Eindrücke vom Jeckes-Museum in Tefen:
Warum aus Akademikern Landwirte wurden
Mit wenig mehr als ein paar Habseligkeiten und der Hoffnung auf ein besseres Leben, erreichten in den 1930er Jahren die sogenannten Jeckes, deutschsprachige Juden, Palästina. Aus Akademikern wurden Landwirte, die versuchten den kargen Wüstenboden fruchtbar zu machen.
Nicht weit von Naharija und der libanesischen Grenze liegt zwischen Pinien und Zypressen ein Gewerbepark. Neben einem Kunstmuseum gibt es hier in Tefen das einzige Jeckes-Museum in ganz Israel. Ruthi Ofek ist die Kuratorin und führt vorbei an einem Schrankkoffer, an alten Sekretären und Judaika, hin zu einem alten Grammophon.
Wie alle Ausstellungsstücke ist auch das Gramophon eine Leihgabe von Jeckes-Familien. Jener Juden also, die vor den Nazis ins damalige Palästina geflohen waren. Ruthi Ofek hat eines Tages mehr von dem Sänger auf der Schelllackplatte erfahren, der von Elijahu Hanavi singt, von Elias, dem Propheten. Damals klingelte das Telefon, erinnert sich Ruthi Ofek:
"Sie hat angerufen, die Tochter von diesem Herrn, der da der Sänger ist. Und die Dame kam und war ganz aufgeregt, als sie das gesehen hat und wieder ihren Vater gehört hat. Und dann hat sich herausgestellt: Diese Platten wurden in London im Jahre 1933 gedruckt, für jüdische Melodien."
Ein Museum der privaten Erinnerungen
Die Tochter weinte, als sie ihren Vater erstmals wieder hörte. Tatsächlich erlebt Ruthi Ofek es immer wieder, dass das Jeckes-Museum Gefühle frei setzt. Die Kuratorin steht im Allerheiligsten, einem Zimmer, in dem sich bis zur Decke Kartons stapeln. Auf jedem steht ein Familienname, darin: Briefe, Dokumente, Kinderzeichnungen, viele noch in Sütterlin beschriftet. Ruthi Ofek blättert in den alten Papieren:
"Zum Beispiel wir haben hier Liebesbriefe zwischen einem 21-Jährigen und einer 17-Jährigen. Die Eltern haben diese Liebe streng verboten. Jeder Brief wurden von den Eltern gelesen. Und dann hat sie unter der Briefmarke private Sache geschrieben, wie: 'Ich liebe Dich.' Das finden wir immer unter der Briefmarke. Das Liebespaar: Er wurde versetzt nach Indien, hat in einer Bank gearbeitet. Und die beiden haben sich dann hier in Israel getroffen. Sie haben eine Familie gegründet, und von der Familie haben wir die Sachen dann gekriegt."
Neben Liebesbriefen ist im Jeckes-Museum auch eine einfache Hütte zu sehen: Mit Betonboden und Luken als Fenster, mit Waschbrett, Uhlands Gedichten im Regal und einer Bettflasche unter der Pritsche. Es ist die letzte erhaltene Jeckes-Hütte. Sie wurde in den 40er-Jahren aufgestellt in Naharija, an der Mittelmeerküste. Das Leben in diesen Holzhütten war nicht immer einfach, erklärt Ruthi Ofek:
"Die Leute waren froh, dass sie in so etwas wohnen konnten. Weil die Alternative war schrecklich. Aber leicht war es sicher nicht, in so einer Holzhütte zu leben in Israel in diesem Klima: Im Winter war es schrecklich kalt und im Sommer schrecklich heiß. Aber so haben sie damals dort gelebt."
Ein neues Leben – als Landwirt
Auch die 101 Jahre alte Lilo Reis erinnert sich an das einfache Leben und daran, wie sie 1934 die Familienvilla im Berliner Grunewald verlassen hat. Der einzige Luxus in ihrer neuen Heimat Sde Warburg nördlich von Tel Aviv war ein Klo im Zweizimmerhäuschen. Lilo Reis erinnert sich noch genau an diese Jahre:
"In den ersten fünf Jahren hab ich vier Kinder bekommen. Aber ich hab nicht Zeit für die Kinder gehabt. Das Wichtige war, draußen zu arbeiten. Und die Kinder waren immer irgendwie dabei. Und wenn ich sie nicht gerade gebrauchen konnte, dann hat man sie eingesperrt in dem Auslauf von den Hühnern. Das war zu, da konnten sie nichts machen. So war das damals."
Auch die Eltern von Lilo Reis kamen 1939 gerade noch rechtzeitig raus aus Berlin. Dem Vater Paul Litten gehörte in Zehlendorf eine Großhandlung für Heu und Stroh, in Sde Warburg musste er mit aufs Feld. Wie alle Neuankömmlinge, sagt Uri Shacham. Er hütet die Geschichte der Siedlung:
"Es waren Akademiker, es waren Künstler, Musiker, aber von Landwirtschaft: nix. Das heißt, die zionistische Bewegung hat Zentren angemietet, dort kamen die jungen Leute an und hatten ein bisschen Landwirtschaft gelernt und gelernt, eine richtige, gerade Furche zu ackern. Und wenn sie eine gerade Furche geackert hatten, dann wurden sie Landwirte."
Lilo Reis war eine der Gründerinnen von Sde Warburg. Sie hatte ein 1000 Pfund-Zertifikat in der Tasche, es ermöglichte ihr wie den anderen Gründerfamilien des Moshav die ersten Schritte in die Zukunft.
"Die haben in Deutschland 1000 Pfund gezahlt und haben hier das Grundstück bekommen. Es war die letzte Möglichkeit. Es waren alles keine Landwirte. Es waren 40 Familien, haben natürlich nur Deutsch geredet, Hebräisch hat keiner gewusst, und man hat sich benommen wie die Deutschen. Pünktlich muss man sein und zuverlässig und möglichst ordentlich. Und vor allen Dingen haben die Leute hier wirklich schwer gearbeitet."
Feldarbeit und Kammermusik
Die wenige Zeit dazwischen war auch Zeit für Kultur. Uri Shacham sagt, nach der Feldarbeit wurde manchmal zur Kammermusik gebeten.
"Hier war ein Café. Und hier auf dem Foto, da sieht man die Frauen, picobello angezogen mit Hut, um einen Tisch herum sitzen, einen richtigen Barocktisch. Und wenn man nach unten guckt auf dem Foto: Auf was steht dieser Tisch? Auf Sand!"
Und dann erzählt er, wie die Kinder des Moshav im Unabhängigkeitskrieg von 1948 im Wadi versteckt wurden. Direkt nebenan, im arabischen Tira, lag eine irakische Division, hinter Sde Warburg verlief die Front.
"Hier ein Fernglas, das benutzt worden ist vom Militär, gehörte meiner Mutter. Das war ein Theaterfernglas. Ich sehe noch meine Mutter auf das Dach klettern, um den Feind auszuspionieren – mit einem Theaterfernglas."
Viele ältere Neueinwanderer hätten gelitten unter dem neuen Leben in Palästina – unter Armut, Klima, Lebensgefahr. Darunter auch Otto Warburg, Botaniker, Zionist und Namensgeber des Moshav, sagt Uri Shacham.
"Mehrere konnten das nicht ertragen, unter anderem auch Warburg, der eigentlich sehr gerne in Palästina leben wollte. Aber seine Frau hat das nicht ausgehalten, von einer Klimaanlage war überhaupt nicht die Rede. Das war schon eine Zumutung. Aber in Auschwitz war es schlimmer."