Das Kippa-Experiment
Seit zweieinhalb Jahren trägt der Münchner Journalist Terry Swartzberg eine Kippa, wenn er auf der Straße unterwegs ist. Seine Freunde rieten ihm dringend davon ab, sich in Deutschland als Jude zu erkennen zu geben. Doch seine Erfahrungen waren ganz anders - ob in Berlin-Neukölln, München oder Zwickau.
Terry Swartzberg steht im Wohnzimmer seines Münchner Reihenhauses. Vor ihm auf dem Tisch liegt ein bunter Haufen jüdischer Kopfbedeckungen. Eine ist schwarz-weiß gefleckt, wie das Muster auf einem Fußball.
"Also, hier ist meine berühmte Fußball-Kippa, hier ist meine berühmte aboriginal aus Melbourne. Was ich hier gerade auf dem Kopf habe ist auch sehr süß mit einem wunderschönen Davidstern. Und das ist nur ein ganz kleiner Teil meiner Sammlung."
Mehr als dreißig Kippot – so der Plural von Kippa – besitzt Swartzberg mittlerweile. Freunde haben sie ihm aus den USA geschickt, manche hat er aus dem Urlaub mitgebracht. Früher hat Swartzberg die Kippa nur zum Gebet in der Synagoge und zu anderen religiösen Anlässen getragen. Bis zu jenem Tag, als ein Bekannter von ihm beerdigt wurde.
Mehr als dreißig Kippot – so der Plural von Kippa – besitzt Swartzberg mittlerweile. Freunde haben sie ihm aus den USA geschickt, manche hat er aus dem Urlaub mitgebracht. Früher hat Swartzberg die Kippa nur zum Gebet in der Synagoge und zu anderen religiösen Anlässen getragen. Bis zu jenem Tag, als ein Bekannter von ihm beerdigt wurde.
"Und wir verlassen dann den jüdischen Friedhof waren auf der Straße, wollten Richtung Mittagessen und dann habe ich gedacht, ok, ich behalte die Kippa einfach drauf. Das war 2012. Plötzlich schrien die anderen Gäste auf der Beerdigung: Runter mit der Kippa, du gefährdest uns! Und ich habe diese blanke Panik in ihrer Stimme gehört und habe gesagt, dass kann nicht sein, dass ich mit einem Fetzen Stoff erkennbar als Jude mich gefährde in Deutschland. Wenn das so ist, gehöre ich nicht hierher."
Die Reaktion der anderen jüdischen Gäste auf der Beerdigung machte Swartzberg stutzig. Der 61-Jährige Journalist wollte Gewissheit: Muss man sich in Deutschland fürchten, wenn man sich als Jude in der Öffentlichkeit zu erkennen gibt? Er entschloss sich zu einem Selbstversuch
Die Reaktion der anderen jüdischen Gäste auf der Beerdigung machte Swartzberg stutzig. Der 61-Jährige Journalist wollte Gewissheit: Muss man sich in Deutschland fürchten, wenn man sich als Jude in der Öffentlichkeit zu erkennen gibt? Er entschloss sich zu einem Selbstversuch
"Ich wollte sehen, wie es wirklich ist, mit einer Kippa quer durch Deutschland mein ganz normales Leben zu führen und zu erleben."
Keine Beleidigungen, keine bösen Blicke
Das war vor zweieinhalb Jahren. Seitdem trägt er eine Kippa wann immer er das Haus verlässt: zum Einkaufen, auf Reisen mit dem Zug oder wenn er seine kleine Tochter zum Schwimmunterricht bringt. Seine jüdischen Freunde und Bekannten rieten ihm ab.
"Die Erwartungen von meinen Glaubensgenossen waren rabenschwarz. Viele haben gesagt, ich würde innerhalb der ersten fünf Minuten angespuckt werden, andere haben gesagt, ich würde aufhören mit dem Experiment nach einem Tag wegen böser Erfahrungen."
Doch passiert ist nichts. Keine Übergriffe, keine Beleidigungen, keine bösen Blicke. Den meisten Leuten, denen Swartzberg begegnet, scheint die Kippa auf seinem Kopf schlicht egal.
Doch passiert ist nichts. Keine Übergriffe, keine Beleidigungen, keine bösen Blicke. Den meisten Leuten, denen Swartzberg begegnet, scheint die Kippa auf seinem Kopf schlicht egal.
