Ihr Anti-Rassismus spaltet Frankreich
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Rokhaya Diallo ist Frankreichs prominenteste Anti-Rassistin. Sie ist Journalistin, Dokumentarfilmerin und sehr erfolgreiche Podcasterin. Mit scharfer Kritik an ihrem Land, in dem auf dem Papier alle gleich sind, eckt Diallo ordentlich an.
Rokhaya Diallo steht am Bassin de la Villette, einem Kanal im Nordosten von Paris, da, wo sie sich in ihrer Stadt am wohlsten fühlt. Sie hat ihre Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Es regnet in Strömen.
"Das 19. Arrondissement ist eine total gemischte Gegend. Es ist toll, hier kann man an einer Synagoge vorbeikommen, an einem koscheren Schlachter, dann an einer Moschee und einem chinesischen oder vietnamesischen Laden. Das macht wirklich dieses Arrondissement aus. Es ist so vielfältig."
Doch es regnet so stark, dass wir uns schnell in ein Café setzen. Rokhaya Diallo ist gerade von einer Konferenz in Amsterdam zurückgekommen, noch am Nachmittag geht es für sie nach Grenoble, am nächsten Tag gleich weiter nach Genf. Auch über Frankreich hinaus hat sie sich als Anti-Rassistin einen Namen gemacht. Dabei hat sie sich lange eher als Globalisierungskritikerin und Feministin engagiert.
"Ich habe immer gedacht, dass ich dazugehöre in diesem Land, aber irgendwann habe ich gemerkt, dass man mich anders wahrnimmt, mich anders behandelt als andere, einfach wegen der Farbe meiner Haut. Erst durch den Blick der anderen habe ich gemerkt, dass ich schwarz bin. Der Rassismus wäre für mich niemals so sichtbar geworden, wenn man mich nicht auf diese Art wahrgenommen hätte."
Rokhaya Diallo spricht schnell, fast als würde sie zu selten zu Wort kommen. Dabei ist sie in Diskussionsrunden im Radio und Fernsehen nahezu omnipräsent – aber eben fast als einzige schwarze Frau. Noch immer schafften es Fernsehen, Kino und die Kultur ganz allgemein nicht ansatzweise, die französische Gesellschaft in ihrer Vielfalt abzubilden, sagt sie – sie seien bis heute von der bürgerlichen Elite dominiert.
Ohne Komplexe
Ihr Geld verdient Diallo als Journalistin. Großen Erfolg hat sie mit "Kiffe ta race" – "Steh auf deine Race" – einem Podcast, den sie mit ihrer Kollegin Grace Ly moderiert: "Bonjour Rokhaya! – Bonjour Grace! Herzlich willkommen zu 'Steh auf deine Race'. Wir tauchen ein in alle Fragen, die die Race betreffen. Wir sprechen über Araber, über Asiaten, über Schwarze, über Roma und sogar über Weiße, ohne Komplexe."
Sie beschäftigen sich in ihrem Podcast mit der Liebe, mit weißen Privilegien, mit Polizeigewalt – mit allem, was mit Identität und Race zu tun hat. Jeder Gast wird gleich am Anfang gefragt, wo er sich in Bezug auf die Race einordnet, ob nun aus eigener Überzeugung oder weil die anderen ihn so wahrnehmen. Was bist du: Weiß? Schwarz? Arabisch? Asiatisch? Allein die Frage: eine Provokation in Frankreich.
"In Frankreich haben wir diesen Mythos des Universalismus", sagt Rokhaya Diallo, "eine schöne Idee, in der Theorie: Auf dem Papier sind wir alle gleich. Aber auf der Straße werden schwarze Personen dann als schwarz wahrgenommen und diskriminiert. Mit unserem Alltag hat der Universalismus nichts zu tun. Aber darüber spricht man in Frankreich kaum – als ob das Land darüberstehen würde. Wenn wir in unserem Podcast jetzt aber ausdrücklich über Race sprechen, dann wird das als Angriff auf die Republik verstanden."
Schlechter Zugang zu Bildung, Wohnraum, Arbeit
Rokhaya Diallo spricht von staatlichem Rassismus: Für einen jungen schwarzen oder arabisch-stämmigen Mann ist das Risiko, von der französischen Polizei kontrolliert zu werden, 20-mal so hoch wie für den Rest der Bevölkerung. Sie haben einen schlechteren Zugang zu Bildung, zu Wohnraum, zum Arbeitsmarkt. Doch Diallos Analyse spaltet das Land. Die einen verehren sie als Vertreterin des modernen Frankreich, als die neue Frau aus Paris, stark, modebewusst, aber eben nicht weiß. Für die anderen dagegen tritt sie die Werte der Republik mit Füßen.
"Man schätzt hier Vertreter von Minderheiten, wenn sie sich in der Öffentlichkeit äußern und dankbar sind", sagt sie. "Zum Beispiel dafür, dass Frankreich ihnen so tolle Möglichkeiten geboten hat. Ich sage so etwas aber nicht – und das provoziert. Ich höre immer, wie arrogant und undankbar ich sei. Würde man das einem weißen Journalisten vorwerfen? Wohl kaum. Ich soll einfach damit zufrieden sein, dass ich hier sein darf. Ich finde aber, dass ich hier hingehöre."
Zuletzt ist sie als Gastforscherin an die Georgetown University in Washington DC berufen worden – für sie eine Auszeichnung. "Ich werde Frankreich nicht verlassen", sagt Rokhaya Diallo. "Klar, ich werde mit der Stelle öfter in Washington sein müssen – aber noch bin ich in Frankreich. Und egal, wo ich auf der Welt bin, ich werde immer Französin bleiben. Und ich werde mein Land immer im Blick behalten."