"Wir haben einiges gemeinsam"
Antisemitische Hetze, Pöbeleien wegen eines Kopftuchs: Sowohl Juden als auch Muslime sind Anfeindungen ausgesetzt. Die Berliner Initiative Salaam-Schalom versucht, die gegenseitigen Vorurteile abzubauen.
Der Rathausplatz in Berlin-Neukölln gleicht an diesem Sommerfrühabend einem kleinen orientalischen Basar: Von der Bühne ertönt türkische Musik, an manchen Verkaufsständen hängt eine türkische Fahne, ein Mann posiert vor der Kamera. Sein T-Shirt zieren zwei Hände in den jeweiligen Nationalfarben über der Aufschrift: "Herkunft Palästina – Zukunft Deutschland".
Solchen Nachbarn will der 23-jährige Rabbinats-Student Armin Langer die Hand reichen. Langer kommt aus Budapest und wohnt seit vergangenem Dezember in Berlin. Als Reaktion auf die Aussage des Rabbiners Daniel Alter, dass Berliner Bezirke wie Neukölln aufgrund des hohen Anteils muslimischer Einwohner für Juden, die als solche erkennbar sind, gefährlich seien, gründete Armin Langer zusammen mit anderen Neuköllner Juden die Initiative Salam-Schalom.
"Ich glaube, solche Aussagen führen nur zu Stigmatisierung; sie unterstützen die schon jetzt ziemlich verbreiteten anti-muslimischen, islamophobischen Stereotypen."
Vielfalt natürlich und selbstverständlich
Armin Langer trägt zwar keine Kippa, versteckt aber sein Judentum auch nicht. Seine Zahnärztin ist Muslima, sein Friseur ein Moslem, dessen Großmutter angeblich von der israelischen Armee im Libanon umgebracht wurde, und der sich dennoch für Langers Religionsstudium interessiert.
"Für mich ist diese Vielfalt natürlich und selbstverständlich. Ich bin in einem Migrantenviertel in Wien aufgewachsen, dann in Budapest habe ich später im Roma-Getto gewohnt und ich höre immer diese Stereotypen, dass man Angst haben sollte vor den 'people of colour', von den 'Anderen'. Aber ich glaube daran nicht."
Alserste Aktion veröffentlichte die 20-köpfige Gruppe Videostatements jüdischer Deutscher und Israelis auf Youtube, die Rabbiner Alters These der No-go-Areas widersprechen. Kurz darauf stellte Langer die Initiative in der türkischen Sehitlik-Moschee in Neukölln vor.
Antisemitische Parolen nehmen zu
Eingeladen hatte der Geschäftsführer des Moscheevereins, Ender Çetin. Scharf verurteilt er die israelische Politik gegenüber den Palästinensern. Dies legitimiere aber keinesfalls Judenhass, der laut Çetin ziemlich verbreitet ist:
"Antisemitismus ist Rassismus. Rassismus ist etwas Unmenschliches und das verurteilen wir auch aufs Schärfste. Deswegen sind wir da sehr sensibel, falls von Moschee-Seite oder von muslimischen Jugendlichen-Seite aus ein antisemitischer Spruch sein sollte, dass wir vehement auch verurteilen. Man hört es schon, dass in den Schulen, bei Jugendlichen 'Scheißjude' benutzt wird. Das ist in den letzten Jahren gestiegen."
Gerade angesichts der Berichte über Hassprediger in einer Berliner Moschee, betont Ender Çetin die positiven Auswirkungen der Moschee:
Wer in die Moschee geht, äußert sich meist nicht antisemitisch
"Was wir merken, ist dass bei Jugendlichen, die radikale Sprüche drauf haben, sage ich mal, dass sie meisten auch nicht in einer Moschee aktiv sind. Das sind letztendlich Jugendliche, die in einer Identitätsfindung sich befinden."
Auch auf Demonstrationen beruhigen Moscheevertreter aufgebrachte palästinensische Jugendliche, weiß Çetin.
Die 35-jährige jüdische Berlinerin Ina Orit Bretschneider hat ein eigenes Reisebüro und daher keine Zeit für Demonstrationen. Aber es war ihr sehr wichtig, zum ersten Mal seit Kriegsbeginn ein friedliches Zeichen zu setzen. Warum eigentlich?
"Erstens, weil ich Neuköllnerin bin; zweitens, weil mir das Thema wichtig und am Herzen liegt, dass wir Menschen aufeinanderzugehen, statt immer wieder neue Mauern zu bauen und immer wieder nur mit Vorurteilen uns zu begegnen; drittens weil ich jüdisch bin; und viertens weil ich gern durch gemeinsame Aktionen, durch Miteinanderreden ein Zeichen setzen möchte."
Jungs mit Kippot neben Mädchen mit Kopftuch
Das tun geradealle 70 Teilnehmer, die einen großen Kreis bilden. Dann heben sie die Hände in die Luft und anschließend klatschen sie laut.
Nebeneinander stehen zwei junge Männer mit Kippot neben zwei jungen Frauen mit Kopftücher.Der 38-jährige jüdische Wiener Isak Schneider wohnt seit 2010 in Berlin und arbeitet in einer Kommunikationsagentur.
Von der No-go- zu Go-Aera
"Die Leute schauen natürlich ein bisschen, aber es soll nichts Schlimmeres passieren. Die Leute schauen wahrscheinlich auch, wenn Damen mit Kopftuch gehen. Also wir haben einiges gemeinsam. Ich bin sehr glücklich, dass ich dabei sein durfte."
Neben Schneider steht die aus der Türkei stammende Betül Ulusoy. Die 25-jährige Juristin ist Mitglied der Sehitlik-Moschee, ist geschminkt und trägt ein langes gemustertes Kleid und ein weißes Kopftuch.
"Ich habe jüdische Freunde – sehr viele. Und ein Mädchen, das einen Davidstern trug, wurde angegriffen. Ich habe aber auch Freunde, die Araber sind, und als Araber angegriffen wurden. Also auf beiden Seiten gab es Anfeindungen. Aber deswegen finde ich es umso wichtiger, dass wir heute gemeinsam stehen."
Und mit ihrer Aktion Neukölln spontan in eine Go-Area umtaufen.