Juan Guaidó über Venezuela

"Diese Krise wurde von der Regierung ausgelöst"

08:40 Minuten
Venezuelas selbsternannter Übergangspräsident Juan Guaidó während einer Rede in Buenos Aires
Venezuelas selbsternannter Übergangspräsident Juan Guaidó © AFP / JUAN MABROMATA /
Juan Guaidó im Gespräch mit Burkhard Birke |
Audio herunterladen
Venezuelas selbsternannter Übergangspräsident Juan Guaidó macht Fehler der Regierung für die Krise und den Stromausfall im Land verantwortlich. Die Nationalversammlung werde den Alarmzustand ausrufen, sagte er im Deutschlandfunk Kultur.
Burkhard Birke: Die Regierung beschuldigt Sie der Sabotage, Juan Guaidó, gemeinsam mit den USA sollen Sie den Stromausfall verursacht haben. Zu welchen Analysen kommen Sie und Ihre Experten? Was antworten Sie darauf?
Juan Guaidó: Deutschland sollte zunächst einmal wissen, dass es 2009 eine Stromkrise gab und deshalb 100 Milliarden Dollar investiert worden sind. 2013 wurde die Stromversorgung dem Militär unterstellt. Im Jahr 2017 hat das Parlament, dem ich vorstehe, versucht, die Verantwortlichen wegen Korruption zur Rechenschaft zu ziehen. Damals wurde das Klimaphänomen ‚El nino‘ verantwortlich gemacht, dann das Unternehmen Eguana, und jetzt wird von Cyberangriff gesprochen.
Das ist doch ein Witz! Sabotage ist, die Investitionsgelder geraubt zu haben, Sabotage ist, die humanitäre Hilfe nicht ins Land zu lassen. Für mich will sich das Regime von Maduro, des Diktators, nur entschuldigen, weil das, was sich jetzt in Venezuela abspielt, in seiner Verantwortung liegt. Wir werden nicht darauf reagieren, und die Dinge darstellen, wie sie sind.
Bis jetzt gibt es keine offizielle Darstellung der Ereignisse. Da ist die Rede von einem Hackerangriff, von elektromagnetischer Spannung. Bis heute gibt es keine formale Analyse eines Technikers in Venezuela.

Tote nach dem Stromausfall

Birke: Wie reagieren Sie, wie die Nationalversammlung auf die Notlage?
Guaidó: Wir werden den Alarmzustand ausrufen, die nötige Rückendeckung suchen und auf humanitäre Hilfe pochen. 17 Personen sind nach offiziellen, rund 60 nach inoffiziellen Angaben aufgrund des Stromausfalls gestorben.
Schon zuvor waren bis zum letzten Freitag 79 Menschen aufgrund verschiedener Stromausfälle im Land gestorben. Die humanitäre Krise in Venezuela verschärft sich. Wir suchen die Unterstützung der Bürger, um eine mörderische Diktatur zu beenden.
Venezuelan President Nicolas Maduro delivers a press conference at the presidential palace of Miraflores, in Caracas, Venezuela, 08 February 2019. Maduro said on Friday to be willing to meet with envoys of the international contact group promoted by some Latin American countries and the European Union (EU) that seeks to create the conditions to call new fair and free elections in the country. Maduro says he s willing to meet with international contact group !ACHTUNG: NUR REDAKTIONELLE NUTZUNG! PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: xCristianxHernßndezx AME287 20190208-636852488626350513
Venezuelas Präsident Nicolas Maduro © imago stock&people
Birke: Wäre jetzt nicht der Moment, eine Art "Waffenstillstand" auszurufen, mit Nicolas Maduro zu verhandeln, um ausländische Experten ins Land zu lassen, die den Schaden beheben helfen?
Guaidó: Wie soll das gehen, wenn die behaupten, es habe einen Hackerangriff gegeben? Wir haben mit Fachleuten in verschiedenen Ländern gesprochen, aber die Regierung besteht darauf, dass der Schuldige das Imperium USA ist!
Diese Krise wurde nicht durch einen Tornado oder eine Naturkatastrophe, sondern von der Regierung ausgelöst. Sie müssten also erst einmal die Ursache definieren und zugeben, dass sie die Krise zu verantworten haben.

