Jürgen Trabant über Deutsch in der Wissenschaft

Ein Plädoyer für unsere Muttersprache

12:23 Minuten
Illustration von vielen bunten und sprechenden Silhouetten von Köpfen.
Das neue Buch „Sprachdämmerung: Eine Verteidigung“ von Jürgen Trabant ist eine leidenschaftliche Verteidigung der Kraft der Sprache. © Getty Images / iStock / Kubkoo
Moderation: Maike Albath |
Audio herunterladen
Der Romanist Jürgen Trabant warnt vor einer „Sprachdämmerung“ als kulturellem Verlust. Englisch als Weltsprache sei wunderbar. Zunehmend würden Forschungstexte aber vor allem darin verfasst. Dabei sei Sprache doch mehr als nur eine Kommunikationshilfe.
Der Romanist und Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant kritisiert eine "Sprachdämmerung" und wirbt für mehr Bewusstsein gegenüber der eigenen Muttersprache. In Anlehnung an Humboldt verstehe er Sprache als etwas, das über die reine Kommunikation hinausgehe. "Humboldt verweist darauf, dass Sprache primär uns die Welt gibt", betont Trabant. "Und diese Auffassung, dass das so kostbar ist, dass wir die Welt in unserer Sprache erfassen, die übernehme ich von Humboldt.
Und auch den zweiten Gedanken, dass diese Welterfassung in verschiedenen Sprachen stattfindet, dass wir also nicht eine Sprache haben, sondern dass diese verschiedenen Sprachen auf der Welt da sind und dass dies ein besonderer Reichtum ist." Humboldt habe dies als "Mannigfaltigkeit" bezeichnet. Er halte es deshalb für falsch, Kindern Fremdsprachen als reines Werkzeug globaler Kommunikation beizubringen.

Vorteile und Gefahren einer globalen Weltsprache

Er habe Lehrpläne für Schulen gelesen und finde da zum Beispiel das Stichwort der kommunikativen Kompetenz. "Damit verschwindet manches, was für meine Generation früher noch wichtig war: zum Beispiel der Umgang mit Literatur, der Umgang mit Poesie, auch das Hinführen zur Dichtung." Sprachunterricht müsse mehr vermitteln als bloße Kommunikation. "Mein Lehrbuch früher hieß ‚Britain and America‘, es ging wirklich um Britannien und Amerika, die als Länder und als Kulturen kennengelernt werden sollten. Nun heißen die Bücher aber nicht mehr so, sondern es geht wirklich nur noch um Kommunikation."


Gleichzeitig sei es natürlich sehr schön, eine globale Weltsprache wie das Englische zu haben. "Wir können nach China reisen und uns dort verständigen, obwohl wir kein Chinesisch können, sondern uns dort mit dem Englischen verständigen können." Solche Weltsprachen habe es auch früher gegeben, betont Trabant mit Blick auf Goethe. "Zu seiner Zeit war das Französische diese globale Sprache, und Goethe hat das Französische gelobt in dieser Hinsicht. Er hat gesagt, das ist ja wunderbar, wenn wir Französisch können, dann können wir überall reisen in der Welt, und alle verstehen uns. Er meinte damit aber nicht, dass das Französische das Deutsche ersetzen sollte."

"Bestimmte Diskurse werden vom Englischen okkupiert"

Deshalb sehe er die heutige Dominanz des Englischen als Weltsprache einerseits als großen Vorteil. Er sehe jedoch auch eine Bedrohung des Deutschen. "Die Bedrohung sehe ich darin, dass bestimmte Diskurse vom Englischen okkupiert werden und wir dann in bestimmten Diskursen nicht mehr auf Deutsch sprechen können." Insbesondere in den Wissenschaften sei es auffällig, "dass die Wissenschaften ins Englische emigrieren und das Deutsche aus den Wissenschaften hinausmarschiert".
Diese Entwicklung sei deswegen eine Bedrohung, weil dadurch insgesamt die Sprache verarme. "Die Sprachgemeinschaft selber findet dann auch, dass die Sprache nicht mehr so wichtig ist, weil sie ja nicht mehr in den wichtigen Diskursen vorkommt." Mit dem Begriff der "Sprachdämmerung" meine er ausdrücklich nicht, dass die deutsche Sprache völlig verschwinden werde. Es gebe immerhin 100 Millionen Menschen, die Deutsch sprechen und damit auch nicht über Nacht aufhören würden. "Aber es schwächt sich eben doch die Möglichkeit, das Deutsche zu verwenden."

Mehr Muttersprache in den Geisteswissenschaften

Für die Zukunft hoffe er, sagt Trabant, dass allen die Bedeutung des Sprechens wieder bewusster werde. "Denn zu sprechen bedeutet nicht nur, dem anderen schnell mal zu sagen, wo es zum Bahnhof geht. Sondern dass wir wirklich miteinander sprechen und dann auch auf die Sprache achten." Insbesondere wünsche er sich, "dass die Schulen, wenn sie können, eine Sorge um die Sprache entfalten. Ich weiß, dass viele Lehrer das tun und das gerne tun und dass es ihr Herz beschwert, wenn sie das nicht tun dürfen."
Was sein eigenes, universitäres Umfeld anbelange, plädiere er dafür, zumindest in den Geisteswissenschaften verstärkt auf Deutsch zu publizieren. "Das tun die Geisteswissenschaften auch. Aber es ist trotzdem zu sehen, dass die jüngeren Kollegen immer mehr ihre Sachen auf Englisch publizieren. Und ich halte das nicht für sehr gut." Die Bücher, die dann von deutschen Muttersprachlern auf Englisch geschrieben würden, "haben so etwas Neutrales".
Trabant: "Ich habe das neulich bei einer Dissertation erlebt. Da war alles richtig, alles perfekt. Nur der Mensch kommt in dieser Dissertation nicht vor, vor allem, weil er nicht seine eigene Sprache spricht." Stattdessen sei die Dissertation in einem "neutralen Harvard Englisch geschrieben gewesen. "Und das halte ich auch für einen Verlust."
Mehr zum Thema