Jüdische Literatur in Deutschland

Eine Suche nach Familie, nach Herkunft und Identität

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Porträt von Maxim Biller mit Zigarette.
Jüdische Autorinnen und Autoren in Deutschland beschäftigt die Suche nach ihrer Identität. So auch Maxim Biller. © imago / gezett
Carsten Hueck im Gespräch mit Andrea Gerk |
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Jüdische Autorinnen und Autoren in Deutschland beschäftigt die Suche nach ihrer Identität. Die Älteren prägte die Shoah. Das Land und die Sprache der Täter beschäftigt die Jüngeren. Zur Literaturszene gehören aber auch junge zugewanderte Juden.
Viele jüdische Autoren, für deren Schreiben das Jüdischsein eine Rolle spielt, versuchen sich in der Gegenwart zu verorten, erzählt Carsten Hueck als Kenner der jüdischen Literaturszene in Deutschland. Das sei für diese Autoren mit großen Schwierigkeiten und Enttäuschungen verbunden, aber sie begegneten dem auch mit einem großen Selbstbewusstsein.

Schreiben in der Sprache der Täter

Man müsse allerdings zwischen den Generationen differenzieren, so Hueck. Da sei zum einen die Generation, die die Nazi-Zeit noch miterlebt habe, deren Schreiben unter dem Schatten der Shoah stehe. Darunter sind Peter Weiss, Wolfgang Hildesheimer, Stefan Heym, Erich Fried aber auch Ilse Aichinger, Paul Celan oder Nelly Sachs.
Das seien die Älteren. Doch es gebe auch eine jüngere Generation, wozu Barbara Honigmann, Jurek Becker aber auch Robert Schindel gehören. "Bei ihnen setzt eine viel stärkere Reflexion darüber ein, was es heißt, im Land der Täter, in der Sprache der Täter zu schreiben und als Nachfahren von Verfolgten, in Deutschland zu leben", sagt Hueck.
Es leben inzwischen aber auch mehr jüdische Autorinnen und Autoren im deutschen Sprachraum, die keine Exil- oder Verfolgungserfahrung haben. Zum Beispiel Wladimir Kaminer, Maxim Biller, Katja Petrowskaja, Lena Gorelik oder Dmitrij Kapitelman.

Der Publizist Max Czollek machte öffentlich, dass der Schriftsteller Maxim Biller, ihn nicht als Juden anerkenne und beklagte damit "innerjüdische Diskriminierung". Eine neue Form der Cancel Culture von rechts sieht der Medienwissenschaftler Hanno Loewy darin und beklagt in der Sendung Fazit, dass Identität eine so wichtige Rolle spiele. [AUDIO]

© imago / gezett
Das habe etwas mit der Zuwanderung aus Osteuropa zu tun, die nach dem Zusammenbruch der UdSSR einsetzte, sagt Hueck. Viele jüdische Familien kamen aus dem zerfallenden Sowjetreich als Kontingentflüchtlinge nach Deutschland. Und deren Kinder, die in den 1980er- und 90er-Jahren geboren wurden, sind heute anerkannte deutsche Schriftsteller und Schriftstellerinnen.

Das Gefühl der Fremdheit

Dazu zählen zum Beispiel Alina Bronsky, Tanja Maljartschuk, Olga Grjasnowa, Lena Gorelik, Lana Lux und Marina Frenk. Sie beschreiben in ihren Büchern, was es bedeutet, verschiedene Identitäten zu haben. Viele Autorinnen dieser Generation bringen heute einen bestimmten Ton in die deutsche Literatur, der von der Erfahrung der Migration und dem Gefühl einer gewissen Fremdheit herrühre. Sie erzählen vom Bewusstsein, als Minderheit in einer nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft zu leben.
Und Sasha Mariana Salzman beschreibt in aller Härte die Entfremdung zwischen Eltern und Kindern [AUDIO] . Sie erzählt von der Sprachlosigkeit, der Isolation osteuropäischer Juden in Deutschland und der Schwierigkeit, eigene Wurzeln zu bilden.

Israelis sind hier gut vernetzt

Das sei auch das Thema bei Marina Frenk und auch bei Lena Gorelik, sagt Hueck. Gorelik versuche in "Wer wir sind", ihren Eltern und sich selbst gerecht zu werden. Das sei ein erschöpfender Kraftakt, sprachlich und emotional sei ihr Buch aber eines der besten dieses Jahres.
In den vergangenen Jahren seien aber auch viele Israelis nach Deutschland und vor allem nach Berlin gezogen. Darunter sind auch Autorinnen und Autoren. Manche sind nur vorrübergehend hier, andere bleiben. "Vielleicht ist es zu früh, um zu sagen, wie sich das langfristig auf die deutschsprachige Literatur auswirkt", sagt Hueck. Man könne aber sagen, dass die hier lebenden Israelis bereits spürbar mit dem literarischen Leben hier verbunden sind. Sie nutzen die Räume, die Netzwerke, das Interesse von Verlagen und Literaturveranstaltern.

Die Kinder der Einwanderer

Zu diesen Autoren zählt zum Beispiel Tomer Gardi, der mit seinem zweiten Roman "Broken German" am Bachmann Wettbewerb in Klagenfurt teilgenommen hat. Das Buch war ein großer Erfolg und wurde für das Theater adaptiert und gewann einen Hörspielpreis. Gardi hat gerade ein neues Buch vorgelegt, "Eine runde Sache" [AUDIO] .
Wer erfahren wolle, wie sich Kinder der jüdischen Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion in Deutschland fühlten, welche Spannungen sie belasten, wie sie die Geschichte der Eltern weiterschreiben und etwas Eigenes daraus machen, wie sie aber auch zwischen zwei Welten oft zerrissen werden, der lese Lena Goreliks "Wer wir sind", lautet Huecks Empfehlung. Das Buch sei wirklich fantastisch.

Literaturempfehlungen zum Thema:

Lena Gorelik: "Wer wir sind"
Rowohlt Berlin, Berlin 2021
320 Seiten, 22,00 Euro

Olga Grjasnowa: "Der Russe ist einer, der Birken liebt"
C.Hanser Verlag, München 2012
288 Seiten, 18,90 Euro

Dimitrij Kapitelman: "Eine Formalie in Kiew"
Hanser Berlin Verlag, Berlin 2021
176 Seiten, 20,00 Euro

Marina Frenk: "Ewig her und gar nicht wahr"
Wagenbach Verlag, Berlin 2020
240 Seiten, 22,00 Euro

Maxim Biller: "Der falsche Gruß"
Kiepenheuer und Witsch, Köln 2021
128 Seiten, 20,00 Euro

Maxim Biller: "Der gebrauchte Jude. Selbstporträt"
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009
173 Seiten, 16,95 Euro

Tomer Gardi: "Broken German"
Droschl Literaturverlag, Graz 2016
144 Seiten, € 19 Euro

Mirna Funk: "Zwischen Du und Ich"
dtv, München 2021
304 Seiten, 22 Euro

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