Jüdischer Friedhof Hamburg-Altona

Anwärter für UNESCO-Weltkulturerbe?

Grabsteine stehen am 27.10.2016 in Hamburg auf dem jüdischen Friedhof in Hamburg-Altona
Blick auf den jüdischen Friedhof in Hamburg-Altona © picture alliance / dpa / Axel Heimken
Von Andrea Richter |
Der jüdische Friedhof in Hamburg-Altona ist der älteste der Stadt. In diesem Jahr soll die Entscheidung darüber fallen, ob der Friedhof den Titel UNESCO-Weltkulturerbe tragen darf. Was ihn so einzigartig macht, erklärt der Sprachwissenschaftler Michael Studemund Halévy.
Die Königstraße im Hamburger Stadtteil Altona. Eine vierspurige Straße im morgendlichen Berufsverkehr. Der jüdische Friedhof aus dem Jahr 1611 liegt hinter der Bushaltestelle, auf der anderen Straßenseite wachen die Hauptkirche St. Trinitatis und der Neubau des Altonaer Sportvereins.
Durch die übermannshohen Gitterstäbe fällt der Blick auf ein bemoostes Gräberfeld, graugrün verwitterte Inschriften, Ornamente und Abbildungen sind zu erkennen. Ein flaches, modernes Gebäude aus dunklem Backstein, Glas und Stahl steht neben dem Eingang. Laubbäume wachsen im hinteren Teil des Friedhofs. Eichhörnchen tummeln sich. Michael Studemund Halévy kommt mit dem Taxi. Er bringt die Schlüssel für das Eingangstor mit.
Studemund-Halévy ist Sprachwissenschaftler, Autor und Übersetzer. Seit 1990 Mitarbeiter am Institut für die Geschichte der deutschen Juden in Hamburg hat er ein tausendseitiges Werk über den Friedhof verfasst. Der 69-jährige hat sich vor allem um die Erforschung sephardischer Kultur verdient gemacht und ist einer der wenigen Experten für Judenspanisch.
Wir stehen am Rand des Friedhofs, hinter uns das Besucher-Haus, das nach dem Hamburger Rabbiner Eduard Duckesz benannt ist. Vor uns liegt der 1,9 Hektar große, älteste Friedhof der Stadt. Das Areal, das heute der Jüdischen Gemeinde Hamburg gehört, beherbergt, und das ist einzigartig, eine sephardische und eine aschkenasische Begräbnisstätte nebeneinander. Seit 1960 steht der Friedhof wegen seines Alters und seiner einzigartigen Grabkunst unter Denkmalschutz. Jetzt soll der sephardische Teil auch UNESCO-Weltkulturerbe werden.
"Hier ist der Friedhof, also passen Sie auf, wenn sie drüber gehen!", sagt Michael Studemund Halévy.

