Heidelberg eröffnet neuen jüdischen Friedhof
Neue jüdische Friedhöfe werden in Deutschland selten eröffnet. Doch in Heidelberg war es mal wieder so weit, dort gibt es nun einen neuen. Es ist auch ein Signal an die jüdische Bevölkerung, dass sie willkommener Teil der Stadtgesellschaft ist.
Noch ist kein einziges Grab zu sehen, nur eingefriedete Stücke Rasen, durch die gepflasterte Wege führen. Doch das ist nun der neue jüdische Friedhof in Heidelberg und Rabbiner Janusz Pawelczyk-Kissin ist offensichtlich sehr froh darüber, dass es ihn gibt. Seine Gemeinde ist mit dem Zuzug ukrainischer Juden in den 90er-Jahren nämlich sehr gewachsen und das bedeutet, dass er sich auch darum kümmern muss, wo die Mitglieder nach dem Leben einen Platz finden.
"Es war nötig, weil der alte Friedhof fast voll belegt war. Deshalb standen wir vor dem Problem des Kaufs eines neuen Grundstücks. Und zum Glück hat uns die Stadt Heidelberg –die war sehr entgegenkommend –, hat uns mehrere Vorschläge unterbreitet, und wir haben uns dann für ein Grundstück, das eigentlich ein Teilgrundstück des bestehenden allgemeinen Friedhofs ist, entschieden."
Damit gibt es nun drei sichtbare jüdische Friedhöfe in Heidelberg. Von den ersten beiden, die im Mittelalter und dann erst wieder im 17. Jahrhundert entstanden, ist so gut wie nichts mehr übrig, aber zwei andere sind recht gut erhalten beziehungsweise restauriert worden. Der bis zuletzt genutzte gilt als einer der schönsten Teile des eigentlich städtischen Bergfriedhofs.
Jüdische Gräber dürfen nicht eingeebnet werden
"Es ist bei uns in Heidelberg die letzten etwa hundert Jahre so gewesen, dass der jüdische Friedhofs praktisch Teil des christlichen Friedhofs war – also nicht Teil des christlichen Friedhofs, es war schon ein abgegrenztes Gelände, aber die Nähe hat niemanden gestört. Und das ist vom Religionsgesetz in Ordnung. Sehr wichtig ist, dass das Grundstück tatsächlich der Gemeinde gehört. Denn wenn dort bestattet wird, dann ist das auf ewig."
Dieses "auf ewig" ist wesentlich. Nie darf ein jüdisches Grab eingeebnet oder wiederverwendet werden. Außerdem ist der Dienst an den Toten eine der wichtigsten Aufgabe im Gemeindeleben.
"Der Friedhof ist im Prinzip das Wichtigste in der Gemeinde", meint Professor Johannes Heil, Rektor der Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg.
Wer aufsteigen will, muss Dienst an den Toten leisten
"Sie brauchen nicht unbedingt eine Synagoge, da reicht ein Betsaal, der kann angemietet sein. Im Grunde muss, wer zur Elite der Gemeinde gehören will, der muss durch eine Funktion durch: Er muss Mitglied in der Chewra Kadischa sein. Und was ist die Chewra Kadischa? Es ist die Beerdigungsbruderschaft, die sicherstellt, dass auch der Ärmste in den Tod begleitet wird. Dass er nicht alleine mit zwei Leuten dort verscharrt wird."
