Bedürfnis nach mehr Schutz
Die steigenden Flüchtlingszahlen aus muslimischen Gegenden verunsichern viele Juden in Deutschland: Wie offen kann sich jüdisches Leben noch zeigen? Das Bedürfnis nach mehr Polizeipräsenz und Sicherheitstechnik wächst.
Polizeiautos passieren, die Treppen hoch am Sicherheitsmitarbeiter der Gemeinde vorbei, die Klingel drücken, den Türsummer abwarten, beim Pförtner den Ausweis zeigen, Handtasche öffnen, das Taschenmesser abgeben und wieder auf einen Türsummer warten – es dauert, bis man drin ist in der Kölner Synagogengemeinde.
An der Glastür Richtung Sitzungssaal klebt ein großes Plakat, es ist bedruckt mit einem Bild, das zersplittertes Glas und Einschüsse zeigt: Werbung für den Besuch eines Jugendkongresses über Terrorgefahr durch den islamischen Fundamentalismus.
Vorstand Abraham Lehrer bemerkt in seiner Kölner Synagogengemeinde derzeit eine große Verunsicherung – seit der Kölner Silvesternacht. Und seit die Stadt direkt gegenüber auf dem Rathenauplatz Container als Erstaufnahmeeinrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nutzt:
"Vor allem die jungen Familien üben schon einen ordentlichen Druck auf den Gemeinderat und auf den Vorstand aus, sich dafür einzusetzen, dass die Sicherheitsmaßnahmen hoch gesetzt werden. Das sie verstärkt werden. Im Rahmen dieser Befürchtungen hier mit den jungen Menschen auf dem Rathenauplatz ist natürlich auch eine Diskussion aufgekommen: Sollen wir, wenn wir zur Synagoge herkommen oder wenn wir die Synagoge verlassen, sollen wir die Kippa tragen? Sollen wir sie unter einer Baseballcap verstecken oder sollen wir sie ganz ausziehen? Wir als Gemeinde können dort nicht wirklich einen Rat geben."
Die Auflagen waren nicht mehr zu stemmen
Die Gemeindeleitung verhandelt derzeit mit dem Landesinnenministerium zumindest über die Erstattung der Sicherheitskosten für alle ihre Einrichtungen – etwa den eigenen Wachdienst.
Nach den Attacken in der Kölner Silvesternacht hat es zwar eine Bestandsaufnahme durch das Landesinnenministerium gegeben. Verbessert habe sich aber laut Abraham Lehrer nichts:
"Weniger geworden ist es Gott sei dank nicht. Die Absprache, wann der Polizeiwagen vor der Tür steht, wann die Sicherungsmaßnahmen vorgenommen werden – das klappt nach wie vor sehr gut. Da hat sich keine Veränderung ergeben, auch kein Absenken. Aber für unser Gefühl auch nicht eine wirkliche Steigerung, so wie wir es gerne hätten, zumindest für dieses Gebäude."
Das Kleine jüdische Lehrhaus in Bonn-Oberkassel hat inzwischen geschlossen. Es zeigte bis letztes Jahr in seiner ständigen Ausstellung die Geschichte und Kultur der Juden der Rheinlande. Aber die immer höheren Auflagen der Behörden waren einfach nicht mehr zu stemmen: nach besserem Brandschutz, nach mehr Sicherheit etwa durch Kameras, nach Mehrfach- statt Einfachverglasung.
Das Sicherheitsbedürfnis hat sich geändert
Gottfried Herkenrath, bis zur Auflösung der 2. Vorsitzende des Vereins, der das Lehrhaus betreute, hatte schon ab und an ein mulmiges Gefühl, wenn er alleine in der Ausstellung Aufsicht führte. Weil es immer rund um Vorträge oder Konzerte anonyme Drohungen gegeben habe – meist im Namen der antiisraelischen Terrororganisation der palästinensischen Kassam-Brigaden:
"Diese Mails kamen – das ist dasjenige, was uns sehr beschäftigt - alle aus dem Ausland. Sind letztlich, auch wenn die Kassam-Brüder sich dort outen, aber im Einzelnen unkonkret. Die Polizei ist daher machtlos, dagegen etwas zu unternehmen. / So dass man damit leben muss und sich einfach eine dicke Haut zulegen muss."
Zusätzlich aber musste die Vereinsvorsitzende wegen Drohanrufen ihre Telefonnummer ändern. Das Kleine jüdische Lehrhaus soll dieses Jahr einen Raum in einem anderen Museum ganz in der Nähe bekommen, um wenigstens einen Teil seiner Exponate wieder aus den Kisten zu holen. Das Leben in den jüdischen Gemeinden dagegen soll an den vertrauten Orten so weiter gehen wie bisher. Für sie erstellt der Sicherheitsbeauftragte des Zentralrats der Juden, Ingomar Dorner, Gefährdungsanalysen. Ihm fällt bei seinen Terminen vor Ort auf: Das Sicherheitsbedürfnis hat sich geändert.
"Die sind etwas besorgt die Gemeindemitglieder wegen der Zuwanderung die wir jetzt haben. Obwohl es keine belastbaren Fakten gibt, die auf eine erhöhte Gefährdung der Gemeinden hinweisen. Aber das ist halt eine gefühlte Gefährdung."
Stahlbetonmauer vor der jüdischen Grundschule
Auf die aber eingegangen wird - mit immer stärkeren Sicherungsmaßnahmen:
"Es gibt halt Zäune, da will man echt nicht, dass jemand auf das Gelände kommt, weil es für diejenigen, die auf dem Gelände sind, gefährlich sein kann. Die sind dann 1,80 Meter, 2,40 Meter hoch, haben dann einen so genannten Übersteig-Schutz. Es gibt den so genannten Unterkriech-Schutz, damit man sich da nicht unter dem Zaun durchbuddeln kann. Und es gibt auch Zäune, die detektieren. Das heißt: In einer Sicherheitszentrale läuft ein Alarm auf, wenn sich jemand an dem Zaun zu schaffen macht, gibt es verschiedene technische Möglichkeiten, das zu verhindern."
In Köln hat die Stahlbetonmauer vor dem Pausenhof der jüdischen Grundschule fast eine halbe Million Euro gekostet – sie soll sogar vor möglichen Sprengstoffanschlägen schützen.