Bewusstes Risiko

Birke: Waren Sie überrascht, dass Sie vergangenen Montag ins Land einreisen durften?
Guaidó: Ich bin mir des Risikos eines jeden Venezolaners bewusst, der sich traut, den Mund aufzumachen. Gewerkschafter werden inhaftiert, es gibt mehr als tausend Gefangene, es gibt politische Morde.
Ich war mir der Bedeutung bewusst, was meine Einreise bedeutet, aber es gibt internationale Unterstützung und die Unterstützung im Volk für eine gerechte Sache wie Demokratie und Freiheit. Und wie Sie sehen, mangelt es nicht nur an Nahrung und Medizin, sondern auch an Strom.
Der deutsche Botschafter in Venezuela Daniel Kriener (r.) steht bei einer Konferenz in der Nationalversammlung von Venezuela am 19.02.2019 neben dem venezolanischen Interimspräsidenten Juan Guaido.
Der deutsche Botschafter in Venezuela, Daniel Kriener, musste das Land verlassen © imago / TASS / Valery Sharifulin
Birke: Hat Sie die Ausweisung des deutschen Botschafters überrascht? Daniel Kriener hatte sie ja am Flughafen abgeholt?
Guaidó: Was sie mit dem deutschen Botschafter getan haben, ist eine Drohung, und zwar eine verbale. Sie haben keine Befähigung, jemanden zur Persona non grata zu erklären. Der Botschafter ist zu Konsultationen nach Berlin gerufen worden.
Angesichts der Situation ist das doch logisch: Es gibt politische Verfolgung, Journalisten werden eingesperrt. Kameras und Ausrüstungen werden beschlagnahmt wie im Fall von Jorge Ramos. Wenn ein Regime droht, dann weiß man, welche Konsequenzen das hat.

Druck ohne Gewalt ausüben

Birke: Mit welcher Strategie wollen Sie die Rückkehr Venezuelas zur Demokratie erreichen? Was ist Ihre Strategie in diesem Moment?
Guaidó: Druck, ohne Gewalt auszuüben: das war immer so. Kundgebungen, Forderungen nach Sozialem, nach Gerechtigkeit. Unser Ziel ist es, die Bürger zu mobilisieren, unabhängig von Parteien, das Parlament, die Zivilgesellschaft, die Gremien, die Gewerkschaften, die Studenten, die Jugend, die Kirche. Ein friedlicher Übergang würde helfen, das Land schnell zu stabilisieren, es zu demokratisieren, um freie Wahlen abzuhalten.
Birke: Sie fordern immer wieder das Militär, nicht die Führung, sondern vor allem die mittleren und unteren Ränge, auf, die Verfassung zu respektieren und Ihnen auf dem Weg in die Demokratie zu folgen. Wie reagieren die? Denn bisher bleibt das Militär treu bei Nicolas Maduro?
Nach dem landesweiten Stromausfall: Menschen laufen durch die dunklen Straßen von Caracas.
Der Stromausfall in den Straßen von Caracas macht den Menschen seit Tagen zu schaffen. © AP /ariana Cubillos / dpa-Bildfunk
Guaidó: Das weiß ich nicht, aber es gibt 600 Soldaten in Cucuta, Kolumbien. Gestern konnten wir in Caracas frei demonstrieren, trotz vorheriger Versuche, die Demo zu unterbinden. Auch die Militärs haben die Nase voll - wie ganz Venezuela. Die mittlere Kommandoebene ist in meinem Alter, das sind junge Kerle mit Familie, verzweifelt, weil sie nicht von ihrem Sold leben können.
Es gibt eine Führung, die die Macht entführt hat, von Kubanern unterstützt wird und z.B. die humanitäre Hilfe verhindert hat und keine gesunde Beziehung erlaubt. Ich bin sicher, 80 %, wenn nicht 85 %, wollen einen Wechsel im Gegensatz zum Oberkommando.

Weg zu freien Wahlen

Birke: Könnten Sie den hochrangigen Militärs Garantien, Amnestie gewähren für von ihnen begangene Korruption, Drogenhandel und Menschenrechtsverletzungen?
Guaidó: Ich nicht, aber das Parlament prüft gerade ein Amnestie- und Garantiegesetz – nicht für das gesamte Militär, das würde keinen Sinn machen, sondern die Einzelfälle müssten betrachtet werden, um die Stabilität und Regierbarkeit des Landes zu garantieren. In vielen Ländern ist eine solche Übergangsjustiz geschaffen worden, allerdings ohne Amnestie für Menschenrechtsverletzungen.
Birke: Können Sie sich eine Situation vorstellen, in der Sie gemäß Artikel 187 -11 der Verfassung um ausländische Militärhilfe ersuchen?
Guaidó: Es handelt sich um internationale Kooperation in Venezuela. Die einzige Militärintervention ist die kubanische! Was wir suchen sind: Geringere soziale Kosten, Stabilität, Regierbarkeit, Wiederherstellung der Institutionen. Wie viele Menschen sind seit Freitag wegen dieses skrupellosen Regimes gestorben? Wir prüfen alle Optionen, werden das Beste tun, um unser Volk zu wirklich freien Wahlen zu führen.
Birke: Heißt das Nein zu einer Militärintervention von Donald Trump?
Guaidó: Die Frage auf eine Militärintervention durch einen Präsidenten zu reduzieren, erscheint mir nicht korrekt. Wir sprechen von Entscheidungen von Venezolanern, die seit Jahren gekämpft haben, um Mehrheiten zu bilden, um politische Parteien zu haben, das Parlament zu erobern, das mir die Gelegenheit gibt, eine Präsidentschaft auszuüben bis es freie Wahlen gibt. Wir sprechen von der Kraft, die nötig ist, um eine Diktatur zu besiegen – und in diesem Sinne werden wir über alle Optionen sprechen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema