Unbequeme Stimmen einer Minderheit
In Deutschland gibt es nicht viele aktive jüdische Politiker – und doch sind sie in allen Parteien vertreten. Dort ecken sie häufig an, auch aufgrund ihrer Religion. Nicht alle trauen sich daher, ihre Herkunft öffentlich zu machen.
Marian Offman ist Jude - und in der CSU. Der 68-Jährige engagiert sich als Stadtrat in München:
"Ich glaube, dass die jüdische Bevölkerungsgruppe in der CSU sich in vielen Bereichen wiederfindet: In der Anerkennung der Religion, Anerkennung des Glaubens – und auch in der Akzeptanz dessen, was das Judentum für das Christentum ausmacht. Dass im Grunde sich das Christentum sich vom Judentum ableitet – Christlich Soziale Union. Also ich glaube, dass das, was ich mache, richtig ist."
Von der CSU bis zu den Piraten
Ganz anders denkt Vered Zur-Panzer, 44 Jahre alt und jüdische SPD-Politikerin. Die Stadtverordnete im hessischen Bad Vilbel kann sich eine Mitgliedschaft zum Beispiel in der CDU nicht vorstellen:
"Die CDU ist eine christliche Partei. Und es gibt jüdische Werte, die ich vertrete, die in der CDU nicht sind. Also die SPD steht für soziale Gerechtigkeit und für Toleranz. Die Armenfürsorge gibt's auch im Judentum, die wird auch sehr hoch geschätzt."
Marina Weisband wiederum möchte sich in keine etablierte Volkspartei einbringen. Die 28-jährige Münsteranerin war Politische Geschäftsführerin der Piratenpartei. Sie trat in die Alternativpartei ein, weil ihr unter anderem das Thema Bildung wichtig ist:
"Natürlich ist in der jüdischen Kultur das Thema Bildung ein sehr, sehr zentrales. Und die Piraten hatten es sich auch groß auf die Fahnen geschrieben - unter dem Stichwort der fließenden Schullaufbahn hatten die Piraten in Nordrhein-Westfalen ein ganz ausführliches Bildungsprogramm, das sich vor allem auf individuelle Fähigkeiten von Schülern konzentrierte. Das ist etwas, das mir aus meiner Kultur und Erziehung sehr nahe steht."
Ob in den Unionsparteien, bei den Sozialdemokraten, bei den Piraten oder den Grünen – Juden engagieren sich im gesamten politischen Spektrum. Doch nicht alle wollen, dass ihre religiöse Herkunft bekannt wird.
Die Herkunft nicht öffentlich gemacht
"Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben naturgemäß in der Flüchtlingspolitik nicht in allen Fragen die gleiche Auffassung ... 008
In der Hamburgischen Bürgerschaft steht eine blonde, 50-jährige Politikerin am Rednerpult und attackiert die rot-grüne Landesregierung: Karin Prien, stellvertretende Fraktionschefin der CDU. Der norddeutschen Öffentlichkeit ist bekannt, dass Prien den Senat oft hartnäckig zur Rechenschaft zieht – etwa für die Zustände in den Asyl-Unterkünften der Hansestadt. Oder weil es in Hamburg bei der Lehrerausbildung nicht vorangeht. Was allerdings niemand weiß: Prien ist jüdischer Herkunft.
"Ich habe jetzt für mich entschieden, dass es an der Zeit ist, das in der gebotenen Gelassenheit zu sagen, ohne es jetzt rauszuschreien. Das ist sicherlich bisher eher schwieriger gewesen, weil eben die Ängste in den vergangenen Jahrzehnten einfach immer noch da waren. Die Angst vor Antisemitismus, die Angst davor, doch irgendwie schräg angeguckt zu werden, die Angst vor Beklommenheit beim Gegenüber. Aber ich denke schon, dass es schon an der Zeit ist, dass wir ... wir Juden - jetzt sage ich es doch mal - damit so normal wie möglich auch umgehen."
Karin Prien, die hauptberuflich als Rechtsanwältin arbeitet, berichtet erstmals öffentlich von ihrer Familie, von Angehörigen, die während der NS-Zeit verfolgt wurden:
"Also meine Mutter erzählt immer wieder die Geschichte davon, dass sie drei Jahre alt war, als die Gestapo ihre Großmutter, also meine Urgroßmutter, abgeholt hat und die dann eben nach Sobibor gekommen ist und dort umgekommen ist."
Die Familiengeschichte prägt
Priens Urgroßmutter wurde in einem Vernichtungslager in Ostpolen ermordet, einer ihrer Großväter konnte hingegen gerettet werden – weil er in einem Krankenhaus versteckt wurde. Familien-Geschichten, die prägen:
"Also meine Mutter hat mir sehr früh nahe gelegt, über mein Jüdischsein oder meine jüdische Abstammung nicht zu sprechen und hat auch schon zum Ausdruck gebracht, dass sie jedenfalls Angst hätte, das öffentlich zu sagen. Und dass es eben noch immer sehr viele Menschen in Deutschland – wir reden jetzt über die 60er und 70er-Jahre – gibt, die antisemitisch sind – ja, das waren intensive Gespräche, die wir zu Hause geführt haben."
