Judenhass bei Olympia

Ein internationales Problem des Sports

09:45 Minuten
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Michaela Engelmeier im Gespräch mit Miron Tenenberg |
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Ein Blick nach Tokio zeigt, dass auch bei den 32. Olympischen Sommerspielen der Judenhass einen Platz hat. Michaela Engelmeier vom jüdischen Sportbund Makkabi war aktive Judoka. Solche hasserfüllten Vorfälle sind der SPD-Politikerin nicht fremd.
Der algerische Judoka Fethi Nourine sagt seinen Kampf gegen den israelischen Gegner Tohar Butbul ab, weil er damit die "palästinensische Angelegenheit" unterstützen wolle. Der Judo-Verband hat den 30-jährigen Sportler und seinen Trainer daraufhin suspendiert. Im Internet wurde er dafür jedoch gefeiert. Auch der nächste Gegner des israelischen Judoka, der sudanesische Mohamed Abdalrasool zog sich vom Kampf zurück. Eine Begründung gab er nicht an.
Michaela Engelmeier war selbst als Judoka aktiv und Teil der deutschen Nationalfrauschaft. Von 2013 bis 2017 saß sie für die SPD im Bundestag und engagiert sich mittlerweile bei Makkabi Deutschland in Berlin und für die Deutsch-Israelische Gesellschaft.

Angriff auf olympische Werte

Deutschlandfunk Kultur: Frau Engelmeier, wird mit solchen Taten nicht der olympische Eid gebrochen, den alle Teilnehmenden vor den Wettkämpfen abgeben?
Michaela Engelmeier: Ja, es wird der Olympische Eid gebrochen. Die Olympischen Spiele sind ja auch mehr als ein sportlicher Wettkampf, sie sind auch die größte Sportbühne der Welt und Millionen von Menschen verfolgen das. Wenn man dann natürlich solche Szenen oder Dinge, die da passieren, sieht, dann fragt man sich schon: ‚Was ist da passiert, was dem israelischen Judo-Kader erneut widerfahren ist?‘ Man muss ja sagen, erneut ist eben nicht nur eine grobe Unsportlichkeit, sondern ein offener Angriff auf die olympischen Werte und klar antisemitisch und ein massiver Verstoß gegen das internationale Fair Play im Sport.
Deutschlandfunk Kultur: Eigentlich sollte die Olympische Charta vor genau solchen Angriffen schützen. Dennoch tut sich das Internationale Olympische Komitee (IOC) schwer. Eine offizielle Antwort kam seitens des IOC noch nicht.
Michaela Engelmeier: Nein, kam nicht! Ich weiß, dass die ‚International Judo Federation‘ (IJF), also der Internationale Judoverband, diesen Athleten gesperrt hat – erst einmal. Das muss ja auch immer vom Sportgericht verhandelt werden, aber der ist erstmal gesperrt. Aber vom IOC würde ich mir schon einmal wünschen, dass sie sich dann auch mal ganz klar dazu positionieren und dass sie vor allen Dingen auch irgendetwas in Gang setzen. Da bin ich also nicht nur beim Sportler, sondern auch beim Trainer und bei dem jeweiligen Verband: Wer so etwas macht, gehört nicht nur von den Olympischen Spielen ausgeschlossen, sondern auch von Weltmeisterschaften, Europameisterschaften, internationalen Turnieren und das übrigens lebenslang.

