Jüdische Kulturschätze in Erfurt

Auf dem steinigen Weg zum Weltkulturerbe

Die Alte Synagoge in Erfurt.
Die Alte Synagoge in Erfurt ist über 900 Jahre alt und gehört damit zu den ältesten Synagogen Eruopas. © picture alliance / Daniel Kalker
Von Henry Bernhard |
Bis zu ihrer Ausgrabung in den Neunzigerjahren waren viele jüdische Schätze in Erfurt in Vergessenheit geraten. Nun soll die Alte Synagoge mit anderen jüdischen Fundstücken Weltkulturerbe werden. Für die Stadt ist dies eine große Herausforderung.
"Dies ist der Grabstein, der gesetzt wurde zu Häupten der gesegneten jungen Frau. Es ist die liebenswerte, ehrbare Frau Hannah, Tochter des Yehiel ha-Kohen, die verstarb im Jahr 5005 nach der Erschaffung der Welt, am 28. Tag des Monats Adar II, Amen Selah."
Maria Stürzebecher steht in einem Gewölbekeller im Herzen der Stadt Erfurt. Ein Schaudepot. Sie übersetzt die Inschrift auf einem Grabstein aus dem Jahr 1245. Der Stein, so wie Dutzende anderer ringsum, ist sehr gut erhalten.
Das ist der Vertreibung der Juden aus Erfurt im 15. Jahrhundert geschuldet. Die Grabsteine wurden von Christen in Gebäuden verbaut und waren somit nicht der Witterung ausgesetzt. Die Alte Synagoge 300 Meter weiter gibt es noch, weil sie nach dem Pogrom 1349, als alle Erfurter Juden ermordet wurden, zum Speicher umgebaut wurde. Ähnlich verhält es sich beim gesamten mittelalterlichen jüdischen Erbe in Erfurt.
"Also im Grunde: Hätte es das Pogrom nicht gegeben, wäre der Schatz nicht verborgen worden, wären die Handschriften nicht in christlichen Besitz gekommen. Die wären irgendwann ‚beerdigt‘ worden, die wären genutzt worden bis zum Zerstören. Und im Grunde ist damit die Synagoge auch umgenutzt worden schon. Also gerade der Pogrom war einer der Knackpunkte, warum wir heute noch so viel haben, und warum wir heute den Welterbetitel anstreben können. Das ist sehr, sehr paradox und manchmal auch schwierig, damit umzugehen. Aber damit auch unsere spezielle Verantwortung."

Sensationelle Entdeckung der Synagoge

Maria Stürzebecher ist die Beauftragte der Stadt Erfurt für das UNESCO-Welterbe. Im Kern der Bewerbung um den Titel "Weltkulturerbe" stehen die Synagoge, die älteste erhaltene aus dem Mittelalter in Europa, die Mikwe, ein jüdisches Ritualbad, und ein jüdisches Bürgerhaus.
Dazu kommen ergänzend ein 30 Kilogramm schwerer Silber- und Goldschatz, unter anderem mit einem prächtigen Hochzeitsring, einem von dreien weltweit, eine einzigartige Sammlung von Handschriften der Gemeinde und hundert jüdische Grabsteine.
All diese Schätze stammen aus dem 13. Jahrhundert oder sind noch älter. Sie waren verborgen, verbaut, versteckt, vergessen worden, bis sie in den letzten 30 Jahren Stück für Stück ans Licht kamen. Beginnend mit der Alten Synagoge.
"Ok, dann gehen wir hier rein."
Maria Stürzebecher steht lächelnd vor der Alten Synagoge in Erfurt.
Maria Stürzebecher ist die Beauftragte der Stadt Erfurt für das UNESCO-Welterbe.© Henry Bernhard
In einer schmalen, mittelalterlich anmutenden Gasse liegt der Eingang zur Alten Synagoge. Ihre Entdeckung in den Neunzigerjahren an diesem Ort war keine totale Überraschung, aber doch eine Sensation.
"Und das ist eigentlich der große Wiederentdeckungswert gewesen, dass man eben mit dem Abriss der Gebäude rundherum und auch mit dem Beginn der Sanierung festgestellt hat, dass wirklich vom Fundament bis zur Dachkante das Mauerwerk aus dem Mittelalter stammt und, dass wir eigentlich ein bestehendes Gebäude haben und nicht nur vielleicht eine Wand.
Also mittelalterliche Synagogen sind zum allergrößten Teil, wenn überhaupt noch was erhalten ist, sind es Ausgrabungen, sind noch Fundamente da. Manchmal, wie in Speyer, einzelne Wände, die noch stehen, aber dass sozusagen das Gebäude noch steht, das ist ganz außergewöhnlich."

