Judith N. Shklar: Der Liberalismus der Rechte
Herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Hannes Bajohr
Matthes & Seitz, Berlin 2017
203 Seiten, 16 Euro
Was die US-Amerikaner unter Freiheit verstehen
Warum reagieren US-Amerikaner so empfindlich, wenn bestimmte individuelle Rechte bedroht scheinen? Diese Frage hat die Philosophin Judith Shklar in Vorträgen und Aufsätzen untersucht, die jetzt in einem Sammelband auf Deutsch erschienen sind.
Amerika verstehen: Genau diese Aufgabe, vor die wir uns heute mehr denn je gestellt sehen, hat sich die Philosophin Judith Shklar vorgenommen. Ihre Frage lautet ganz schlicht: Warum sind für Amerikaner Rechte - wie etwa das Recht auf Waffenbesitz oder das Recht auf freie Meinungsäußerung - eigentlich so wichtig? Warum reagieren gerade Amerikaner so empfindlich, wenn Rechte eingeschränkt und dem Gemeinwohl unterworfen werden?
Eine Frage, in der sich eine leichte Distanz und also Shklars eigene Geschichte offenbart, war die Denkerin, die 1992 verstarb, doch keine gebürtige Amerikanerin, sondern jüdischstämmige Lettin, die Ende der 1930er-Jahre vor den Nazis in die USA geflohen war.
John Locke als Vater des Liberalismus der Rechte
Aber gerade weil Shklar die Erfahrung eines totalitären, mörderischen Staates in sich trug, der die Freiheit negierte, war sie durchaus eine überzeugte Liberale: Nicht nur die eigene Freiheit, die Freiheit aller Menschen, so lautete ihre Botschaft, gelte es zu verteidigen. Auch dem Liberalismus der Rechte stand sie deshalb keineswegs rundweg ablehnend gegenüber. Vielmehr wollte sie diese Spielart des Liberalismus begreifen und insbesondere zu dem von ihr verfochtenen "Liberalismus der Furcht" in Beziehung setzen.
Dem Liberalismus der Furcht, dem Shklar im Jahr 1989 eine gleichnamige, überaus wirkmächtige Abhandlung gewidmet hatte, geht es um den fundamentalen Schutz vor staatlicher Gewalt und Machtmissbrauch, es geht darum, so Shklar, "frei von der Zufügung psychologischer und körperlicher Furcht zu sein". Der Liberalismus der Rechte nun hat eine andere, nämlich spezifisch amerikanische Geschichte und entsprechend auch einen anderen Fokus: die Wahrung des natürlichen Rechtes auf Leben, Freiheit und Eigentum.
Beschrieben und entwickelt hatte dieses Recht der Philosoph John Locke am Ende des 16. Jahrhunderts, just zur Zeit der Kolonisierung Amerikas durch England. Es waren die Kolonisten, die eben dieses Naturrecht durch die britische Macht empfindlich eingeschränkt sahen; ihr Aufbegehren sollte 1775 zum Unabhängigkeitskrieg und ein Jahr später zur Unabhängigkeitserklärung führen.
Und es gibt eine zweite, bedeutende, spezifisch amerikanische Erfahrung, die den Liberalismus der Rechte hervorbrachte: Die Sklaverei, die das Naturrecht des Menschen ganz fundamental verletzte und so für dessen existenzielle Notwendigkeit sensibilisierte: "In jeder dieser Phasen ist die Sprache der amerikanischen politischen Theorie eine Sprache der Rechte, was zur Folge hatte, dass 'Recht' zu einem Begriff mit enormer Spannweite wurde." So schreibt Shklar in der zweiten Abhandlung des von Hannes Bajohr herausgegebenen Bandes "Die Idee der Rechte in der Frühphase der amerikanischen Republik", die, wie alle anderen dort versammelten Texte aus dem Jahr 1992 - Shklars letztem Lebensjahr - stammt und nun erstmals auf deutsch vorliegt.
Für welche Freiheit lohnt es sich zu kämpfen?
Wer ihre Gedanken zum Liberalismus der Rechte liest, fragt sich unweigerlich, wie Shklar wohl auf das heutige Amerika blicken würde. Sicher ist, dass die von ihr geäußerten Vorbehalte gegen diese Form des Liberalismus auf die Ära Trump mehr denn je zutreffen.
Ihr erster Einwand: Das Insistieren auf Rechten und der zu gewährleistende Schutz derselben führt zu einer Ausweitung der Staatsmacht, was einer Bedrohung der Freiheit gleichkommt. (Verschärfung der Einwanderungspolitik, Einreiseverbot für Bürger aus muslimischen Ländern, Mauerbau an der Grenze zu Mexiko). Zweitens: Der Liberalismus der Rechte schützt die Freiheit nicht, weil aufs Gemeinwohl bedachte Gesetze nicht durchgesetzt werden können (Obamacare). Drittens: Der Liberalismus der Rechte enthält keine Prinzipien, die es erlauben, zwischen Rechtekonflikten zu entscheiden (Meinungsfreiheit vs. Schutz der Persönlichkeitsrechte).
Judith Shklar zu lesen ist ein großer Gewinn. Nicht nur, weil sie verständlich argumentiert, sondern weil sie uns auch in diesem Band wieder einmal vor die Frage stellt, für welche Freiheit es sich zu kämpfen lohnt.