In diesem Krieg gibt es keinen Gott
Das Dresdner Triptychon von Otto Dix war in seiner Entstehungszeit Anfang der 30er-Jahre ein Objekt des Anstoßes, da es verstümmelte und zerschossene Körper im Ersten Weltkrieg zeigte. Heute gilt es als das Hauptwerk des Malers.
Erster Weltkrieg an der Front. Bomben, Schüsse und Raketen regnen auf das Schlachtfeld. In den Kampfpausen zieht ein junger Soldat Papier und Stift hervor und zeichnet. Ein "tüchtiger Gewehrführer“ sagen militärhistorische Quellen, die Öffentlichkeit kennt ihn eher als einen der bedeutendsten Künstler des 20. Jahrhunderts: Otto Dix.
"Es sind wirklich Hunderte von Zeichnungen, die an der Front entstanden sind. Selbst Künstlerkollegen haben sich gewundert, wie man an der Front so produktiv sein konnte. Er hat meist mit Kohle gezeichnet, auf quadratische Blätter. Und dieses quadratische Format ist auf den Zentimeter genau das Format, was der Tornister hatte."
Erzählt Birgit Dalbajewa, Kuratorin der Ausstellung. Vier Jahre hat Otto Dix die Gräuel des Krieges aus nächster Nähe miterlebt und alles haargenau in seinem Kriegstagebuch und zeichnerisch dokumentiert. Er wollte es so.
"Dix hat keinen Zweifel daran gelassen, dass die unmittelbare Beobachtung für ihn wichtig war. Er hat gesagt: Man muss selbst dabei gewesen sein, selbst gekreuzigt werden, um den Menschen in seiner Andersartigkeit zu verstehen."
Die Bilder des Krieges lassen ihn nie mehr los. Immer wieder greift er die damaligen Motive auf und verarbeitet sie in neuen Kunstwerken. Er sucht seine eigene Ästhetik, den Krieg darzustellen. Birgit Dalbajewa:
"Dix zeigt wirklich den Menschen im Krieg. Er zeigt wirklich im Schützengraben die Soldaten, die eine Granate getroffen hat. Er zeigt das unmittelbare Geschehen in dem Augenblick, wo man es eigentlich nicht im Sinne eines Angedenkens zeigt."
Reproduktion von Dix' verschollenem "Schützengraben" zu sehen
Ein Höhepunkt in seinem Schaffen ist zweifellos das Bild "Schützengraben“, das einen ungeahnten Proteststurm auslöste – ein Skandal, die Helden des Krieges so erbärmlich zu präsentieren. Das Bild ist verschollen und wurde für die Dresdner Ausstellung nun erstmals reproduziert. Tiefer noch als der Protest muss Dix der Vorwurf getroffen haben, "Schützengraben“ sei schlecht gemalt. Manche Fachleute sehen das Triptychon "Der Krieg“ deshalb als die Antwort des Künstlers auf diesen Vorwurf. Denn Dix beginnt seine Arbeit am Triptychon 1928, kurz nach seiner Berufung an die Dresdner Kunstakademie. Mit dem Professorentitel geadelt konnte keiner mehr an seiner Kompetenz zweifeln.
"Im linken Flügel des Triptychons sieht man die Soldaten in enger Reihung in den Krieg marschieren, man möchte fast sagen, in den Himmel. Zum anderen aber schließt sich diese Komposition der Marschierenden ganz dicht an an die Mitteltafel, die das Schlachtfeld zeigt. Über dem Schlachtfeld schwebt ein verwester Toter, ein Skelett, das gepfählt ist auf einen Stahlträger."
Die Mitteltafel ist eine Weiterentwicklung des verhöhnten Bildes "Schützengraben“ von 1923. Die rechte Tafel des Triptychons zeigt einen Soldaten, der einen Kameraden aus der Kampfzone schleppt und den Betrachter mit aschfahlem Gesicht anblickt. Es ist der Künstler selbst, der sagt: Ich habe das Unfassbare gesehen. In der Predella, der unteren Tafel, liegen Landser dicht hintereinander in einem Holzverschlag, die Ratten knabbern an ihren Stiefeln. Sind sie tot oder schlafen sie?
"Das ist eine Idee, die Dix eigentlich offen lässt. Er gibt für viele Deutungen Indizien an die Hand und das ist wohl auch die Stärke des Bildes insgesamt, dass es nicht eine Lesart für dieses Bild gibt."
Intensive künstlerische Auseinandersetzung mit eigenem Kriegseinsatz
Eindeutig ist der Verweis auf die christliche Theologie. Das Skelett weist auf einen Soldaten, der die Wundmale Christi trägt. Aber dieser liegt rücklings auf einem Leichenberg, tot, die Dornenkrone ist ihm vom Kopf gerutscht. Die Botschaft: In diesem Krieg gibt es keinen Gott. Das monumentale Triptychon steht im Zentrum der Jubiläumsausstellung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Sie spannt den Bogen von Dix' Kriegseinsatz über seine intensive künstlerische Auseinandersetzung mit dem Erlebten, die im Triptychon "Der Krieg“ kulminiert.
Und man kann sich ihm aus vielen Blickwinkeln nähern: über die Frontzeichnungen, über Originaldokumente zu Dix' Kriegsdienst, über seine Werke aus den 20er-Jahren, über die unzähligen Vorzeichnungen zum Triptychon oder über die anschaulich dargelegten Erkenntnisse, die Untersuchungen des Werks mit naturwissenschaftlichen Methoden zutage gefördert haben. Sie beweisen: Noch auf den Holztafeln hat Dix angedachte Motive verworfen und Maltechniken revidiert.
"Zum Schluss hat Dix diese Idee, in Schichten, die man trocknen lässt, altmeisterlich langsam zu arbeiten, verworfen und geht vehement mit dem Pinsel in einer Alla-prima-Malerei direkt auf die Leinwand und bringt eigentlich alles das, was er in seinem Schaffen vereint hat oder je probiert hat, in diesem Gemälde zusammen, also insofern kann man sagen, das ist auch sein Lebenswerk."
Als solches hat es auch Dix selbst gesehen. Da er befürchten musste, dass das Triptychon wie der "Schützengraben“ zu einem zentralen Bild in der Ausstellung "Entartete Kunst“ degradiert würde, brachte er es bei einem befreundeten Dresdner Unternehmer unter. Zum Glück, sonst wäre es heute wohl auch verschollen.