Judenhass in Deutschland

Wenn die Reaktion auf Angst ein Shitstorm ist

05:56 Minuten
Das Bild zeigt die Synagoge in Halle mit der Kuppel und einem Davidstern auf der Spitze.
Die Synagoge in Halle wurde am 9. Oktober Ziel eines Anschlags. Nur durch eine verriegelte Tür konnte ein Massenmord an den Gläubigen verhindert werden. © imago / Köhn
Von Miron Tenenberg und Jochanan Shelliem |
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Ein Shitstorm suchte den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Halle heim. In einem Interview hatte er über die Folgen des Jom-Kippur-Attentats von Halle und dem Gefühl gesprochen, hier zu leben. Ist es vielleicht Zeit, Deutschland zu verlassen?
In dieser Woche hat sich der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Halle, Max Privorozki, zu den Erfahrungen nach dem Jom-Kippur-Attentat von Halle geäußert. In dem Interview der Süddeutschen Zeitung hat er darüber gesprochen, wie belastend die Zeit nach der Attacke gewesen sei. Unzählige Medienanfragen, Politikbesuch und die Arbeit am neuen Sicherheitskonzept der Gemeinde lassen eine Normalität nicht aufkommen. Max Privorozki sah aber auch das gesellschaftliche Miteinander bedroht:
"Wir beobachten mit Unruhe, dass in Deutschland Antisemitismus mit großer Geschwindigkeit immer krasser wird. Sich offen als Antisemit zu zeigen ist nicht mehr peinlich."

Braune Probe aufs Exempel

Seine Beobachtung hat sich daraufhin prompt bestätigt. Denn es folgte ein Shitstorm in den Kommentarspalten der SZ, von Zeit Online, der taz oder der Mitteldeutschen Zeitung, die das Interview aufgriffen. Dort zeigte sich der deutsche Judenhass in all seinen Facetten. Und über das Leben inmitten genau dieses Hasses spricht Max Privorozki:
"Es ist natürlich wirklich traurig, wenn man als Jude in Deutschland den Alltag hinter Gittern und Schutzmauern verbringen muss. Da überlegt man langsam, ob es nicht auch andere Orte gibt auf unserem Planeten, wo wir Juden besser leben sollten. Wenn wir jetzt keine Maßnahmen ergreifen gegen Antisemitismus und Judenhass, weiß ich nicht, ob die jüdische Gemeinschaft in Deutschland überhaupt noch eine Zukunft hat."
Hier mussten dann die Sicherungen der Bürgerinnen und Bürger von rechts durchgegangen sein. Teils unter Klarnamen haben sie massenhaft antisemitische Kommentare oder Posts in den Sozialen Netzwerken veröffentlicht. Es ist also kein Wunder, dass Privorozki, wie viele andere Jüdinnen und Juden auch, darüber nachgedacht hat, die Koffer zu packen und Deutschland zu verlassen.
Der Gemeindevorsteher Max Privorozki in Halle.
Der Gemeindevorsteher Max Privorozki gibt nach dem Attentat auf eine Synagoge in Halle ein Interview.© imago / Lutz Winkler
"Auf jeden Fall. Und zwar auch schon vor dem Anschlag. Ich fühle mich schon seit ein paar Jahren nicht mehr so wohl in meiner Stadt, in meinem Land. Ich lebe seit 29 Jahren hier, und die meiste Zeit habe ich mich in Deutschland zu Hause gefühlt. Aber seit ein paar Jahren eben nicht mehr", erklärt Privorozki.

Fremd im eigenen Land

Dieses Gefühl ist in der jüdischen Gemeinschaft wahrlich nichts Neues und viele Betroffene verstehen auch nicht, dass sich die deutsche Politik so überrascht zeigt von Jüdinnen und Juden, die sich in ihrer Heimat – im Deutschland nach der Schoah - fremd fühlen. Und die täglich mit der Angst vor Übergriffen leben müssen, falls sie doch mal vergessen haben, den Davidstern zu verstecken.

"Ist es Zeit für Juden, Europa zu verlassen?"
Vor fünf Jahren bereits kommentierte Jochanan Shelliem dieses Thema. Der Kommentar ist leider immer noch sehr aktuell. Shelliems Fragestellung damals: "Davidsterne werden unter dem Schal verborgen, Käppchen abgesetzt: In den jüdischen Gemeinden in Deutschland und anderen Ländern Europas kursiert die Angst. Sollten Juden Europa besser verlassen?" Den Kommentar lesen Sie hier.

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