Ein großer Gang in der Hochschule Koblenz. Durch den gläsernen Flur strömen täglich hunderte Studierende. In den nächsten zwei Monaten werden einige von ihnen sicherlich vor farbenfrohen Bild- und Texttafeln innehalten.
"Ich kam nach Deutschland, um die Vergangenheit mit der Gegenwart in Einklang zu bringen. In diesem Land wurde ein großer Teil meiner Familie im Holocaust ermordet, dennoch lebe ich inzwischen gerne hier."
Yael, 38, Filmemacherin
Solche Leitsätze und großflächige Porträtfotos prägen die Wanderausstellung "Jüdisches Leben in Deutschland heute". Der Fachbereich Sozialwissenschaft hat die Schautafeln an die Koblenzer Hochschule geholt, erklärt Professorin Irit Wyrobnik:
"Unser Vorhaben gilt vor allem der Aufklärung, der Begegnung und der Sichtbarmachung verschiedener Lebenswelten. Und wir wollen damit natürlich auch zum Abbau von Vorurteilen beitragen und mögliche Berührungsängste ebenfalls abbauen."
Über den Holocaust hinaus
Die Ausstellung zeigt zum einen die Geschichte des jüdischen Lebens in Deutschland. Viel wichtiger sind aber die Porträts vornehmlich junger Menschen aus Berlin, die heute dort jüdisch sind. Damit wollen die Organisatoren vor allem den Blick über das dunkle Kapitel Holocaust hinauslenken, sagt Irit Wyrobniks Kollege Stephan Bundschuh.
"Das Spannende an den Porträts der Personen ist: Das sind sozusagen Ausschnitte ihres Alltags. Und in diesem Alltag geht es um die Praktizierung der Religion, geht es um das Leben in Berlin, geht es um den Disco-Besuch. Es geht dann aber auch um den Umgang mit bestimmten möglichen Diskriminierungsmustern."
"Die WM 2006 in Deutschland war ein Wendepunkt in meiner Identitätsfindung: Ich habe im Deutschlandtrikot die deutsche Mannschaft angefeuert und mich zum ersten Mal als 'ganz normal deutsch' wahrgenommen."
Daniel, 32, PR-Berater
"Wenn ich in Schulklassen gehe und mich als gläubige Jüdin zu erkennen gebe, dann merke ich, wie wenig Jugendliche über Juden und das Judentum wissen. Es gibt einen riesigen Bedarf an Dialog. Ich empfinde es als meine Verantwortung, auf das jüdische Leben in Deutschland aufmerksam zu machen und Aufklärungsarbeit zu leisten.
Avital, 23, Studentin
Neben den Leitsätzen werden biografische Auszüge der jeweiligen Person gezeigt - etwa ob sie sich für etwas engagiert, wie sie lebt oder ihre Freizeit gestaltet. Doch bei der Wanderausstellung haben es die Koblenzer Sozialwissenschaftler nicht belassen, betont Stephan Bundschuh:
Stephan Bundschuh: "Wir kamen dann auf die Idee, dass das doch eine sehr gute Ergänzung wäre, nämlich mit einem Neubau der Synagoge."
Momentan finden die Gottesdienste im Andachtshaus auf dem jüdischen Friedhof. Dieser Raum wird jedoch allmählich zu klein. Denn die Gemeinde hat mittlerweile um die 1000 Mitglieder. Der emeritierte Architektur-Professor Henner Herrmanns und seine Studierenden haben vor einiger Zeit Synagogen-Entwürfe erstellt, die bei der Ausstellung zu sehen sind.
Henner Herrmanns: "Wir haben vorher beispielsweise schon für die Stadt Höhr-Grenzhausen eine Moschee geplant, wir haben für die Aleviten in Köln ein Muster-Cem-Haus geplant, das 200 Mal in Deutschland gebaut werden soll, wir haben uns seit vielen Jahren mit Kirchen-Umnutzungen beschäftigt – und deswegen war das für uns jetzt eine weitere schöne, interessante Aufgabenstellung."
Denn außer der Ostung, also der Ausrichtung des Gebetsraums nach Jerusalem, gibt es keine wichtigen Vorgaben beim Synagogenbau.
Das moderne Judentum besser kennenlernen
Henner Herrmanns: "Es gab da zum Beispiel auch eine Grundriss-Disposition in Form eines Davidsterns oder auch die siebenarmige Menora, die wurde auch symbolisch in Architektur umgewandelt. Ein Entwurf war mit einem großen Fenster ausgerichtet auf den Bürresheimer Hof, wo früher die jüdische Synagoge vor der Pogromnacht stand. Und das war eine Referenz an die ehemalige Synagoge hier in Koblenz."
Zusätzlich zur Ausstellung bietet die Hochschule Koblenz drei Vorlesungsveranstaltungen an. Rabbiner Julian-Chaim Soussan beschäftigt in seiner Vorlesung am 26. April unter anderem ein Umfrage-Ergebnis vom Anfang der 80er-Jahre. Seiner Meinung nach hält es sich auch nach fast 40 Jahren immer noch in der Gesellschaft:
"Da war: Was assoziieren Sie mit Juden? Und die Hauptassoziation der deutschen Befragten war 'Tod'. Das kann ich zwar verstehen unter dem geschichtlichen Eindruck und unter der Schoah. Auf der anderen Seite wollte ich eben deutlich machen: Judentum lebt."
Im Foyer der Hochschule Koblenz ist die Ausstellung zu sehen © dpa / picture alliance / Thomas Muncke
Irit Wyrobnik liegt die zweite Vorlesung am 3. Mai über Frauen im Judentum sehr am Herzen:
"Die Gleichberechtigung der Frauen hat das Judentum nachhaltig verändert. Allein in Deutschland gibt es derzeit sieben Rabbinerinnen, Tendenz steigend. Diese Entwicklung ist auch Teil einer größeren religiösen Erneuerung des Judentums. Und Frau Rabbinerin Klapheck widmet sich also der Frage, welche Rolle die Frauen in dieser religiösen Erneuerung spielen."
Den Abschluss bildet am 24. Mai der Vortrag "Herausforderungen politischer Bildung und Empowerment-Arbeit" mit Marina Chernivsky, die Leiterin des Kompetenzzentrums der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland ist.
Die Ausstellung und die Vorlesungsveranstaltungen können also gerade jungen Menschen helfen, das moderne Judentum in Deutschland besser kennenzulernen. Ein Ausstellungs-Leitsatz kann hier besonders als Motto dienen:
"Ich wünsche mir ein buntes Deutschland, in dem jede Person das Recht hat, anders zu sein! Dazu gehört aber auch die Pflicht, Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit zu akzeptieren. Als gläubiger Jude in Deutschland möchte ich dazu beitragen, diese Vielfalt weiter aufzubauen."
Ciche, 46, Künstler
Weitere Infos zur Ausstellung und auch zu den Vorlesungen, die Sie ohne Anmeldung besuchen können, finden Sie unter www.hs-koblenz.de/judentum