"Die Menschen interessieren sich nicht besonders dafür. Ab und zu kriege ich mal ein Lächeln, ab und zu mal kommt was Interessantes zustande. Es gibt eindeutig sehr viele Menschen, die sich freuen, wenn sie eine Kippa sehen. Und vor allem kommt prompt immer die Frage, wie bleibt die Kippa auf ihrem Kopf."
Gezielt ist Swartzberg in Gegenden gefahren, in denen die Angst vor antijüdischen Gewalttaten besonders groß ist: nach Zwickau etwa, oder in die Sächsische Schweiz – beides Hochburgen der rechten Szene. Aber auch in Viertel, in denen viele Muslime leben, wie etwa Berlin-Neukölln. Doch auch hier hat er keine offene Ablehnung erlebt, sondern im Gegenteil eher solche Szenen wie die am Augsburger Bahnhof:
"Es war fünf Uhr nachmittags, dementsprechend sehr dunkel. Plötzlich kam ein großer, arabisch ausschauender Mann auf mich mit einer grünen Bomberjacke. Fünf-Tages-Bart, viele krause Haare und sagt: Bis du aus Jerusalem? Und ich sage: Nein, ich bin aus New York. Wo kommst du her? Aus Algerien! Dann habe ich gewartet, was kommt jetzt. Und dann hat er gesagt: Ich will dir nur sagen, dass ich es toll finden, dass du deine jüdische Identität in der Öffentlichkeit zeigst und wir Muslime müssen das auch machen, wir sollen stolz auf unsere Identität sein. Und dann, sehr zur Freude meiner kleinen Tochter, hat er mir ein Bussi gegeben."
Einer, der dafür kämpft, was er richtig findet
Nirgendwo auf der Welt könnten Juden so sicher leben wie in Deutschland, findet Swartzberg. Und das, obwohl er Fälle wie den des Rabbiners Daniel Alter kennt. Der wurde 2012 im Berliner Stadtteil Friedenau vor seiner Haustür von arabischstämmigen Männern brutal verprügelt. Und auch Studien wie die der Friedrich-Ebert-Stiftung sprechen eine andere Sprache. Ihr zufolge sind bei knapp einem Drittel der Deutschen antisemitische Einstellungen vorhanden. Für Swartzberg aber ist entscheidend, dass diese Menschen ihren Antisemitismus nicht offen zeigen. Kritiker werfen ihm deshalb vor, mit einer rosaroten Brille herumzulaufen und die Zustände in Deutschland zu verklären. Swartzberg, der 1979 nach Deutschland gekommen ist und zuvor in den USA, in Indien und Hongkong gelebt hat, weist das zurück.
"Wenn ich Antisemitismus begegnen würde, würde ich es erkennen und darüber berichten. Ich hab das erlebt und hab darüber berichtet in vielen Ländern auf der Welt. Ich fühle mich sehr gut hier aufgehoben, weil ich es noch nicht in Deutschland erlebt habe und weil ich glaube, dass wenn ich es erleben würde, wäre es ein Einzelbeispiel von Millionen von Menschen, die eigentlich es sehr gut mit den Juden meinen."
Swartzberg bezeichnet sich selbst als "Aktivist". Einer der dafür kämpft, was er für richtig hält. Das tut er auch als Vorsitzender der Initiative "Stolpersteine für München". Die will erreichen, dass auch in München die Messingplatten des Künstlers Gunter Demnig verlegt werden dürfen – und so der Opfer des Holocaust gedacht wird. Über sein Kippa-Experiment schreibt Swartzberg gerade ein Buch. Den Juden in Deutschland rät er, ihren Glauben nicht zu verstecken und der deutschen Gesellschaft offen zu begegnen. An den Menschen in seinem Umfeld erlebt er aber, wie schwer das vielen fällt. Daran hat auch sein Selbstversuch wenig verändert.
"Ich merke, dass die Angst in meinem jüdischen Freundeskreis etwas weniger geworden ist und das Leute jetzt zum Beispiel wagen, Hebräisch in der Öffentlichkeit zu reden. Oder hebräische Zeitschriften zu lesen oder einen Davidstern zu tragen. Aber sonst nicht. Die Leute wollen ihre Vorurteile behalten, die wollen an ihrer Angst festklammern. Ich kann es jetzt leider nicht ändern. Ich würde es sehr gerne tun."
Für Swartzberg ist das Experiment abgeschlossen. Die Kippa setzt er trotzdem weiter auf.
Für Swartzberg ist das Experiment abgeschlossen. Die Kippa setzt er trotzdem weiter auf.
"Ich sehe keinen Grund sie abzusetzen. Sie ist ein Teil meines Lebens geworden."