Eine traditionelle jüdische Bestattung ist in ein umfangreiches Regelwerk eingebettet – von der Waschung der Leiche über das Totengebet Kaddisch bis hin zu verschiedenen Trauerphasen. Wichtig ist die Gleichheit im Tod. Jeglicher Pomp ist untersagt – und das drückt sich unter anderem auch darin aus, dass es keinen teuren Blumenschmuck gibt, sondern man nur Steine auf das Grabmal legt, um seine Verbundenheit zu zeigen. Dennoch lassen sich auch an jüdischen Gräbern kulturelle Unterschiede und Einflüsse ablesen. Und natürlich sind auch jüdische Gemeinden mit gesellschaftlichen Veränderungen konfrontiert. Eine Urnenbestattung ist bis heute nicht möglich, aber was passiert beispielsweise mit Ehepaaren, von denen einer oder eine nicht jüdischen Glaubens ist. Rabbiner Janusz Pawelszyk-Kissin:
"Das Problem haben wir nun auf dem neuen Friedhof so gelöst, dass wir ein Teilgrundstück reserviert haben, explizit für die nichtjüdischen Angehörigen von Gemeindemitgliedern. Es ist genauso schön gestaltet und genauso gut eingerichtet, es liegt direkt am jüdischen Teil des Friedhofs, aber doch außerhalb."
Bei der Suche nach einem passenden Grundstück hat die Stadt Heidelberg versucht, der Gemeinde so weit wie möglich entgegenzukommen – ganz einfach, weil es die historische Verantwortung gebot. Hans Martin Mumm, ehemaliger Kulturbürgermeister und Vorstand des Heidelberger Geschichtsvereins:
"Es gab andere Städte, wo Friedhöfe systematisch geplündert und zerstört worden sind. Das ist in Heidelberg so nicht geschehen. Der Grund ist mir nicht bekannt, aber es ging ihnen trotzdem schlecht. Beide Friedhöfe mussten zwangsverkauft werden 1940 und '42, und der jüdische Friedhof am Bergfriedhof wurde verkleinert und dem städtischen Friedhof zugeschlagen. Das ist der Grund, warum man jetzt einen neuen Friedhof brauchte. Hätte man diese Flächen noch, hätte es noch ein paar Jahre gereicht, die waren dann aber '45 schon belegt."
Signal an die jüdische Bevölkerung
Fünf Jahre hat es gedauert, bis alles geregelt war mit dem neuen Friedhof. Aber dem zuständigen Bürgermeister Wolfgang Erichson war immer klar, dass dabei um ein Stück Aufarbeitung ging und darum, den jüdischen Bürgerinnen und Bürgern zu signalisieren, dass sie ein willkommener Teil der Stadtgesellschaft sind.
"Da es ja ein städtischer Friedhof ist, werden wir natürlich auch weiterhin die Pflegeleistungen erbringen. Das Zweite ist, dass natürlich die Verkaufsverhandlungen schwierig waren, weil es gibt eben einen bestimmten festgelegten Grundstückspreis. Die jüdische Gemeinde hier in Heidelberg ist nicht sehr reich und das war natürlich dann: Wo findet man jetzt hier die Mitte zwischen dem, was eigentlich marktüblich der Preis ist und was die jüdische Gemeinde auch leisten kann? Und wo man auch als Stadt der jüdischen Gemeinde entgegen kommt und sagt: Das ist auch eine Form der Entschädigungsleistungen für Dinge, die hier im 'Dritten Reich' passiert sind – also das ist sicherlich der Abschluss der Aufarbeitung."
Was die Friedhöfe anbelangt. Was die in Zukunft über das jüdische Leben in Deutschland erzählen werden, darüber gehen die Meinungen auseinander. Ob es weiter wachsen wird oder nach einer Hochkonjunktur wieder abflaut, weiß keiner. Die Eröffnung neuer jüdischer Friedhöfe ist auf jeden Fall noch nicht die Regel. Die jüdische Bestattungskultur und der Wunsch nach einem ewigen Grab aber werden wohl bleiben. Denn sie sind nicht zuletzt seit Jahrhunderten ein Instrument dafür, das Leben in der Minderheit sicherzustellen. Professor Johannes Heil:
"Das ist ein Stück von Lebensweisheit einer Minderheit, die vielleicht diese Dinge intensiver lebt, als das im Großen und Ganzen der Fall ist. Aber heute, wo wir ja sehr individuell leben, brauchen wir genau diese Dinge, um dann nicht am Ende hinten runterzufallen. Wenn Sie so wollen, ist der Friedhof ein Aushandlungsort gesellschaftlicher Realität."