"Zielscheibe der Dummen für die Taten der anderen"
Die israelische Militäroffensive habe eine Welle des Judenhasses ausgelöst, die in der europäischen Nachkriegszeit ohne Beispiel sei, kritisiert Miron Tenenberg. Beschwichtigende Worte würden dagegen auch nicht helfen.
"Jude, Jude, feiges Schwein. Komm heraus und kämpf allein!"
Da frage ich mich, was damit gemeint ist. Gerufen wurde dieser Spruch auf einer Pro-Palästina-Demonstration – vielleicht war es auch eine Anti-Israel-Demo, genau weiß das keiner. Klar ist, dass der kurze Endreim so lächerlich wie auch stumpf ist. Wo sollen denn die Juden herauskommen und alleine kämpfen?
Natürlich erkenne ich den zugrunde liegenden Gedanken. Juden sollen sich zu erkennen geben und im besten Fall unten auf der Straße gegen gewaltbereite junge Männer zum Kampf antreten. Am liebsten auf den Straßen von Gaza, da gäbe es dann eine ordentliche Abreibung. Und dann?
Es bleibt nicht bei Beleidigungen
Antisemitische Äußerungen ins Lächerliche zu ziehen ist lediglich eine Art mit ihnen umzugehen. Auf den neu entflammten Antisemitismus der letzten Wochen folgte jedoch größtenteils ein Sturm der Empörung. Juden mit den Militärhandlungen Israels gleichzusetzen sei für viele Meinungsmacher schlicht inakzeptabel. Doch es blieb nicht bei Beleidigungen.
In der Nacht zum Dienstag wurde auf die Synagoge in Wuppertal ein Brandanschlag verübt. Es kamen keine Menschen zu Schaden. Ein 18-jähriger Verdächtiger wurde festgenommen. Zwei mutmaßliche Täter sind noch auf der Flucht.
Vor zweieinhalb Wochen wurden 14 Menschen auf einer Demonstration gegen Israels Raketenbeschuss auf den Gaza-Streifen vorläufig festgenommen. Sie wurden verdächtigt, die Versammlung für einen Anschlag auf die Alte Synagoge in Essen zu missbrauchen. Wenige Tage später wurden weitere vier Männer festgenommen. Sie riefen auf Facebook zu einem Gewaltakt gegen das Gebäude auf.
Solidarität als Staatsräson
Am 11. Juli wurde die Synagoge in Dresden mit einem zehn Meter langen Schriftzug beschmiert. "Stop killing people" war an der Fassade zu lesen. Es wird nach einem jungen männlichen Täter gefahndet.
Es fällt auf, dass der antisemitische Hass vor allem von jungen Männern ausgeht. Doch was haben Juden in Deutschland unmittelbar mit den Auseinandersetzungen im Nahen Osten zu tun? Natürlich, die meisten stehen solidarisch zu dem Staat Israel, aber das tut Kai Diekmann von der Bild mit seiner Kampagne "Stimme erheben: Nie wieder Judenhass" auch.
Die Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärt die Solidarität sogar zur Staatsräson und natürlich reiht sich da auch der Bundespräsident Joachim Gauck ein. Von keinem Politiker, keinem prominenten Kampagnenteilnehmer und niemanden aus der Zivilgesellschaft wäre so ein hohler Antisemitismus zu erwarten.
In Niedersachsen trat ein altgedeinter CDU-Ratsheer aus Seesen aus der Partei aus. Zuvor legte der 62-jährige Lokalpolitiker sein Mandat nieder. Er hatte auf Facebook den Rachemord an einem palästinensischen Jungen mit den Worten "Juden sind Scheiße" kommentiert. Mit dem Austritt kam er einem Parteiausschlussverfahren zuvor.
Aber es sind doch eher rechtskonservative junge Männer mit Migrationshintergrund, die mit judenfeindlichen Aussagen vorrangig auffallen. Und ganz im ernst, das wundert keinen. Hat sich diese Form von Judenhass über die letzten Jahre deutlich abgezeichnet – dort, wo "deutsch" bereits ein Schimpfwort darstellt, sind Juden nicht gerne gesehen.
Plattitüden helfen den Juden in Deutschland nicht
Im letzten Jahr wird ein Rabbiner in Offenbach in einem Einkaufszentrum angegriffen. Dem Mann wird nicht geholfen. Der Sicherheitsdienst des Zentrums hilft den Angreifern.