Schutz vor zu starker Modernisierung

Erst als Lagerhaus, später als Gaststätte mit Tanzsaal und Kegelbahn überdauerte die Alte Synagoge die Jahrhunderte. Heute ist sie Museum und steht im Zentrum der Bewerbung ums Weltkulturerbe.
Die bereitet Maria Stürzebecher seit zehn Jahren eine Menge Freude. Und Arbeit.
"Oh je! Man muss bestimmte Bausteine liefern wie die Beschreibung der einzelnen Gebäude. Die Kriterien, die an den Welterbeantrag gestellt werden, muss man erfüllen. Man dokumentiert die Forschungen, die gelaufen sind, und so weiter."
Im Jahr 2021 darf Erfurt seinen Antrag einreichen. Doch schon in den letzten Jahren hat allein das Vorhaben die Stadt verändert. So hat sich die Stadt verpflichtet, vor zu starker Modernisierung zu schützen, erklärt Erfurts Kulturdirektor Tobias Knoblich:
"Der Aufwand ist schon groß! Wir haben es uns sehr schwer auch gemacht, weil wir dieses jüdische Erbe nach der friedlichen Revolution erst wiederentdeckt und für uns erkannt haben, dass das so ein Potential birgt. Und wir haben auch Forschungen erst sehr spät ansetzen können und sind damit in eine Dynamik hineingekommen, die dazu geführt hat, dass wir diese Forschung und dieses Antragsverfahren parallelisieren konnten."

Kampf um gemeinsamen Antrag gescheitert

Im kommenden Jahr reichen die Städte Speyer, Worms und Mainz ihren Antrag bei der UNESCO ein, ein Jahr vor Erfurt. Eine Aufsplittung, die man in Erfurt mit Grausen sieht. Hier hatte man lange für einen gemeinsamen Antrag gekämpft, was Rheinland-Pfalz aber ablehnt. Knoblich vermutet:
"Da kommt plötzlich aus den neuen Bundesländern eine Stadt, die legen auf einmal los, die ergraben Befunde, die überraschend sind. Dann kommt noch der Erfurter Schatz hinzu, also dieser wunderbare Hochzeitsring, dieser Schmuck. Und dann gelingt es dieser Stadt auch noch in der Art und Weise, wie sie diese Dinge präsentiert, damit eine internationale Aufmerksamkeit zu erzeugen, die man schon atemberaubend nennen kann.
Also, unser Hochzeitsring, der war in New York, in Paris. Das Museum läuft hier sehr, sehr erfolgreich. Wir sind auf Kongressen gefragt. Das ist schon etwas, was mit einem gewissen Argwohn auch betrachtet wird."
Dennoch werden die Anträge weiterhin getrennt erarbeitet. Kultur ist Ländersache. In Erfurt hofft man dennoch auf Intervention von höherer Stelle.
"Und jetzt, glaube ich, ist die Bundesrepublik gefragt. Also, wir können das nicht klären. Weil: Die Weltgemeinschaft schaut auf dieses kleine Deutschland und kann sich nicht erklären, wie Orte, die so dicht beieinander liegen, die beide jüdisches mittelalterliches bauliches Erbe pflegen wollen, wie die nicht zueinander finden können. Ansonsten wird einer von beiden auf der Strecke bleiben, und das fände ich auch schwierig."
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