Thomas Meyer: "Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin"
Diogenes, September 2019
288 Seiten, 24 Euro
Normalität gibt es nicht
10:47 Minuten
Drei Bücher mit jüdischen Themen werden vorgestellt. Zwei Romane blicken auf jüdische Familien und ihre speziellen Traditionen und ein Bestsellerautor erklärt, warum die biblische Opfergeschichte des Isaak für ihn Anker seiner Thriller ist.
"Mein Name ist Mordechai Wolkenbruch, kurz Motti." Er ist wieder da. "Ich möchte eine Frau, die mir so richtig gefällt."
"Also, der Herr Wolkenbruch hat Ansprüche." Dabei könnte alles doch so einfach sein: "Bei uns Jidden gibt es einen ganz klaren Lebensplan: Man wird geboren, beschnitten, hat mit dreizehn Jahren Barmitzwe und heiratet später eine Jiddin, die so fromm ist, wie man selbst."
Welche Auflage der Roman von Thomas Meyer seit 2014 erzielt hat, darüber schweigt der Diogenes Verlag fein still. Pünktlich zur Onlinevermarktung der Verfilmung des Romans kommt Wolkenbruch die Zweite auf den Markt. Nach allerlei Irrwegen hat Thomas Meyer nun einen Fortsetzungsroman geschrieben. Der Titel seines neuen Romans: "Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin".
Und unserem jungen Schweizer geht es nach dem Ende seiner religiösen Emanzipationsgeschichte trotz salonfähiger Pointen gar nicht gut: "Mordechai schaut aus dem Fenster und fragt sich, was er mit dem Rest seines Lebens anfangen solle. Elf Stockwerke unter ihm sind lauter Menschen unterwegs, zu Fuß, auf dem Rad und im Auto. Mordechai beneidet sie darum, ein Ziel zu haben. Außer der Hotelbar hat er derzeit keines."
Retourkutsche für die Nazis
Doch Rettung naht in Form von Herrn Hirsch aus Israel: "Wir sind eine Gruppe von Jidn, die nicht mehr orthodox leben und deren Familien deswegen mit ihnen gebrochen haben. Wir unterstützen einander, bei der Suche nach Arbeit und einer Wohnung und so weiter. Und wir möchten auch Ihnen helfen."
Was folgt ist eine Screwball-Komödie, in der nichts ist, als was es scheint. Die Handlung pendelt sich irgendwo zwischen Groucho Marx und Johnny English ein. Lebenshilfe gibt es keine. Der Blick auf die jüdische Familie weitet sich zu einem Thriller um die Machenschaften alter Nazis und die Kapriolen eines Agenten wider Willen in Israel.
Unübersehbar das Vergnügen seines Autors, es den Nachkriegs-Nazis um ihren "Neuen Führer" und ihrem neuen Lebensborn sarkastisch heimzuzahlen. Eine durchgeknallte Reise in die Fantasie. "Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin": der Fluchttraum eines Schweizers aus der komplizierten Gegenwart.
"Mein zweiter Mann hieß Tann, und er kam aus einer Region, die Gäuboden hieß, und ich verstand, als wir uns das erste Mal im Krankenhaus unterhielten, Goj-Boden und sagte, sehr gut, du kommst aus der fruchtbaren Erde, die einen Goj nach dem anderen hervorbringt, und ich komme aus Otto."
Dana von Suffrin widmet ihren ersten Roman allen pensionierten Ingenieuren. Ihr Vater Otto war Ingenieur, ein Siebenbürger Jude, der seine beiden Töchter damit wahnsinnig machte, seine Geschichte aufzuschreiben.
"Ich sagte, Otto, was willst du? Otto legte seine Hände auf meine Hände und sah mir ins Gesicht, als würde er nach Erbmerkmalen suchen, die mich als würdige Chronistin der Familiengeschichte auswiesen. Offensichtlich fand er sie, denn er sagte: Timna, die Geschichte unserer Familie ist so herrlich! Wie Otata am Bahnsteig spielte mit einem kleinen Mädchen!"
Ottos Vater heiratete die Tochter des Stationsvorstehers, 20 Jahre nachdem er sie auf dem Bahnsteig sah. Lovestory als Migrationsroman.
Gelacht wird trotzdem
"Timna, verstehst du, das alles ist weg, wenn du es nicht aufschreibst! Timna, wieso schreibst du nicht einen Roman über unsere Familie?"
Der skurrile Humor der Autorin, ihre burschikose Erzählweise und der unglaublich freche Umgang mit jüdischem Leid, der diese – wie viele jüdischen Familien – Geschichten bestückt, lässt jede Larmoyanz, lässt allen Schmerz abfallen. Man lacht, man lacht auch Tränen und lernt diese völlig unkorrekten Zuwanderer aus dem Osten lieben.
"Die Leute ganz früher hatten viele Sorgen, viele Kinder (nur zwei davon wurden älter als acht) und kein Internet. Sie waren gottesfürchtig und lachten nie; sie fanden es höchstens lustig, wenn jemand auf der Straße auf einem Stück glitschigen Darm ausrutschte (denn Bananen gab es noch nicht, und Innereien lagen überall herum), dann schmunzelten sie gutmütig."
