Juan S. Guse: "Miami Punk"

Eines der ungewöhnlichsten Bücher zurzeit

04:47 Minuten
"Miami Punk" von Juan S. Guse
Je länger man "Miami Punk" liest, desto weiter scheint sich der Roman in den eigenen Alltag zu fressen. © S. Fischer Verlag/Franck Charles, Unsplash
Von Marten Hahn |
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In Miami ist auf einmal das Meer weg, geblieben ist eine verwirrte Stadt. Juan S. Guse erzählt in "Miami Punk" in experimentellen Fragmenten von lethargischen Arbeitern und Realitätsverweigerern. Erst spät wird daraus ein magisches Bild.
Es dauert lange, bis man weiß, ob Miami Punk großer Mist oder großes Kino ist. Sehr lange. Denn Juan S. Guse macht es seinen Lesern nicht leicht. Der Autor hat seinen neuen Roman als Puzzle konzipiert. Die Teile liegen verstreut im Buch herum. Es dauert, bis man darin ein Bild erkennt.
Miami Punk ist der zweite Roman des 1989 geborenen Autors. Es ist ein Buch darüber, was mit einer Stadt am Meer passiert, wenn das Meer verschwindet. Der Atlantik vor Miami hat sich von einem Tag auf den anderen zurückgezogen. geblieben ist eine verwundete, verwirrte Stadt. Der Strand ist nun Wüste, der Meeresboden ein Gebirge und der Alltag der Menschen in Miami wird zersetzt von eigenartigen Phänomenen. Eine Aligatoren-Plage ist da noch das kleinste Problem.
Wir begegnen zunächst Robin, einer Programmiererin mit einem Faible für experimentelle Computerspiele. Die junge Frau bastelt an einem Spiel namens "Das Elend der Welt". Das Programm ist zugleich ein Virus, das sich Zugriff auf die persönlichen Dateien der Spielenden verschafft und ihre Daten ins Spiel einfließen lässt.

Perspektivwechsel und Ratlosigkeit

Doch kaum haben wir die Protagonistin kennengelernt, schwenkt Guse um. Wieder und wieder wechselt die Perspektive. Wir treffen auf eine Gruppe E-Gamer aus Wuppertal, die für ein Counterstrike-Turnier in der Stadt ist. Wir erfahren vom "Schlaf", dem große Teile der Bevölkerung verfallen sind. Wir bekommen Einträge aus einem "Katalog letzer Gedanken der fliegenden Dinge ohne Bedeutung" vorgesetzt. Eine Stellenanzeige der US-Küstenwache und Seiten ohne Satz- und Leerzeichen lassen uns lange ratlos zurück.
Nie erklärt Guse an Ort und Stelle, immer nur rückwirkend. Das heißt aber auch, dass es irgendwann Klick macht, wenn man lange genug durchhält. Ein Puzzleteil nach dem anderen fügt sich ein. Hinter dem "Schlaf" zum Beispiel verbirgt sich eine verheerende Realitätsverweigerung:
"Trotz aller Ereignisse, die das Gesicht der Stadt dauerhaft verändert hatten, ging vieles geradezu pathologisch weiter seinen Gang." Kündigungen, Rechnungen und überquellende Briefkästen werden ignoriert. Tausende Bürger gehen jeden Tag zur Arbeit und schlagen dort die Zeit bis zum Feierabend tot – selbst die Dockarbeiter, denen mit dem Meer die Schiffe abhanden gekommen sind.

Ein wunderbar schwer verdaulicher Roman

Grenzgänger zwischen Realität und Fantastik wie Julio Cortázar und Jorge Luis Borges lassen grüßen. Guse, der derzeit im Bereich Arbeits- und Organisationssoziologie promoviert, hat mit Miami Punk einen wunderbar schwer verdaulichen Roman geschrieben – über unsere Beziehung zur Realität, über unser Verhältnis zur Arbeit und über Computerspiele.
Je länger man liest, desto weiter scheint sich das Buch in den eigenen Alltag zu fressen: als sickere etwas in die eigene Wahrnehmung. Die Welt erscheint ein wenig bizarrer, ein wenig surrealer, begleitet von diesem Roman. Das macht Miami Punk zu einem der derzeit ungewöhnlichsten Bücher auf dem deutschen Markt. Ein Werk mit magischer Qualität.

Juan S. Guse: "Miami Punk"
Fischer Verlag, 2019
640 Seiten, 26,00 Euro

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