Judith Kuckart, „Café der Unsichtbaren“

Menschen hinterm Sorgentelefon

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Das Cover zeigt Autorinnenname und Buchtitel in weißer Schrift auf zwei gegeneinander versetzten Fotografien eines Wohnhauses bei Nacht.
© DuMont

Judith Kuckart

Café der UnsichtbarenDumont, Köln 2022

208 Seiten

23,00 Euro

Von Ursula März |
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Sieben Personen betreuen eine Hilfehotline. Hier finden die Einsamen und Verzweifelten Zuspruch. Doch die ehrenamtlichen Trostspender tragen alle auch ihre eigenen Ängste und Sorgen durchs Leben.
Das Poetische und das Realistische bilden in den Romanen der 62-jährigen Schriftstellerin Judith Kuckart seit je eine Einheit. Ihre Erzählthemen haben einen gesellschaftspolitischen Kern, ihre Erzählweise aber besitzt den Gestus schwebender Metaphorik.
Auch der Titel ihres neuen Romans „Café der Unsichtbaren“ ist eine Metapher. Denn es handelt sich nicht um ein Café, sondern um eine soziale Hilfsinstitution, die Telefonseelsorge. Jene Nummer, die Einsame und Verzweifelte wählen, wenn sie einen Menschen benötigen, der ihnen zuhört und zu ihnen spricht. Die Aktualität des Romanstoffs liegt auf der Hand: Die Isolation während der Corona-Lockdowns verschaffte den deutschen Telefonseelsorgen eine traurige Konjunktur.

Sorgentelefon-Mitarbeiter mit eigenen Sorgen

Aber nicht die Anrufer stehen im Mittelpunkt der Erzählung, sondern diejenigen, die in Drei-Stunden-Schichten am Telefon sitzen und die Anrufe entgegennehmen. Sieben ehrenamtliche Mitarbeiter des Berliner „Sorgentelefon e. V.“, wie es im Roman genannt wird, bilden das Ensemble. Alle sieben tragen selbst ein kleineres oder größeres Sorgenpaket durchs Leben.
Der Bauarbeiter Matthias zieht in eine Wohnung, für deren Möblierung er nicht mehr besitzt als eine Matratze und ein paar Kartons und dessen Liebe zu der flatterhaften Emilia ins Leere geht. Die Mittfünfzigerin Marianne schaut auf einen Berufsweg als Buchhalterin zurück, der nie ihren Talenten und Wünschen entsprach. Dem pensionierten Fernsehredakteur Lorentz fehlt es an Gemeinschaft, die er doch nur schwer erträgt. Die Theologiestudentin Rieke gräbt sich in die Arbeit an ihrer ersten Predigt. Wanda errichtet ein Museum für Objekte aus der ehemaligen DDR und hadert mit ihrer persönlichen DDR-Geschichte.

Erzählform vom Theater inspiriert

Nur die Älteste, die achtzigjährige Frau von Schrey, scheint mit sich im Reinen zu sein. Sie ist die Icherzählerin, beobachtet Szenen aus dem Alltag des „Sorgentelefon e. V." und begibt sich immer wieder in die Gedankenwelt der anderen.
Zeitlich umfassen die fünf Romankapitel die fünf Tage der Osterzeit, von Gründonnerstag bis Ostermontag. Im vorletzten Kapitel versammelt sich das Ensemble in der Wohnung von Lorentz zu einem Ostersonntagsfrühstück.
Judith Kuckart erzählt nicht entlang eines Handlungsfadens, sondern entlang eines Reigens lose verbundener Szenen. Eine Dramaturgie, die der Autorin, die viele Jahre als Choreografin und Bühnenregisseurin arbeitete, sichtlich entgegenkommt. Tatsächlich kann man sich ihren neuen Roman leicht als Schauspiel vorstellen, in dem die Figuren abwechselnd an den Bühnenrand treten.

Figuren klingen ausgedacht statt lebensnah

Das Kunstvolle dieser Form wirkt hier jedoch ein wenig überkünstelt und dominiert den Inhalt. Die Figuren bleiben skizzenhaft, nicht wenige Dialoge klingen eher ausgedacht als lebensnah. Eben dies, die Lebens- und Realitätsnähe seines Stoffes, vernachlässigt der Roman zugunsten seiner poetischen Ambitionen.
Von vielen deutschsprachigen Romanen heißt es, sie seien zu lang und überdehnten ihre Geschichte. Beim „Café der Unsichtbaren“ ist es umgekehrt. Man hätte gern mehr über die Menschen auf beiden Seiten der Telefonseelsorge erfahren.
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