Wie Telemann die Musikwelt beeinflusst hat
2017 ist Telemann-Jubiläumsjahr: Im Juni jährt sich der Todestag des Barock-Komponisten zum 250. Mal. Ulrike Henningsen hat die Musikerin Dorothee Oberlinger getroffen, die als Telemann-Botschafterin nicht nur Konzerte geben wird.
Georg Philipp Telemann schrieb viele Werke für Blockflöte. Wer dieses Instrument zu spielen lernt, kommt meistens relativ schnell mit seiner Musik in Berührung. Das war auch bei Dorothee Oberlinger so:
"Ja, ich glaube, das müsste eine Blockflötensonate gewesen sein von Telemann aus dem 'getreuen Musikmeister', das war diese Monatszeitschrift, die Telemann herausgegeben hat. Davon hatten wir auch eine LP mit Franz Brüggen. Telemann-Sonaten hieß die. Das gefiel mir so wahnsinnig gut und das wollte ich dann auch spielen. Das ist diese F-Dur Sonate. (Singt vor: jambambam didi) ...und so weiter. Wenn ich die heute höre auch auf Wettbewerben, wenn junge Leute das spielen, dann denke ich – ja, das ist zwar so eine einfache, sangbare Melodie, aber die richtig charmant und gut zu spielen, ist gar nicht so einfach."
Der 1681 in Magdeburg geborene Georg Philipp Telemann war ein äußerst produktiver Komponist. Als Vielschreiber wurde er daher im 19. Jahrhundert oft abqualifiziert. Heute fällt dieses Urteil zum Teil anders aus. Im Zusammenhang mit der intensiven Beschäftigung von Barockmusik und der historischen Aufführungspraxis wird deutlich, welche Impulse von Telemann auf die damalige Musikwelt ausgingen:
Den "vermischten Geschmack" geprägt
Telemanns Zeitgenossen hoben immer wieder hervor, wie sehr der Musiker den sogenannten "vermischten Geschmack", den "goût mélangé" geprägt hat. Dabei fließen die verschiedenen europäischen Nationalstile des Barock ineinander. Telemann beherrschte die Kombination der typischen Merkmale perfekt.
Dorothee Oberlinger: "Der italienische Stil – das singende Element, aber auch das sehr virtuose und spritzige Element, dann den französischen Geschmack, also die Tanzmusik, die Orchesterouvertüren im Stil eines Lully – dann wieder die deutsche Musik, also die strenge, seriöse Kontrapunktik, Polyphonie vom Feinsten und nicht zuletzt eben auch das folkloristische Element, die polnische Musik, eben auch durch seine Aufenthalte in Polen."
In Sorau, dem heutigen Zary, in Polen spielte Telemann nicht in höfischen Kreisen, er ging auch in die Wirtshäuser und ließ sich von den dort spielenden Musikern inspirieren. Einflüsse dieser Zeit hört man zum Beispiel im letzten Satz seines e-Moll Doppel-Konzerts.
Dorothee Oberlinger: "Ich glaube, dass er wirklich sehr viel hintergründigen Humor hatte. Das kommt auch in seinen Autobiografien raus. Zum Beispiel schrieb er – seine Eltern wollten ja nicht, dass er Musiker wird, weil sie wahrscheinlich Angst hatten, er kommt unter die Räder – seine Mutter hätte Angst gehabt, dass er unter die Murmeltierführer geh, sozusagen auf den Jahrmarkt geht und mit irgendwelchen Tieren Experimente vollbringt und sie zum Tanzen bringt. Das habe ich mir so schön bildlich vorgestellt. Er hat dann ja Jura studiert. Und er war Autodidakt – er hat sich dann die ganzen Instrumente selber beigebracht. Das schreibt er auch. Blockflöte hat er sich beigebracht, Geige und im Prinzip auch das Komponieren. Das hat er auch ganz früh schon angefangen. Er hat dann so eine Schulmeister-Kantate geschrieben. Ich weiß nicht, wie alt er da war, vielleicht zwölf und hat dann erst mal in Frankfurt und dann auch später in Leipzig in dem Collegium Musicum, das er gegründet hat, mit den Studenten, um das Kammermusik zu machen, die Leute wirklich begeistert - bis er dann in Hamburg landete und dort bis zum Ende seines Lebens blieb."
Auch Reinhard Goebel ist Botschafter
Neben Dorothee Oberlinger ist auch Reinhard Goebel zum Telemann-Botschafter ernannt worden. Mit dem Geiger und Dirigenten und ihrem Ensemble 1700 hat die Blockflötistin bereits mehrfach zusammengearbeitet.
Dorothee Oberlinger: "Reinhard Goebel hat mal gesagt, dass man, wenn man Telemann und Bach vergleicht, es mit einer Nuss vergleichen kann. Telemann reibt so lange an der Nuss einer Schale, bis sie golden glänzt. Übersetzt heißt das, dass Telemann die Gewänder so interessant fand: Musik in Gewänder zu packen und auch mit der Mode zu gehen. Und Bach macht so lange an der Nuss rum, bis er endlich auf den Kern stößt. Das finde ich wirklich einen guten Vergleich."
Für die Blockflötistin bedeutet das nicht, dass Telemanns Musik nur von oberflächlichen Effekten geprägt ist:
"Telemann ist da viel flatterhafter, wahrscheinlich von seiner Persönlichkeit her und er hat ja auch viel länger gelebt als Bach und hat sich unglaublich stilistisch gewandelt. Kurz vor seinem Tod – mit der Ino-Kantate, die er geschrieben hat – da erreicht er schon frühklassische Gefilde. Das könnte auch von Haydn stammen. Er hat so viele Gesichter und Gewänder. Das macht diesen Komponisten aus. Es ist ein ganz eigener Personalstil. Diese Kritik, die es vor allem im 19. Jahrhundert gab, Telemann sei ein Vielschreiber gewesen, weil er auch wirklich sehr viel geschrieben hat, die geht einfach ganz an diesem Komponisten vorbei, weil die Qualität unglaublich ist, die er trotz dieser vielen Werke geliefert hat."