Jubiläumskonzert der Staatskapelle Berlin 1970

Zwischen Beethoven und Lenin

Das Opernhaus am Berliner Boulevard "Unter den Linden" in den 70-er Jahren fotografiert, in einem Moment, als einige Autos der Zeit am geweißten Gebäude vorbei fahren.
Die Staatskapelle Berlin wurde ursprünglich als kleines Ensemble für diverse Kirchendienste gegründet und bestand aus einer Handvoll Mitgliedern. © imago / Stana
Moderation: Stefan Lang |
200. Geburtstag Beethovens, 400 Jahre Orchester-Bestand und der 100. Geburtstag Lenins wurden in dem Konzert der Staatskapelle Berlin 1970 begangen. Am Pult: René Leibowitz, der ein guter Freund Dessaus war, dessen Lenin-Werk damals uraufgeführt wurde.
Das historische Konzert der Staatskapelle Berlin wurde am 16. Mai 1970 in der Staatsoper aufgenommen. Ein Jubiläumsfestkonzert mit erstaunlich viel Neuerer Musik.

Besonderes Programm

Das Programm ist im Rückblick spektakulär: Paul Dessaus Orchestermusik Nr. 3 - mit "Lenin" überschrieben - erklingt gleich zu Beginn. Groß besetzt mit dem Schlusschor "Grabschrift für Lenin" auf Worte von Bertolt Brecht. Dem folgt dann als DDR-Erstaufführung Arnold Schönbergs Orchestervariationen op. 31 als Verbeugung des 400 Jahre alten Klangkörpers vor dem Neuen. Und schließlich Ludwig van Beethovens 5. Klavierkonzert im Programm mit dem Pianisten Hans Richter-Haaser.
Um das nach seinen Koordinaten adäquat umsetzen zu können, verlangte der Gast am Pult, René Leibowitz, ungewöhnlich viele Proben, die ihm auch zugesprochen wurden.

Gast am Pult

René Leibowitz (1913-1972) war Komponist, Dirigent und Anwalt der Moderne mit festem Wohnsitz in Paris, der oft in den "Osten" eingeladen wurde.
Der Sproß einer litauisch-jüdischen Familie wurde 1913 in Warschau geboren. Als Jugendlicher zog er mit der Familie für kurze Zeit nach Berlin, im Zuge der Machtergreifung gingen sie nach Frankreich. Seit den 30er-Jahren begeisterte sich Leibowitz zunehmend für die Werke Schönbergs. Für ihn hatte die Musik des Schönberg-Kreises auch immer einen eindeutig politischen, antifaschistischen Anspruch.

Dirigentenfeuer für das Neue

Leibowitz galt als Antiromantiker par excellence. 1970 war er 57 Jahre alt. Er starb zwei Jahre später in Paris. Dieser Konzertabend wird eines seiner letzten Konzerte, wenn nicht gar das letzte in Berlin gewesen sein. Mit Paul Dessau verband Leibowitz eine enge und lange Freundschaft.
Der Komponist Paul Dessau dirigiert 1969 bei einer Probe das Orchester der Deutschen Staatsope.
Paul Dessau war Komponist und auch Dirigent, hier bei einer Probe der Staatskapelle Berlin im Jahr 1969.© Bierhals
Dessau, 20 Jahre älter, hatte den jungen Wilden 1936 in Paris kennengelernt, beide waren auf der Flucht, beide von Schönberg und von der kommunistischen Sache fasziniert.
In der Musikszene kursiert das Gerücht, dass Leibowitz Dessau in Sachen 12-Tonmusik unterwiesen hätte und Dessau ihm dann praktische Unterweisungen in Sachen Dirigieren gab. Dessau, der selbst dirigierte, vertraute dem Freund sein großes Werk an.
Historisches Konzert
Aufnahme vom 16. Mai 1970 in der Deutschen Staatsoper Unter den Linden, Berlin
Paul Dessau
Orchestermusik Nr. 3 "Lenin". Mit dem Schlusschor "Grabschrift für Lenin" auf Bert Brecht
Arnold Schönberg
Variationen für Orchester op. 31
Ludwig van Beethoven
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 5 Es-Dur op. 73

Hans Richter-Haaser, Klavier
Chor der Deutschen Staatsoper Berlin
Staatskapelle Berlin
Leitung: René Leibowitz

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