NS-Zeit, Orthodoxe oder israelische Soldaten [AUDIO] Die Journalistin Mirna Funk kritisiert, dass Medien häufig mit Klischees arbeiten, wenn es um Juden geht: "Das Problem, was wir in Deutschland haben, ist, das Juden als Bilder aus der NS-Zeit, als Bilder in orthodoxer Kleidung oder als israelische Soldaten auftauchen. Diese drei Bilder haben nichts mit dem Judentum in Deutschland zu tun."
Mehr als nur die Opferrolle
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Wenn es in Deutschland um Judentum und jüdische Geschichte geht, steht meist der Holocaust im Mittelpunkt. Das soll sich ändern. Angestoßen durch Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, wird über die vielfältige jüdische Identität diskutiert.
Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, hat gerade gesagt, die Darstellung von jüdischer Kultur und Geschichte, etwa in der Schule, beschränke sich zu sehr auf die jüdische Opferrolle. Auf einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung bemängelte er, andere, wie kulturelle Aspekte, gerieten durch diesen Fokus in den Hintergrund.
Martin Liepach vom Fritz-Bauer-Institut bestätigt Schusters Eindruck. "Wir hatten vor einigen Jahren eine Untersuchung, wo es auch darum ging, zu untersuchen, wie die Darstellung jüdischer Geschichte in verschiedenen Epochen ist", schildert der Historiker und Experte für die Vermittlung von Geschichte: "Es gibt natürlich eindeutig eine Dominanz der Darstellung jüdischer Geschichte mit Bezugnahme auf den Holocaust und die NS-Zeit hat", sagt Liepach: "Ungefähr zwei Drittel des Dargestellten bezieht sich auf die NS-Zeit."
Dominanz der Opferrolle
Hinzu kämen andere Epochen wie etwa das Mittelalter, wo Verfolgungen auch eine Rolle spielen, Pest und Pogrome. "Wir haben das mal so überschlagen: 80 Prozent der jüdischen Geschichte in den Schulbüchern ist Verfolgung und Opfergeschichte", sagt Liepach, der auch Geschäftsführer der Kommission des Leo-Baeck-Instituts zur Verbreitung deutsch-jüdischer Geschichte ist.
Nur in 20 Prozent gehe es um andere Rahmenthemen, wenn Juden zum Thema würden: Juden in der Stadtgesellschaft, manchmal gebe es auch noch eigene Kapitel zu Juden im Kaiserreich und ganz marginal nur noch die Weimarer Republik. Beim Thema Weimarer Republik komme etwa jüdische Kulturgeschichte vor: "Aber das ist in den letzten Jahren nach meiner Beobachtungen auch noch mal deutlich zurückgegangen."
Mit diesem Fokus auf Juden als Opfer werde man der jüdischen Geschichte nicht Rechnung getragen, erklärt der Experte. Zudem habe es Auswirkungen auf das Bild, was man von Juden und Jüdinnen in der Geschichte habe.
"Dort wird nicht deutlich, dass sie auch Subjekte der historischen Gestaltung waren, dass sie aktive Bürger und Bürgerinnen waren, dass sie kreative Gestalter von Kultur, Wirtschaft und Geschichte gewesen sind – nicht nur in Deutschland, sondern auch in Mitteleuropa, um das auch transnational zu machen", betont Liepach.
Schimpfwort "Du Opfer" und "Du Jude"
Josef Schuster sagt: "Es dürfte kein Zufall sein, dass viele junge Menschen Schimpfwörter wie 'Du Opfer' und 'Du Jude' synonym verwendet werden." Obwohl vertiefte Kenntnisse über den Holocaust häufig gar nicht vorhanden seien, habe sich die Opferrolle von Juden verfestigt. "Welchen Beitrag hingegen Juden zum deutschen Geistesleben geleistet haben, die jüdische Religion, all das kommt im Unterricht, so meine ich, noch immer zu kurz."
Marat Schlafstein vom Zentralrat der Juden besucht mit dem Projekt "Meet a Jew" Schulen, damit Nichtjuden und Juden sich kennenlernen. Er ruft zu mehr Neugierde auf [AUDIO] : "Wir freuen uns über Begegnungen und wir freuen uns über Fragen. Wir freuen uns, wenn wir über unsere Kultur und unsere Traditionen erzählen dürfen, wenn darüber Interesse entsteht."
Auch Liepach befürchtet eine Kontinuität von der Darstellung als Opfergeschichte hin zu Beschimpfungen auf dem Schulhof: "Du Opfer" als gängiges Schimpfwort sei quasi durch diese Erzählung in den Schulgeschichtsbüchern historisch unterfüttert worden. Es sei allerdings nicht nur ein Problem der Schulbücher, merkt Liepach an. Auch in den Standardwerken zur deutschen Geschichte sei jüdische Geschichte als solche nur marginal vertreten.
Liepach meint, der Schlüssel zur Veränderung seien die Lehrpläne der Länder: "Man kann natürlich immer auch die Schulbuchverlage dafür verantwortlich machen", sagt er. Allerdings bewegten sich diese immer innerhalb eines bestimmten Rahmens und innerhalb von diesem nutzten sie die Spielräume - mal besser und mal schlechter.
Lehrpläne und Curricula
Aber die Vorgaben werden letzten Endes durch die Kultusministerien gemacht", betont Liepach. Da sei der richtige Ansatzpunkt: "Wenn man andere Schulbücher haben möchte, wäre es wichtig, dass man auch andere Lehrpläne hat."
Konkret heiße das, dass man dezidiert für bestimmte Epochen hineinschreibt: "Juden im Kaiserreich" oder "Juden in der Weimarer Republik" gehören als Themen mit ins Curriculum. Liepach ist sich sicher: "Dann würden auch die Schulbuchverlage darauf reagieren – reagieren müssen."
(mfu)