Jüdische Bibliothek in Hamburg

Neues Leben für alte Bücher

Die Bestände der Jüdischen Gemeindebibliothek in Hamburg konnten 1942 gerettet werden.
Die Bestände der Jüdischen Gemeindebibliothek in Hamburg konnten 1942 gerettet werden. © imago/UPI Photo
Von Christian Find |
Fast alle Bestände der jüdischen Bibliotheken in Deutschland sind in der Nazi-Zeit vernichtet worden - bis auf die Bücher und Zeitschriften der Jüdischen Gemeindebibliothek in Hamburg. Sie sollen nun restauriert werden.
"Ich find ja immer, dass die so schöne Titelblätter haben, wie so Portale gestaltet. Und mit so schönen Emblemata. - Ja, man sieht an, was sie gelitten haben."
Behutsam, fast zärtlich zieht Maria Kesting immer wieder einzelne Bücher aus den Regalen und schlägt sie vorsichtig auf. Seit über 70 Jahren haben diese Seiten kein Tageslicht mehr gesehen. Kesting leitet die Provenienzforschung an der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky. Sie koordiniert die Katalogisierung und Restaurierung der jüdischen Gemeindebibliothek. 13.000 Bände in deutscher, hebräischer und in jiddischer Sprache stehen in den Regalen. Als könnten sie endlich ausruhen und durchatmen. 17.000 waren es einmal. Viele von ihnen haben alte Ledereinbände, von denen die Buchrücken bereits abgefallen sind. Es sind stumme Zeugen einer wahren Odyssee, die diese Bibliothek hinter sich hat und die mit ihrer drohenden Vernichtung in der Pogromnacht 1938 begann.
"Wir fangen halt jetzt mit denen erstmal an, wo man sich traut, das noch anzufassen."
Nach der Konfiszierung der Bücher durch die Nazis und den Abtransport in das Reichssicherheitshauptamt nach Berlin hatte es der damalige Leiter der Hamburger Stadtbibliothek, Gustav Wahl, im Jahr 1942 geschafft, die Bibliothek vor ihrer Vernichtung zu retten. Er reklamierte sie als Hamburgensie, als Kulturgut Hamburgs. Zusammen mit anderen Bibliotheksbeständen wurden die über 100 Kisten in Ausweichlager nach Sachsen transportiert, wo sie in dunklen Kellern und tiefen Stollen den Krieg überlebten. Starke Feuchtigkeit, Rattenfraß und Plünderungen setzten den Büchern zu. Erst 1957 konnte die Bibliothek durch diplomatische Bemühungen der Dresdner jüdischen Gemeinde aus der damaligen DDR wieder nach Hamburg zurückgebracht werden.
Ein Schatz, der in den Archiven schlummert
"Das Besondere an dieser Sammlung ist, dass wir davon ausgehen können, dass wir aus dem 19.Jahrhundert vollständig eine Wiedergabe der Druckwerke zum Judentum finden. Dass wir vollständige, zum Teil noch laufende aber zum Teil auch eben abgeschlossene Zeitschriften und Zeitungen finden, die überhaupt in dieser Gesamtheit auf der Welt nicht mehr vorhanden sind. Dann haben wir natürlich Prachtbibeln, und der Bestand beginnt ja eben mit dem 16. und 17. Jahrhundert."
Gabriele Beger, die Leiterin der Hamburger Universitätsbibliothek, spricht von einem Schatz, der da in den Archiven schlummert. Im Jahr 2003 hatte die Jüdische Gemeinde die Bücher der Uni-Bibliothek zur fachgerechten Lagerung übergeben und einen Kooperationsvertrag mit ihr geschlossen. Besonders wertvoll sind 3.000 hebräische Bände aus dem 17. und 18. Jahrhundert, kostbare Drucke des Babylonischen Talmud, Ausgaben von Moses Mendelssohn und S.R. Hirsch, gesammelte Werke von großen Rabbinern wie Abraham Geiger. All diese Bücher sollen jetzt digital erfasst, restauriert und wieder öffentlich zugängig gemacht werden.
