Joyce Carol Oates: "Pik-Bube"

Eine Hommage an Stephen King

Joyce Carol Oates: "Pik-Bube"
"Pik-Bube" - ein äußerst amüsanter Horrorthriller der renommierten US-Autorin Joyce Carol Oates. © dpa / Jan Woitas / Droemer
Von Kolja Mensing |
Ein Schriftsteller schreibt nette Krimis - und unter Pseudonym brutalen Schund. Joyce Carol Oates' "Pik-Bube" basiert nicht nur auf einem Plagiat, sondern ist selbst eines - mit Stephen King in der heimlichen Hauptrolle.
Andrew J. Rush ist der nette Schriftsteller von nebenan. Er lebt in einem liebevoll restaurierten Haus in Harbourton, New Jersey, und schreibt geschmackvolle Krimis, die sich ausgesprochen gut verkaufen. Doch Rush hat noch eine andere Seite: Nachts verfasst er unter dem Pseudonym Pik-Bube in rauschartigen Zuständen verstörend brutale "Pulp Fiction". Dieses sorgsam austarierte Produktionsmodell hat über Jahre hinweg gut funktioniert. Dann bekommt Rush eine Vorladung zu einem Gerichtstermin. Eine ältere Dame beschuldigt ihn, ein Plagiat begangen zu haben, und die Fassade des freundlichen Erfolgsschriftstellers beginnt zu bröckeln.
Während Rush noch überlegt, ob er einen Anwalt hinzuziehen soll, meldet sich die Stimme seines Alter Egos zu Wort. "Bring sie einfach um", flüstert ihm Pik-Bube ins Ohr: "Sie stirbt, und du bist außer Gefahr."

Eine Episode aus dem Alltag der Autorin

Joyce Carol Oates - die in diesen Tagen 80. Jahre alt wird - hat mit "Pik-Bube" einen schmalen, gerade mal 200 Seiten langen Horrorthriller geschrieben, der auf eine Episode aus dem Alltag der Autorin zurückgeht. Vor gut fünfzehn Jahren zog Oates nach Princeton, New Jersey, wo sie kreatives Schreiben unterrichtet.
Kaum hatte sie sich in der Stadt niedergelassen, wurde sie vor Gericht geladen. Eine Frau namens Anne Hiltner beschuldigte sie, Details ihrer Biografie in ihren Romanen verwendet zu haben. Schnell stellte sich heraus, dass die Klägerin ähnliche Vorwürfe gegenüber Norman Mailer und John Updike erhoben hatte – und dass im Mittelpunkt ihres Feldzugs ausgerechnet Stephen King stand.
Zu einem Urteil kam es nie, und nachdem eine gewisse Zeit verstrichen war, entschloss Oates sich, aus der Angelegenheit einen Roman zu machen - in dem ein Schriftsteller durch Plagiatsvorwürfe aus der Bahn geworfen und zum Mörder wird.

Ausgesprochen amüsanter Horrorthriller

Das Ganze ist ausgesprochen amüsant, auch weil Stephen King die heimliche Hauptrolle in "Pik-Bube" spielt. Sein Name fällt gleich auf den ersten Seiten: Andrew J. Rush leidet darunter, dass er von Kritikern als "Stephen King für Bildungsbürger" bezeichnet wird. Neidisch schielt er auf die Verkaufszahlen des Konkurrenten, und seine Entscheidung, sich ein Pseudonym zuzulegen, hat seinen Grund darin, dass King eine Zeit lang als "Richard Bachmann" veröffentlicht hat.
Als Rush mit den Plagiatsvorwürfen konfrontiert wird und die Stimme seines dämonischen Alter Egos immer lauter wird, nimmt diese Identifikation immer obsessivere Züge an. Aber die elegante Pointe dieses schmalen, gerade mal 200 Seiten umfassenden Romans besteht darin, dass Stephen King darin nicht nur als Figur auftaucht, sondern darüber hinaus als Autor frech bestohlen wird.

Wer wird denn da plagiiert?

Das Grundgerüst der Geschichte von einem Schriftsteller, dessen Pseudonym ein Eigenleben annimmt, ist seinem Roman "Stark - The Dark Half" entnommen, der Einfall, dass ein Schriftsteller auf beunruhigende Art und Weise mit dem Vorwurf des geistigen Diebstahl konfrontiert wird, stammt - einschließlich einer getöteten Katze - aus Kings Erzählung "Das heimliche Fenster, der heimliche Garten", und wenn Rush beziehungsweise Pik-Bube seine Widersacherin mit einem Beil angreift, dann ist das natürlich eine Szene aus … – aber darauf sind Sie natürlich schon selbst gekommen.
Joyce Carol Oates' Roman "Pik-Bube", der auf einen Plagiatsfall beruht, ist also selbst ein kleines Plagiat – und eine augenzwinkernde Hommage an einen zehn Jahre jüngeren und noch einmal deutlich erfolgreicheren Kollegen.

Joyce Carol Oates: "Pik-Bube"
Aus dem Amerikanischen von Frauke Czwikla
Droemer, München 2018
206 Seiten, 19,99 Euro

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