Die Ära Raphael Gross endet
Der Schweizer Historiker Raphael Gross wird das Jüdische Museum in Frankfurt verlassen und an das Simon Dubnow Institut wechseln. Und er hat viel bewegt in Frankfurt.
Raphael Gross möchte einen neuen Studiengang "Jewish Visual Cultures" an der Universität Leipzig einrichten und außerdem in der Forschung ein größeres Gewicht auf die Geschichte jüdischer Juristen legen.
Erfolge verzeichnete der stille Schweizer, der seit 2006 das Jüdische Museum leitet, nicht nur mit der Einbindung des Fritz Bauer Instituts an der Johann Wolfgang Goethe Universität in die Vorbereitung von Ausstellungen des Jüdischen Museums, wie 2011 mit dem Symposium Axel Springer – Juden, Deutsche und Israelis, das zu der Ausstellung über die Bildzeitung und ihr Bild von Juden führte, Raphael Gross präsentierte ebenso Alltagsreliquien, wie Facetten und Schicksale der jüngeren jüdischen Immigration aus dem Osten.
Raphael Gross: "Die Themen, die eher bis in die Gegenwart hineingehen in den letzten sechs, sieben Jahren sind verstärkt am Museum bearbeitete worden: Auseinandersetzung mit Bubis, Auseinandersetzung mit Raubkunst, Auseinandersetzung mit der Einwanderung der etwa einer Viertelmillion russischen Juden, Auseinandersetzung mit der 'intellectual history' nach 45, Frankfurt, Frankfurter Schule als Stichwort. Insofern hat sich da eine bestimmte Verlagerung ergeben. Das Wichtigste, was sich im Moment bewegt, das sind die Planungen zur räumlichen und inhaltlichen Erweiterung des Museums."
Raphael Gross, der im Februar 2006 als Direktor des Jüdische Museums in Frankfurt am Main antrat, 2007 im April die Direktion des Fritz Bauer Instituts an der Goethe Uni übernahm und nebenbei das Leo Baeck Institut in London weiter leitete, der Schweizer Historiker vernetzte von Anfang an die Wissenschaftler des Fritz Bauer Instituts mit den Wechselausstellungen des Museums, denen er durch Symposien an der Goethe Universität ein breiteres Fundament erarbeitete. Vor zwei Jahren dann sein letzter Coup – die Übernahme des Archivs der Baseler Familienstiftung von Anne Frank.
Raphael Gross: "Wir haben einen auf 25 Jahre geschlossenen Dauerleihvertrag mit der Anne Frank Stiftung Basel und der Familie von Buddy Elias, dem Cousin von Anne Frank, daraus erwächst von uns ein Bestand von etwa tausend Objekten, aus diesen tausend Objekte werden wir einige zentrale auswählen für unserer neuen Dauerausstellung zeigen."
Einzigartiger Erinnerungsschatz deutsch-jüdischer Kultur
Der Ausbau des Jüdischen Museums Frankfurt und seine Erweiterung als Herberge des zu diesem Zweck gegründeten Familie Frank Zentrums krönten im 2012 den Beschluss, den Familienbesitz, der den Zweiten Weltkrieg in der Baseler Herbstgasse überstand, an den Main zu überführen. 2017 soll der Anbau des Jüdischen Museums fertig sein. Die Erschließung dieses einzigartigen Erinnerungsschatzes deutsch-jüdischer Kultur jedoch wurde in Kabinettausstellung als ein erstes Guckloch präsentiert. Buddy Elias, der jüngst verstorbene Neffe von Anne Frank, bei ihrer Eröffnung 2013.
Buddy Elias: "Ich bin ja mit diesen wunderschönen Sachen, die hier ausgestellt sind, in Basel aufgewachsen. Meine Großmutter, die Alice Frank, hat das meiste mitgebracht, auch schon meine Eltern natürlich. Die Alice konnte das am Anfang der Nazizeit noch alles raus bringen, meine andere Großmutter, die konnte nur das nackte Leben retten. Und ich bin mit diesen wunderschönen Sachen aufgewachsen. Und ich weiß noch, Papa und meine Mutter, die haben immer wieder, wenn Gäste kamen, haben sie das Kästchen aufgemacht und irgendwas rausgeholt und gezeigt, ganz stolz. Papa hatte so ein Glas mit ganz dünnem Rand und das machte so einen Ton, wenn man es antickte und da musste jeder Gast, ob er wollte oder nicht, musste da zuhören, wie dieses Glas tönte."
An die tausend Gegenstände umfasst der Nachlass, die Kabinettausstellung wirkte als Guckloch auf die Baustelle der wissenschaftlichen Erschließung der vielen Facetten der Geschichte der Familie Frank und last but not least als Experimentiertafel für das Jüdische Museum selbst, Direktor Gross.
Rafael Gross: "Genau, es geht um die Erprobung der Objekte im Museum, das sind Objekte, die jetzt noch in der Herbstgasse also in Basel in dem Wohnhaus von Buddy und Gerti Elias sind und die natürlich in einem musealen Kontext auch eine andere Bedeutungsebene bekommen als im Privaten und das versuchen wir zu erschließen."
Und mit einem weiteren Erfolg, der Durchsetzung eines Neubaus von dreitausend Quadratmetern ergab sich für das Jüdische Museum die Chance sich öffentlich zu häuten.
Raphael Gross: "Das jüdische Museum wird seine Fläche verdoppeln, das wird dazu führen, dass wir in gewisser Weise ein anderes Museum sein werden. Sowohl im Altbau wird vieles ganz neu gestaltet werden können, zum Beispiel wird das Rothschild Palais auch selber stärker als ein Objekt in den Vordergrund treten, zum anderen wird im Anbau die Möglichkeit bestehen, das wir professionelle Wechselausstellungen haben."
Der Kerngedanke: Einen "Jewish Space" aufbauen
Deutlich wurde damit der Kerngedanke von Museumsleiter Gross: der Aufbau eines Jewish Space, eines Raumes, in dem man jüdische Kultur und Geschichte erleben und anhand der digitalisierten Dauerleihgaben erforschen kann.
Raphael Gross: "Diese neun und demnächst zehn Jahre waren eine unglaubliche Gelegenheit, eine öffentliche Wirksamkeit für Forschung zu erreichen, auch für die drei Institutionen, die ja eng zusammengearbeitet haben in London und Frankfurt. Das hatte viel Wirkung und hat mir viel Spaß gemacht von der Ausstellung zu Bubis, zu Raub und Restitution,1938 bis jetzt Fritz Bauer, ganz vielfältige Themen, Konfliktgeschichten."
Und auch wenn Raphael Gross, wie dieser Tage angekündigt, seine Leitungstätigkeit im Jüdischen Museum und dem Fritz Bauer Institut in Frankfurt am Main, sowie die Leitung des Leo Baeck Instituts in London beenden wird und in der Nachfolge von Dan Diner mit der Direktion des Simon Dubnow Instituts für Jüdische Geschichte und Kultur die größte jüdische Forschungsstelle für Historiker in Europa neben dem Lehrstuhl für Jüdischen Geschichte und Kultur übernimmt, um sich in Leipzig Forschung und Lehre zu widmen, so bleibt er dem Jüdischen Museum am Main doch erhalten, bis seine Nachfolge geregelt ist.