Karin Prien leitete daraus die Verpflichtung ab, wachsam zu sein – und sich zu engagieren. Sie wurde Klassensprecherin, später trat sie in die Junge Union ein. Zu ihrem zentralen Anliegen wurde der Einsatz für Minderheiten:
"Dass wir miteinander dafür einstehen, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, und zwar jedes einzelnen Menschen – egal ob Hamburger, ob Flüchtling, Deutscher oder Ausländer, das spielt alles überhaupt keine Rolle!"
In der Hamburger CDU-Fraktion, wo nur wenige Kollegen von Priens jüdischer Herkunft wissen, eckt die Abgeordnete mitunter an - wegen ihres konsequenten Einsatzes für Randgruppen und Bedürftige:
"In dem Zusammenhang mit den Ereignissen in der Silvesternacht gibt es viele Ängste, viele Verunsicherungen, aber es gibt eben auch Menschen, die daraus einen pauschalen Generalverdacht etwa gegen Menschen muslimischen Glaubens äußern. Und das ist schon immer etwas, wo ich mich immer dagegen verwehre."
Nicht alle in der CSU sind begeistert
Auch der CSU-Kommunalpolitiker Marian Offman setzt sich für Flüchtlinge ein: Er erinnert seine Parteikollegen immer wieder daran, dass Juden während der Shoah auch Verfolgte waren:
"München hatte 11.000 Jüdinnen und Juden 1933 - und 1945 waren es nur noch 200 oder was. Davon wurden 4500 ermordet – aber 6000 sind geflohen, sind emigriert und sie hätten nicht überlebt, wenn sie nicht als Flüchtlinge von anderen Ländern aufgenommen worden sind."
So stand der jüdische Politiker nun Tag für Tag am Münchner Hauptbahnhof und hieß – demonstrativ – die syrischen Flüchtlinge willkommen:
"Gleichwohl wissend, dass viele, die kommen, in einer Atmosphäre des Antisemitismus aufgewachsen sind und des Hasses gegen Israel, mit dem Ziel, Israel zu zerstören. Das ist natürlich eine etwas zwiespältige Situation. Aber ich glaube, dass der humanitäre Aspekt da im Vordergrund steht. Das ist aber auch von vieler Seite akzeptiert worden, und viele sagten auch, dass ich das Gesicht der CSU am Hauptbahnhof gewesen wäre."
Ein Jude als Gesicht der wertkonservativen Christlich Sozialen Union: Nicht allen Partei-Mitgliedern gefällt Offmans bedingungsloser Einsatz für die Geflüchteten:
"Ja, es gibt in der CSU schon Kollegen, die mich als linksradikal bezeichnen. Ich nehme das so hin, ohne dass ich jetzt sage: Du bist rechtsradikal (lacht). Aber natürlich, da gibt's auch in der Fraktion oft Situationen, wo ich dann fast alleine da stehe."
An Israel-Kritik scheiden sich die Geister
Nicht nur in der Union reiben sich jüdische Mitglieder an bestimmten Parteimeinungen. Sondern auch in der SPD. So reagiert die Hessin Vered Zur-Panzer empfindlich, wenn es um Israel-Kritik geht - die besonders bei linken Sozialdemokraten populär ist:
"Also ich hab da auch so mit der linken Seite der SPD meine Probleme. Israel kämpft um sein Existenzrecht und es ist auch nicht in Ordnung, die Produkte aus Israel zu boykottieren. Finde ich ganz falsch."
Die hessische Genossin, die sich in Bad Vilbel etwa für Kindergärten und Umweltschutz engagiert, hat 2007 den Arbeitskreis jüdischer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten mit ins Leben gerufen. Der bundesweite Zusammenschluss will an alte Traditionen anknüpfen – spielten doch einst bei der Gründung der SPD Juden eine besondere Rolle – wie Arbeiterführer Ferdinand Lassalle.
Abraham de Wolf: "Aus dem Judentum gibt es den Auftrag, die Welt zu verbessern. Tikun olam ist der Begriff. Das ist ein Begriff aus der Kabbala, also der jüdischen rationalen Mystik. Und das ist auch bei Ferdinand Lassalle gewesen. Er hat die Zustände gesehen – und wollte das nicht einfach hinnehmen."
Abraham de Wolf ist Sprecher des Arbeitskreises jüdischer Genossen. Er erinnert daran, dass damals - im 19. Jahrhundert – die Arbeiterbewegung dafür kämpfte, dass im Kapitalismus Privateigentum auch verpflichtet:
"Das war ja damals die Position der Fabrikeigentümer, die mit dem Argument der Vertragsfreiheit sagten: Ich kann bestimmen, wie in meiner Fabrik gearbeitet wird – unabhängig davon, ob es jetzt nun meinen Arbeitern gefällt oder nicht. Und daraus ist ja dann das Arbeitsrecht, Arbeitsschutz – und letzten Endes der Arbeitnehmer nicht als Untertan, sondern als Bürger entstanden."
