Jugend in der Pandemie

Auf die Kinder hören, statt für sie zu sprechen

09:15 Minuten
Ein eingedrückter Fußball liegt auf einem Fußballplatz.
Kinder kommen in der Pandemie weniger mit Altersgenossen in Kontakt. So würden sich vorhandene psychische Störungen verstärken, sagt der Therapeut Michael Schroiff. © picture alliance / dpa / Tobias Hase
Sabrina Wetzel und Michael Schroiff im Gespräch mit Nicole Dittmer |
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Kinder leiden besonders in der Coronapandemie. Es fehlt ihnen am Austausch mit Gleichaltrigen und an Orten, um sich auszutauschen. Nun sollen sie gezielt gefördert werden.
Das Bundeskabinett hat die Verabschiedung des "Aufholpakets" verschoben – offenbar gibt es noch Abstimmungsbedarf. Das Paket soll zwei Milliarden Euro umfassen, eine Hälfte davon für Nachhilfe und Förderprogramme, die andere für soziale Programme, um die psychischen Krisenfolgen abzumildern.

Raum zum Austausch

Dies sei ein richtiger Ansatz, sagt Michael Schroiff. Er ist Kinder- und Jugendpsychotherapeut in Hamburg und Vorsitzender des Verbandes der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (BKJ). Doch das Paket reiche nicht aus. Denn Kinder lernten nicht nur in der Schule etwas, sondern auch voneinander. Deswegen sei es notwendig, dass Kinder öffentlich Räume haben, an denen sie sich treffen und austauschen können.
Die aktuelle Pandemiesituation sei schwierig für die Kinder, sagt Sabrina Wetzel. Sie ist Mitglied im Vorstand des Bundeselternrats. Es fehle sehr viel, von Geburtstagsfeiern über Treffen mit Freunden bis hin zum Sport- oder Musikverein: "Das gesamte soziale Leben ist momentan hernieder." Hinzu komme, dass die Eltern durch die Betreuung der Kinder und Homeoffice stark belastet seien.
"Kinder sind durch die Situation durch die Pandemie größtenteils belastet", unterstreicht Schroiff. So würden sich vorhandene psychische Störungen verstärken. Dabei handele es sich um Depression, Angst- sowie Essstörungen. Das Leiden der Kinder sei daran zu merken, "dass wir mehr Patienten haben", berichtet der Psychologe.

Wohin mit den Problemen

Studien hätten zudem gezeigt, dass sich 75 Prozent der Kinder und Eltern durch die Pandemie sehr belastet fühlen. Doch fügt der Psychologe hinzu, manche Schichten seien davon mehr betroffen als andere. "Familien, die mehr Platz haben und deswegen mehr Möglichkeiten haben, sich selbst Freiraum zu schaffen, kommen natürlich besser durch die Krise als Eltern, die beengter leben."
Wetzel fügt hinzu, dass auch soziale Einrichtungen wie Jugendhäuser geschlossen sind. "Die Kinder wissen nicht, wo sie mit ihren Problemen hinkönnen", so die Elternvertreterin. Auch Schroiff sieht es als wichtig an, dass öffentliche Angebote erhalten bleiben – "und darauf geachtet wird, dass sie nicht untergehen, weil wir die Prioritäten anders setzen". Man dürfe nun nicht der Schule, die ganze Aufmerksamkeit zuwenden.
Mit dem nun vorgesehenen Geld müssten Angebote für alle Altersgruppen geschaffen werden, unterstreicht Wetzel, um wieder Struktur in den Alltag zu bringen. "Es ist ganz wichtig, auch in die Brennpunkte reinzugehen. Dann kriegt man auch die Kinder. Die sind dankbar, wenn etwas angeboten wird", so Wetzel.

Was wollen die Kinder?

Auch Schroiff unterstützt dies: "Solche offenen Angebote müssen in allen Stadtteilen vorgehalten werden. Vielleicht vor allem in den Stadtteilen, die benachteiligt sind." Denn offene Kinder- und Jugendarbeit sei inklusiv – "was die Schule heute nicht mehr leiste, wo sehr ausgewählt wird".
Wichtig sei zudem, "dass wir mehr auf die Kinder hören müssen. Wir haben in der Pandemie oft als Erwachsene für die Kinder mitgesprochen und haben eigene Prioritäten gesetzt", so der Kindertherapeut. "Aber wir haben vielleicht zu wenig darauf gehört, was die Kinder selber wollen."
(rzr)
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