2012 findet ein weiterer Angriff auf einen Rabbiner statt. In Berlin wird er auf der Straße von männlichen Jugendlichen brutal angegriffen, nachdem er ihnen bestätigte, dass er Jude sei. Er trug eine Kippa.
2007 wird ein Rabbiner in Frankfurt am Main von einem 23-Jährigen niedergestochen. Er beschimpft ihn als "Scheißjuden" und "Judensau" und erhält dreieinhalb Jahre Freiheitsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung.
In allen drei Fällen sind es – wieder! – junge, muslimische Männer, die gewalttätig werden. Kein Jude kann ernsthaft überrascht sein, dass der existierende Judenhass gerade dann zum Vorschein kommt, sobald es wieder ausdauernde Kämpfe in Israel gibt. Da werden auch beschwichtigende Worte wie "Juden sollen in Deutschland keine Angst haben müssen" nicht helfen. Solche Platitüden helfen keiner Jüdin und keinem Juden weiter!
Gekürzte Budgets für die Sicherheit jüdischer Gemeinden
Seit Jahren werden die Budgets für die Sicherheit der jüdischen Gemeinden gekürzt. Diese reagieren darauf mit eigenem Sicherheitspersonal aus Israel. Dass aber Israelis auf deutschem Staatsgebiet deutsche Bürger schützen sollen scheint vielen verantwortlichen Politikern nicht einmal peinlich. Sie nehmen diesen Service mit Kusshand, denn die Gefahr von sogenannten Hate Crimes ist real. Jeder jüdische Kindergarten, der seit Jahrzehnten mit Stacheldraht umzäunt ist, zeugt davon.
Der Blick ins Nachbarland Frankreich zeigt sogar noch eine Zuspitzung: Der junge Franzose marokkanischer Herkunft Ilan Halimi wird 2006 in Paris von einer Jugendgang über den Zeitraum von 24 Tagen zu Tode gefoltert. Judenhass war der Grund.
In Toulouse wird im vorletzten Jahr eine jüdische Schule angegriffen. Es sterben ein Lehrer und drei Schüler. Im Internet erntet der Angreifer Jubel...
...und wird zum Vorbild von Mehdi Nemmouche, der erst kürzlich in Brüssel vier Menschen im Jüdischen Museum erschossen hat. Zuvor war er als Dschihadist in Syrien.
Nicht nur in Frankreich herrscht ein neuer Antisemitismus
Zugegeben, Frankreich ist ein besonderer Fall. Hier scheint die Hochburg des islamischen Antisemitismus zu liegen. Menschen wie Dieudonné oder Alain Soral, ein judenfeindlicher Komiker und ein rechtsextremer Essayist, befeuern die Tendenzen unter den vielen sozial benachteiligten, muslimischen Migranten. Doch auch über Frankreich hinaus erstreckt sich der neue Antisemitismus:
Österreich: Pro-Palästinensische, meist türkischstämmige Protestler stürmen während des Fußballspiels OSC Lille gegen Maccabi Haifa das Feld und bedrohen die israelischen Spieler. Das Spiel wird abgebrochen.
Großbritannien: Laut Community Security Trust, der Sicherheitsorganisation jüdischer Gemeinden in Großbritannien, wurden seit Jahresbeginn 360 antisemitische Vorfälle bekannt; 130 davon seit Anfang Juli.
Die Ausschreitungen veranlassten die Außenminister von Frankreich, Italien und Deutschland vor einer Woche eine gemeinsame Erklärung abzugeben, in der sie die antisemitischen Vorfälle der letzten Zeit verurteilten.
Islamischer Antisemitismus nicht in der Religion verankert
Auch in weiteren Ländern, wie den Niederlanden, Griechenland, Australien oder Kanada ist Judenfeindschaft thematisiert worden.
Es scheint als wäre der Hass nicht mit zivilgesellschaftlichen Mitteln zu stoppen. Dabei ist der islamische Antisemitismus nicht in der Religion verankert. Die Strömungen haben ihn sich von den europäischen Ländern abgeguckt und adaptiert – gespeist von sozialen und wirtschaftlichen Nachteilen, die immer noch in Familien mit Migrationshintergrund vorherrschen. Lediglich die Bereitschaft muslimischer Organisationen dieses Tabu-Thema angehen zu wollen, kann man noch befürworten.
Für die Juden ist das nur ein geringer Trost, bleiben sie Zielscheibe der Dummen für die Taten der anderen. Wie wir damit umgehen werden? Das bleibt abzuwarten und zu hoffen, dass der Kampf gegen Terroristen sich nicht auch auf unser Land ausbreiten wird.