Heute setzen sich die jüdischen Sozialdemokraten unter anderem dafür ein, dass die russischsprachigen Juden, die nach Deutschland gekommen sind, eine bessere Rente erhalten. Arbeiten die Genossen dabei mit Juden in anderen Parteien zusammen?
Abraham de Wolf: "Es ist eher so, dass wir von Juden in anderen Parteien hören, die hätten sowas gerne auch. Aber die haben nicht genügend Mitglieder dafür. Es gab auch schon Anfragen von Grünen und von Linken, ob sie bei uns mitmachen könnten. Aber das geht ein bissel zu weit. Die müssen das schon selber machen."
Beschneidung und Islam als Streitpunkte
Dass sich Juden in ihrer Partei mitunter allein fühlen – das kennt auch Marina Weisband. Zwar ist sie 2012 - wegen der Arbeitsbelastung - von ihrem Ehrenamt in der Piratenpartei zurückgetreten. Doch sie mischt sich weiterhin in politische Debatten ein. Legt sich Weisband allerdings - wegen ihrer Herkunft - mit anderen Piraten an, hat sie keine jüdischen Mitstreiter:
"Die Beschneidungsdebatte war etwas, wo ich wirklich – ich glaube zum ersten Mal – einen Konflikt hatte zwischen der Parteimeinung und meinem jüdischen Hintergrund. Ich habe versucht, zu erklären, welchen Stellenwert das Ritual der Beschneidung im Judentum hat, wie wichtig es ist für jüdisches Leben überhaupt. Und gerade hier hat sich die Piratenpartei seltsamerweise auf die genau entgegengesetzte Position gestellt und gesagt, dass man dieses Ritual verbieten muss. Ich habe dagegen gesprochen. Und ich habe mir damit sehr viel Feindschaft eingehandelt."
Marina Weisband, die in der Ukraine geboren wurde und in den 90er-Jahren mit ihren Eltern nach Deutschland kam, berichtet von weiteren Auseinandersetzungen - und zwar innerhalb der jüdischen Gemeinschaft. So müsse sie sich mit anderen russischsprachigen Juden streiten, die nun - aus Angst vor muslimischen Einwanderern – plötzlich Sympathie für Pegida zeigten:
"Dass dieses Thema hochgeschaukelt wird, dass jetzt lauter Antisemiten ins Land kommen und dass es kein Leben mehr für uns Juden hier gibt – das ist ein Ausspielen der einen Minderheit gegen die andere. Wenn jetzt jüdische Menschen mit Pegida mitmarschieren und glauben dadurch jetzt gute deutsche Bürger zu sein, die ihre eigene Sicherheit gewährleisten, sehen sie nicht, dass morgen die Pegida gegen sie marschieren wird."
Innerparteilicher Ärger – in der Beschneidungsdebatte. Innerjüdische Diskussionen – wegen der Flüchtlinge. Die Jüdin resümiert über ihr politisches Engagement:
"Ich werde immer zwischen den Stühlen sitzen und dazu gehört es auch, dass man angegriffen wird."
Angst vor Hass-Attacken
Berlin, Potsdamer Platz. In der sechsten Etage eines sandfarbenen Gebäudes: eine schwer gesicherte Tür mit mehreren Kameras. Der Sitz des American Jewish Committee - einer jüdischen Organisation, die weltweit gegen Antisemitismus kämpft. Die Berliner AJC-Chefin Deidre Berger kennt mehr als ein Dutzend Juden, die in der Kommunal-, Landes- oder Bundespolitik aktiv sind. Und Berger weiß, warum einige von ihnen lieber nicht über ihre Herkunft sprechen, aus Angst vor Hass-Attacken:
"Ich denke, es ist leider realistisch, dass Angriffe kommen werden, wenn jemand jüdisch ist und prominent in der Öffentlichkeit erscheint. Es ist nicht einfach, jüdisch zu sein und politisch aktiv zu sein und auch vorne zu gehen und auch anderen zu sagen: Ich vertrete das Land Deutschland. "
Das AJC, das zahlreiche Kontakte zu Parlamenten und Ministerien hat, kennt einen weiteren Grund für die Zurückhaltung einiger Mandatsträger, ihr Jüdischsein "an die große Glocke zu hängen"
Deidre Berger: "Man will natürlich nicht definiert sein als Politiker über die religiöse, ethnische Herkunft. Das ist verständlich. Es ist wichtig für Politiker, ihre Politik nach vorne zu bringen und nicht befangen zu sein in Diskussionen über ihr Jüdischsein."
Juden in der deutschen Politik: eine Ausnahme, eine Gratwanderung. Längst keine Normalität. Deidre Berger hofft, dass künftig mehr Vertreter der rund 200.000 Juden in Deutschland kandidieren, sich wählen lassen - sich einbringen in die große Politik:
"Es wäre gut in Deutschland, wenn Juden - aber auch andere Minderheiten, auch die türkische Minderheit, auch Leute aus der muslimischen Minderheit – einfach mehr aktiv werden im demokratischen Prozess. Ich glaube, diese Pluralität von Stimmen wird für die deutsche Demokratie sehr positiv."