Rassismus muss Konsequenzen haben

Deutschlandfunk Kultur: Kann man hier von einer systembedingten Diskriminierung sprechen?
Michaela Engelmeier: Das würde ich vielleicht so nicht sagen. Das IOC ist ja ein riesiger Wasserkopf, es ist ja unglaublich, wer da immer alles etwas zu sagen hat, aber es gibt einen Präsidenten, also Dr. Thomas Bach, der ja mal ganz klar formulieren könnte: ‚Es gibt bei den Olympischen Spielen keinen Antisemitismus, keinen Rassismus und keine Ausgrenzung und Diskriminierung - von wem auch immer!‘ Da er das nicht tut, muss man eben sagen, das ist schon schwierig. Es ist schwierig für die Werte des Sports, weil wir uns ja alle daran langhangeln und ich sage ja, Olympische Spiele sind was ganz Besonderes und wer da so eklatant gegen die Regeln verstößt, der gehört eben da nicht hin.
Deutschlandfunk Kultur: Das IOC hat ja auch einen Tag gebraucht, um überhaupt auf die rassistischen Kommentare des Radfunktionärs Patrick Moster zu reagieren. Das hört sich nicht nach einem entschlossenen Willen an.
Michaela Engelmeier: Ja, aber genau das ist es ja auch wieder: Also dann wartet man da einen Tag – übrigens auch der DOSB hat ja erst nach einem Tag reagiert – und hat natürlich jetzt diesen Sportfunktionär nach Hause geschickt.
Aber auch da gilt: Wer sich rassistisch verhält, wie dieser Herr Moster, der gehört nicht zu den Olympischen Spielen und das muss Konsequenzen haben. Der DOSB hat den Mann nach Hause geschickt, der ist also jetzt nicht mehr bei den Olympischen Spielen und ich warte jetzt mal ab, wie das IOC darauf reagiert und was sie dazu zu sagen haben oder ob die überhaupt was sagen.

Statement des DOSB

Patrick Moster ist nach seiner rassistischen Entgleisung bei den Olympischen Spielen vom Bund Deutscher Radfahrer abgemahnt worden, darf aber weiter für den Verband tätig sein. Wie der BDR am Montag mitteilte, wird der Sportdirektor von allen internationalen Aufgaben "bis auf Weiteres" entbunden sowie "eine schriftliche Abmahnung erhalten, die in die Personalakte eingeht und im Wiederholungsfall zu weiteren rechtlichen Konsequenzen führen wird". Diese Maßnahmen des Präsidiums seien mit einer entsprechenden Kürzung des Gehalts verbunden.

Es gab vor vier Jahren, bei den Spielen in Rio, zwei Vorfälle, die auch antisemitisch waren. Das war einmal der ägyptische Judoka, der gegen einen israelischen Sportler gekämpft hat und ihm hinterher den Handschlag, was im Judo ganz, ganz wichtig ist am Ende des Kampfes, verweigert hat. Da hat die IJF wieder reagiert. Die haben diesen Menschen lebenslang gesperrt und es gab einen zweiten Vorfall. Da hat sich ein algerisches Team in einem Bus, der die Athletinnen und Athleten zur Eröffnungsfeier ins Maracana-Stadion fahren sollte, in die Türen gelegt, damit israelische Sportler nicht zusteigen können. Auch da gab es keine Reaktion darauf. Ich habe damals versucht, das öffentlich zu machen und ich habe das IOC angeschrieben, aber leider habe ich darauf bis heute nicht eine Antwort bekommen.

Nicht nur Problem der Kampfsportarten

Deutschlandfunk Kultur: Ist es ein Problem des sehr kompetitiven Kampfsportes. Immerhin ist so etwas auch schon vor dreieinhalb Jahren bei der polnischen WM im Ringen vorgekommen, als aufgrund einer Stallorder der iranische Sportler das Halbfinale verlieren musste, damit er nicht gegen einen israelischen Mitsportler hätte kämpfen müssen?
Michaela Engelmeier: Nein, ich glaube nicht, dass das ein Problem der Kampfsportarten ist. Das ist leider ein Problem im gesamten internationalen Wettkampfgeschehen, egal welche Sportart. Es gab Vorfälle im Schach, es gab Vorfälle im Tischtennis oder diese unfassbaren Dinge als die Para-WM in Malaysia stattfinden sollte und Malaysia angekündigt hat, dass sie keine jüdischen, keine israelischen Sportler ins Land lassen. All diese Dinge zeigen ja, dass das ein nicht ein Problem des Kampfsports ist, sondern tatsächlich ein großes Problem innerhalb der großen Sportfamilie.
Deutschlandfunk Kultur: Kann man es den einzelnen Sportlerinnen und Sportlern ankreiden, ist das schon Judenfeindschaft? Immerhin können sie ja frei wählen, gegen wen Sie antreten wollen?
Michaela Engelmeier: Nein, also wenn ich als Wettkampfsportler oder wenn ich als Judoka zu Olympischen Spielen fahre und zu Weltmeisterschaften, dann weiß ich, was ich da tue und dann weiß ich, dass es mir natürlich passieren kann, dass ich gegen Israelis, Chinesen, Japaner, Koreaner, wem auch immer kämpfe. Wenn ich dann ganz bewusst diese große Ehre, die man auch als Athlet hat, dass man bei Olympischen Spielen überhaupt starten darf, so mit Füßen trete, ja, dann kann ich sagen: ‚Das ist wohl doch reiner Judenhass‘ und leider müssen wir das ja auch feststellen, dass sich diese Vorfälle immer häufen, wenn es um arabische Staaten geht.
Ich will nur erinnern: Vor zwei Jahren, 2019 auf der Judo-Weltmeisterschaft, als der Saeid Mollaei, ein iranischer Kämpfer, auch das Halbfinale verlieren musste, damit er nicht gegen Sagi Muki, das ist der israelischen Nationalstar im Judo, kämpfen muss und man Szenen gesehen hat, wie der also vor dem Halbfinale von Funktionären des iranischen Teams bedroht worden ist. Der arme Mann hat gesessen und geweint, die haben ihn bedroht. Weil Saeid Mollaei danach geflohen ist, wissen wir heute, er ist ganz klar bedroht worden, dass seiner Familie irgendetwas passieren würde, wenn er das macht. Das Schönste an der ganzen Geschichte ist: Der Saeid Mollaei und der Sagi Muki aus Israel sind dicke Freunde und Saeid Mollaei ist gestern Vize-Olympiasieger geworden. Der kämpft jetzt für die Mongolei und der hat es den Leuten und gerade dem Iran gezeigt. Solche Geschichten versöhnen, aber leider kommt es immer wieder dazu, wenn arabische Staaten daran beteiligt sind.