Ein Teil: Der Portugiesenfriedhof

Zu unserer Linken, auf dem sogenannten Portugiesenfriedhof, finden sich überwiegend liegende Steine. Die Grabplatten sind zum Teil sehr groß, oft prachtvoll verziert. Mit Inschriften in verschiedenen Sprachen, meist hebräisch oder portugiesisch, aber auch mit figürlichen Motiven, oft biblischen Szenen, Stundengläser oder Totenköpfe: Christliche Tradition von der iberischen Halbinsel mischte sich hier mit jüdischen Begräbnisriten, gewürzt mit einer Prise Hamburger Wohlstandskultur.
Halevy: "Das sind Steine aus Marmor. Sie können sich vorstellen, so ein Stein ist wirklich teuer. (...) Die Portugiesen in Hamburg waren eine Art Elite. Das waren Ärzte und Großkaufleute. Sie haben studiert in Montpellier oder in Alcalar oder in Salamanca. Sie waren mehrsprachig und sie wollten auch nach dem Tode zeigen, dass sie etwas Bedeutendes darstellen und haben den Stein dann importieren lassen aus Italien und sie können sich vorstellen, das ist nicht ganz billig. Und so ist der Friedhof das größte Marmorfeld in Deutschland des 17. Jahrhunderts."
Besonders auffällig zwischen all den liegenden Grabplatten sind die Pyramidalsteine, mit vier Seiten - viel Platz für elaborierte Inschriften, in denen von Leben und Sterben der Begrabenen die Rede ist. Die hier bestatteten Portugiesen waren Nachkommen von zwangsgetauften Juden, die im späten sechzehnten Jahrhundert vor der Inquisition ins liberale Hamburg flohen. Zum Beispiel Benjamin Musaphia Fidalgo, ein Verfasser poetischer Verse.
Halevy: "Er war ein aufgeklärter Jude, also er war geboren 1711. Er unterstützte Lessing, unterstützte Klopstock das heißt er war ein Teil der Gesellschaft und er war Freimauer, was damals anfing modisch zu sein. Das heißt, er wollte seinen Platz haben in der hamburgisch-altonesischen Gesellschaft und das war die Zeit mit Mendelssohn, die Aufklärung und es gab in Hamburg sogenannte Salons, wo auch christliche Familien, oft Großkaufleute, auch sehr wohlhabende, zu Diskussionsabenden einluden und wo Christen und Juden gemeinsam diskutierten."

Für Bewerbung Managementplan erstellt

Neben Salomon Heine, Fromet Mendelssohn und Wolf Zalaman, dem Begründer des Bankhauses Warburg, haben auf dem Bet HaChaim viele Rabbiner und Schriftgelehrte ihre letzte Ruhestätte gefunden.
"Wir haben eine App vorbereitet, das heißt, Sie werden dann GPS gesteuert und können dann die Steine suchen, die wir als wichtig empfunden haben. Dann hören sei den Text des Grabinschrift und sie hören die Biografie des Verstorbenen. Das wäre ideal, es für alle zu machen, aber überlegen Sie mal, mit den Aschkenasen haben wir 9000 Steine, das ist ein zu großer Aufwand."
Für die Bewerbung zum Weltkulturerbe haben Halevy und seine Mitstreiter auch einen Managementplan erstellt. Busparkplätze, ein neues Sicherheitskonzept, eventuell ein Neubau des Besucherhauses. Eigentlich schien alles getan. Doch Ende Januar dieses Jahres zog die Stadt Hamburg die Bewerbung zurück.
Experten des Weltdenkmalrates hatten in einem Zwischenbericht zwar die Bemühungen um die Bewahrung dieses jüdischen Erbes in Hamburg gewürdigt, sprachen sich aber gegen eine alleinige Nominierung des sephardischen Friedhofs aus. Die Geschichte der sephardischen Juden in der Diaspora könne nicht allein über die Grabmalkunst in Hamburg-Altona widergespiegelt werden.
"Ich glaube niemand bestreitet die Bedeutung des Friedhofs, aber viele würden sagen ok, der ist einzigartig, aber der in Holland ist nicht schlechter als der und der auf Curacao auch nicht. Wieso wollt ihr Weltkulturerbe sein, das ist unser Handicap. Und das wurde immer kritisiert. Warum wir sagen, dass Hamburg einzigartig sei, wenn andere Länder es auch sind?"
Der Hamburger Kultursenator kündigte die Prüfung einer internationalen Kandidatur an. Neben Hamburg könnten dabei auch die sephardischen Friedhöfe in Amsterdam/Ouderkerk, Curacao, Surinam und Barbados berücksichtigt werden.
Fiele die Bewerbung positiv aus, wäre es das erste Mal in der Geschichte der UNESCO, dass jüdische Friedhöfe Weltkulturerbe würden. Gegen das Vergessen jüdischer Kulturgeschichte und Tradition und darüber hinaus den Menschen, von denen sie erzählt, wäre damit ein deutliches Signal gesetzt.