"Sie brauchen dafür Fachleute, sie brauchen wissenschaftliche Mitarbeiter, die aus der Fülle der Belletristik eben bis über Theologie bis zur Geschichte alles systematisieren können. Dann die vielen Restaurierungen, die notwendig sind. Dafür brauchen wir drei Jahre und 450.000 Euro. Noch fehlen 130.000, aber wir sind da ganz optimistisch, dass wir da weiterhin Unterstützung erhalten."
Zu den ältesten Werken gehören mindestens 20 Machsorim, jüdische Gebetsbücher, die teilweise sogar Jahrhunderte in Gebrauch waren. Da sei noch ganz deutlich an ihren Spuren zu erkennen, sagt Kesting.
"Also das ist ein Mahsor ke-minhag, ein Buch, wo die besonderen Rituale für die besonderen Feiertage und die besonderen Gebete für die Feiertage verzeichnet sind. Das ist was von 1709. Das ist Leder über einen Holzdeckel. Da sind mal Schließen dran gewesen, die inzwischen nicht mehr da sind. Ist stark berieben. Hinten der Rücken ist stark beschädigt. Und allein dieses hier würde wenigstens 1.000 Euro kosten, um es zu restaurieren. Und das ist eins und fällt laut unserem Restaurator in die Kategorie leicht."
Bereicherung für das jüdische Leben in Hamburg
Von jedem einzelnen Buch, das jetzt in den Regalen darauf wartet, wieder in Gebrauch genommen zu werden, geht eine Ausstrahlung aus, die den großen Wert dieser Sammlung unterstreicht. Warum wurde erst jetzt mit ihrer Restaurierung begonnen? Beger, die Leiterin der Staatsbibliothek, sieht darin so etwas wie einen Nachklang der Geschichte.
"Wir befinden uns hier im Grindelviertel in Hamburg. Das ist das jüdische Viertel schlechthin. Und hier haben sehr viele Gläubige auch wirklich wieder versucht, die jüdische Gemeinde zu beleben. Es sind inzwischen auch wieder koschere Cafés und Restaurants entstanden, und das stellt sicher erst einmal auch einen Hauptgrund dar, dass man sich nicht um historische Bibliotheken kümmern muss. Und ehrlich gesagt, die Staatsbibliothek ist dazu berufen, das kulturelle Erbe dieser Hansestadt auch in der Tat zu bewahren und zugängig zu machen. Es ist eine schöne Kooperation."
Über die sich auch die Hamburger jüdische Gemeinde freut. Bernhard Effertz, der Leiter der Gemeinde, betont, dass gerade die alten Werke nicht nur von historischer Bedeutung sind, sondern vor allem eine Bereicherung für das heutige jüdische Leben in Hamburg sein können.
"Ich bin auch glücklich, dass das jetzt systematisch aufgearbeitet wird. Also dass es nicht nur rein katastermäßig, sondern auch inhaltlich aufgearbeitet wird. Es sind ja auch viele Rituale beschrieben. Und da bin ich sicher, dass wir in den nächsten Jahren noch viele Schätze finden werden, die wir übernehmen können."
Gerade auch deshalb hofft Effertz, dass die Bücher, wenn auch in noch unbestimmter Zukunft, wieder dort stehen werden, wo sie einst ihren Geist entfalten konnten, in der Mitte eines neuen jüdischen Kulturzentrums.
"Es war mal eine ganz stolze Gemeinde, und das ist ja mein Weg, mein Ziel, unser Ziel, dass wir darauf aufbauen. Dass wir wieder ein Leuchtturm werden des Judentums."

Geschichte der Bibliothek vor 1942:

1909 - Gründung der Jüdischen Bibliothek in Hamburg.
1921 - Schließung, weil der Trägerverein in Finanzschwierigkeiten geriet.
1923 - Die Deutsch-Israelitische Gemeinde Hamburg übernimmt den Unterhalt (Bibliothek und Lesesaal).
1928 - Kurze Blütezeit unter Isaak Marton (Bibliothekar). Wissenschaftliche Ausrichtung.

Mehr zum Thema