Multikulturelle Makkabiade

Deutschlandfunk Kultur: Gibt es dieses Problem nur im Spitzensport?
Michaela Engelmeier: Nein, das gibt es nicht nur im Spitzensport. Das geht von der untersten Klasse, Kreisklasse im Fußball, bis hin zur höchsten Klasse im – was weiß ich – Volleyball oder anderen Mannschaftssportarten oder Einzelsportarten. Makkabi Deutschland, also die jüdische Turn- und Sportorganisation, ist ja sehr engagiert, gerade im Fußball-Bereich – es gibt überall Makkabi-Mannschaften, die eben, wie gesagt, von der untersten Kreisklasse bis nach ganz oben schon spielen und da passiert jedes Wochenende auf deutschen Sportplätzen, das muss man mal ganz klar so sagen, Antisemitismus, Bedrohung, antisemitische Beschimpfungen, Schmähungen bis hin, dass Makkabi-Mannschaften manchmal unter Polizeischutz Fußball spielen müssen gegen ihren Gegner.
Deutschlandfunk Kultur: Ist das der Grund, weswegen sie eine Makkabiade, also ein eigenes jüdisches Sportfest veranstalten?
Michaela Engelmeier: Nein, das ist nicht der Grund. Die Makkabiade ist ja mal entstanden genau aus dem Ausgrenzen jüdischer Sportlerinnen und Sportler in der Schoah, also Hitler-Diktatur. Da hat man seine eigenen Sportwettkämpfe gemacht, weil viele jüdische Sportlerinnen und Sportler damals wirklich ausgegrenzt wurden, dann bis hin zu verfolgt und in Konzentrationslager verschleppt worden.
Es gibt ja eine weltweite Makkabia. Die findet übrigens immer ein Jahr nach den Olympischen Spielen statt. Ich freue mich schon drauf. Nächstes Jahr ist es wieder. Es gibt eine europäische Makkabia. Wir als ‚Makkabi Deutschland‘ haben jetzt auch eine deutsche Makkabia eingeführt. Der Unterschied der deutschen Makkabia zu den anderen, ist: bei ‚Europa und Welt‘ können nur jüdische Sportlerinnen und Sportler daran teilnehmen. Bei der deutschen Makkabia sind wir international und multikulturell, da können also alle Makkabäer, die wir hier in Deutschland in den Makkabi-Vereinen haben, daran teilnehmen und wir haben sie jetzt Anfang September in Düsseldorf und ich kann nur alle herzlich einladen: Kommen Sie! Gucken Sie, es ist eine tolle Geschichte. Nicht nur der Sport ist toll, sondern das ganze Drumherum. Das lebendige jüdische Leben in unserem Land, das kann man sich super angucken, gerade bei Makkabi. Ich freue mich schon unfassbar darauf!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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