vergewaltigung von achtjährigen Mädchen?"
Noch weitere verstörende Geschichten fängt die Dokumentarfilmerin ein auf ihrer ersten Reise zu den Wurzeln ihrer Vorfahren. Schon als Kind träumte Düzen Tekkal davon, einmal die Dörfer ihrer Großeltern zu besuchen. Doch aus ihrer geplanten Spurensuche zu den heiligen Stätten der Jesiden wird eine Reise in den Krieg:
"Die Tatsache, dass die Religion meiner Vorfahren, meiner Eltern und damit auch meine Religion mit Waffengewalt verteidigt werden muss, hat mich dann auch ganz klar positioniert. Und das hat auf jeden Fall mein Bewusstsein sensibilisiert, dass die Stimme der Jesiden zu lange unerhört war. Deswegen heißt der Film auch 'Hawar' – Hilferuf. Das Traurige und Motivierende für mich an dieser traurigen Geschichte ist, dass ich den Eindruck habe, dass wir endlich gehört werden."
Verantwortung für das Leben übernehmen
Die Auseinandersetzung mit dem Genozid und der Geschichte immer wiederkehrender Verfolgungen hat Düzen Tekkal schmerzlich nahegebracht, was es heißt, Jesidin zu sein. Das trübt auch das sonst so fröhliche Ida-Ezi-Fest – so etwas wie jesidische Weihnachten – dass sie mit ihren Eltern und zehn Geschwister jedes Jahr in Hannover feiert. Hier wurde Düzen Tekkal 1978 geboren. Ihr wichtigstes Vorbild ist bis heute ihr Vater, eine Art Kulturbotschafter der Jesiden in Deutschland. Vor 45 Jahren zog er mit Düzen Tekkals Mutter aus der Türkei nach Deutschland:
"Menschen, die mich gut kennen, sagen, dass mein Vater der wichtigste Mensch in meinem Leben ist. Als Vierjährige hat er mich schon mitgenommen in den niedersächsischen Landtag, wo ich den Debatten beiwohnen konnte. Welcher deutsche Vater macht das?"
Mit den Besuchen des Landtags verfolgt ihr Vater einen großen Wunsch: Düzen Tekkal – lange schwarzbraune Haare, dunkelbraune Augen – sollte Politikerin werden, um sich vielleicht einmal für die Interessen der Jesiden einzusetzen. Also studierte die heute 38-Jährige Politik und Literaturwissenschaft und schließt mit "sehr gut" ab, angetrieben von einem gesunden Ehrgeiz, zu dem sie ihre Mutter angestachelt hat:
"Meine Mutter ist pragmatisch und eine Frau, die mit den Händen denkt und hat eine sehr ausgeprägte emotionale Intelligenz. Und meine Mutter hatte einen Leistungsdrill, das wünsche ich keinem, weil man sehr sehr stark sein musste dafür. Meine Mutter hat uns von Kindesbeinen dazu erzogen, Verantwortung zu übernehmen für unser Leben, unsere Rechte einzufordern."
Und die fordert Düzen Tekkal nun ein für die jesidische Glaubensgemeinschaft. Mit ihrem Film, mit Interviews und Talkshowauftritten – mit dem Ziel, die Unterdrückung der Jesiden öffentlich zu machen und beenden zu helfen.