Judith Zander: „im ländchen sommer im winter zur see“
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Erinnerungen an eine brüchige Liebe
06:17 Minuten
Judith Zander
im ländchen sommer im winter zur seedtv, München 202296 Seiten
20,00 Euro
Bei der Autorin Judith Zander wird nichts weichgezeichnet: In ihrem neuen Gedichtband erzählt sie von einem Paar in der brandenburgischen Provinz, im Mittelpunkt aber steht die Sprache. Denn Zander löst bekannte Begriffe und Kategorien auf.
Wenn man sich die Fotografien ansieht, die Judith Zander ihrem neuen Gedichtband beigefügt hat, könnte man meinen, man betrete nun ein unbestimmtes Gelände: eingedunkelte Aufnahmen von Waldstücken, Erosionsschichten oder Küstenabschnitten, die bewusst offen gehalten sind und fast immer im Zwielicht von Bäumen oder in Dämmerungsatmosphären siedeln. Nicht von ungefähr fängt eines der wichtigsten Gedichte so an: „zu gelangen mit nichts und niemand / ins namenlose benachbarter marken“.
Poetik, die nichts weichzeichnet
Doch der Kontrast zum Rhythmus und zur Sprache der Gedichte könnte größer kaum sein. „erst mal was rüberwachsen lassen“, lautet gleich der erste Vers, kurz darauf hört man „das gras ins kraut schießen“, und die vermeintlich idyllische Landschaft kennt vor allem „schrot“ und „runzelkorn“.
Zwar geht es wie immer in Judith Zanders Büchern darum, bekannte Begriffe, Normen und Kategorien aufzulösen und dem „Gedankengestöber“ im eigenen Kopf nachzuforschen, wie es in ihrem Roman „Johnny Ohneland“ einmal heißt. Aber auch, wenn das Terrain der Verse „namentlich nicht gesichert ist“ und eher Streusand ähnelt als festem Land, kommt ihm das Gedicht nicht mit dem Weichzeichnungsfilter bei, sondern nur mit konsequenter Spracharbeit, so könnte man Judith Zanders Poetik zusammenfassen.
Sondieren der Landschaft und des Gegenübers
An ihrer Oberfläche spielen die Gedichte die Erinnerung an eine Liebesgeschichte durch. Zwei, die sich gerade kennengelernt haben, gehen eine Beziehung ein, durchleben Höhen und Tiefen, um sich am Ende doch, so scheint es jedenfalls, zu verlieren. Das „vagabundierende paar“ ist mal im Baumarkt unterwegs, mal im Netto, mal auf einem Schlossfest.
Das Ganze findet jedoch nicht in einem namenlosen Irgendwo statt, sondern in der brandenburgischen Provinz, manche Verse sind auch an die Ostsee verlegt. So entsteht eine Doppelbewegung, in der das Kennenlernen des Gegenübers und die Sondierung der Landschaft sich überlagern. Dabei lässt Judith Zander, die 1980 in Anklam geboren wurde, immer wieder Momente der DDR-Geschichte aufleuchten. „einmal quer durch die ddr“, wie es mit einem bekannten Filmzitat heißt, andernorts blitzen Erinnerungen an „tanzspartakiaden“ oder sonstiges „verbrämtes retromaterial“ auf.
Undurchdringbare Sprachverschlingungen
Die eigentliche Hauptperson dieser Gedichte aber ist die Sprache. Zander verzichtet auf Satzzeichen, arbeitet intensiv mit Enjambements, verschleppten Reimen und Halbreimen. Dazu hat sie, wie in ihren Romanen, eine ganz eigene Zitattechnik entwickelt, mit der sie Ausschnitte aus Märchen, Sprichwörter, Formulierungen aus dem Plattdeutschen und dem Englischen, Gedichtzeilen und vor allem Liedtexte zusammenschneidet, die von Connie Francis über Karat bis zu Gianna Nannini reichen. Auch wenn es eine Kunst für sich ist, Nena und Walther von der Vogelweide in einem Gedicht unterzubringen, lassen sich diese Sprachverschlingungen nicht immer durchdringen, manchmal enden sie auch im bloßen Kalauer („mehr sieg als liederlage“).
Sei’s drum, man folgt Judith Zander trotzdem immer wieder gerne durch ihre Verse und sieht sich gemeinsam mit ihr an, „wer am bodden (...) / entlangstrolcht.“