Otto ist ein Schluri, zwar nicht dement, aber die Wahrheit findet sich eher homöopathisch dosiert in seinen Erinnerungen. Von der Verkapselung des Schmerzes berichtet dieser Roman, von der Sprachlosigkeit der Überlebenden in der Gegenwart und von der Sprachmächtigkeit ihrer Handlungen im Deutschland von heute.
Dana von Suffrins "Otto": Herrlich anarchistisch unkorrekt ist dieses Buch. Und ein Ausblick auf die frische Sprache jüdischer Zuwanderer von deren Kindern man sich noch viele Bücher wünschen will.
Dana von Suffrin "Otto"
Kiepenheuer & Witsch 2019
240 Seiten, 20 Euro
"Es ist gerade mal zwölf Jahre her, dass ich mein erstes Buch schrieb. Es war eine Sammlung von Essays über das Bild der orientalischen Einwanderer in der israelischen Literatur der 1980er Jahre."
Dror Mishani fing erst mit 32 Jahren an zu schreiben. Sein Großvater war aus Syrien eingewandert. Der Sohn eines Rechtsanwalts gehörte zu den Misrachim, der von den aus Europa stammenden Juden diskriminierten Minderheit. Und Cholon, die graue Vorstadt südlich von Tel Aviv, in der Mishani geboren worden war, galt auch nicht als hip.
"Die Schauplätze der klassischen israelischen Romane waren bisher meist Jerusalem, als Stätte unserer Vergangenheit, oder - stellvertretend für Zukunft und Gegenwart - Tel Aviv, dazu wichtige Orte der israelischen Geschichte wie der Kibbuz oder der Militärstützpunkt."
Henning Mankell habe ihm sehr imponiert, sagt Dror Mishani. Wie dem Schweden ginge es ihm darum, die Ränder der Gesellschaft auszuleuchten, auch wenn wir es vorzögen, diese nicht zu sehen. Das sei, was gute Krimis täten, so Dror Mishani.
Der biblische Ur-Thriller
Und dann spricht dieser säkulare Israeli von dem jüdischen Trauma und dem Scharnier zwischen jüdischer Kultur und hebräischer Literatur. Die Geschichte von Abraham und Jitzchak ist für mich so wichtig, sagt Mishani, weil sie den Gründungsmythos der hebräischen Kultur enthält. Und dann verweist der schreibende Dozent der Universität von Tel Aviv auf die vielen Geschichten von Gewalt in der Tora. Die Opferung des Kindes reihe sich da ein. Die Geschichte von Abraham und Jitzchak könne man als Thriller lesen, an dessen Ende das Verbrechen doch vereitelt wird.
"Diese Überlieferung ist wichtig, sie enthält ein grundlegendes Element der hebräischen Literatur. Indem es um Verbrechen und Gewalt ginge, würden Strukturen thematisiert, von denen man nur ungern spricht."
Dieser Mitzwa, Verborgenes aufzudecken, fühlt Dror Mishani sich auch in seinem neuen Roman verpflichtet. Hier läge die Verknüpfung der Tradition mit der modernen Literatur, so Dror Mishani. Deswegen hält der säkulare Autor diesen Text in der Tora für elementar. Und in diesem Kontext steht sein neuer Roman. "Drei" heißt er. Im Vordergrund, drei Frauen.
"Sie hatten sich über ein Dating-Portal für Geschiedene kennengelernt. Sein Profil war einigermaßen nichtssagend und gerade deshalb hatte sie ihn angeschrieben."
Plötzliche Wendungen
Orna, eine der drei Frauen, ist von ihrem Mann verlassen worden. Mit Eran, ihrem Sohn, fühlt sie sich jedoch einsam. Sie stöbert durch Mitteilungen und Profile von Dating-Portalen, begegnet dort Gil.
"Ich habe mir vorgestellt, wie der Anfang des Romans gelesen wird. Eine Beziehung scheint sich anzubahnen. Man weiß nicht, wie sich die Geschichte von Orna und Gil entwickeln wird. Und dann geschieht etwas und der Charakter des Romans ändert sich radikal. Aus der Romanze wird etwas ganz anderes und die zweite Geschichte beginnt."
Mishani hat drei Lesehaltungen konstruiert. Er spielt mit seinem Publikum. Angereichert wird dieser Roman durch die präzisen Nahaufnahmen, die die Welten der drei Frauen so reich machen und die Unterströmung von Verbitterung und Gewalt enthüllen, die der israelischen Gesellschaft in ständiger Anspannung zur zweiten Natur geworden ist. Denn das, was den Frauen geschieht, kann ihr nur geschehen, weil sie in der israelischen Gesellschaft zwar benötigt, aber als Unpersonen ausgeblendet werden.
Ein Roman wie eine Kampfansage gegen die Normalisierung von Gewalt. Und ein Meisterwerk, das auf leisen Pfoten mehr Einsicht evoziert.
Dror Mishani: "Drei"
Diogenes, August 2019
336 Seiten, 24 Euro