Der Nachwuchs misstraut den Parteien
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Die Jugend ist politisiert. Das zeigt auch der Erfolg von Fridays for Future. Dennoch müssen Parteien sich weiter Nachwuchssorgen machen. Die Skepsis der Jungen der etablierten Politik gegenüber bleibt – auch in der Pandemie gab es Enttäuschungen.
In Kiel werden Kinder und Jugendliche von der Politik gehört. Finden zumindest Emma Louisa Döhler und Yasin Söbütay. Die beiden Teenager sind Mitglieder des Jungen Rates. Das Gremium ist die Interessenvertretung der Kinder und Jugendlichen in der Stadt und hat 17 Mitglieder. Einmal im Monat ist Sitzung, sagt die 19-jährige Ratsvorsitzende Emma.
"Wir haben auch Rede- und Antragsrecht in der Ratsversammlung. Das heißt, wir dürfen auch mit den Parteien mitreden und dort auch zu den konkreten Anträgen, die gerade aktuell sind, auch was sagen. Und dort mitreden", erklärt sie.
Alle zwei Jahre werden die Mitglieder des Jungen Rates neu gewählt. Und zwar von der Bevölkerungsgruppe, die sie selbst auch vertritt. Klima- und Umweltschutz, aber auch Bildung und Sport genauso wie Verkehr und Demokratie seien die wichtigsten Themen in den Arbeitsgruppen.
Der 18-jährige Yasin ist zufrieden: "Also, Kiel hat sich sehr gut gewendet, wir haben viele Projekte, die wir auch weiter unterstützen. Wir arbeiten auch viel mit der Stadt zusammen."
Beide Jugendlichen haben gelernt: Neben guten Ideen braucht es viel Zeit und Geduld, um politische Entscheidungen zu treffen. Der Junge Rat bietet ihnen auf Kiel Stadtebene einen Ort dafür.
Enttäuschende Erfahrung während der Pandemie
Ganz anders sieht es aus beim Blick auf die Landes- und Bundesebene. Hier hat gerade die Corona-Pandemie den beiden Jugendlichen zuletzt das Gefühl gegeben, machtlos und ungehört zu bleiben.
Schöner wäre es, "wenn auch einfach mehr Kinder und Jugendliche – wenn es um den Bereich geht – auch im Landtag gehört werden und beispielsweise auch im Bundestag. Also ich finde einfach, wenn man beispielsweise über das Abitur spricht oder das Konzept, wann was geöffnet wird, wäre es einfach wirklich wichtig, Kinder und Jugendliche miteinzubeziehen. Weil uns hat die Pandemie – das zeigen sehr viele Studien – wirklich auch sehr doll erschüttert und auch geschwächt – in Anführungszeichen – würde ich sagen."
Immerhin: Als Vorsitzende des Jungen Rates wurde Emma Louisa Döhler zu einer Anhörung im Schleswig-Holsteinischen Landtag eingeladen. Doch weder sie noch ihr Junger-Rats-Kollege Yasin fühlen sich derzeit einer speziellen Partei verbunden, geschweige denn sind dort Mitglied. Auch um sie werden die Politikerinnen und Politiker in den Parlamenten also buhlen müssen.
Parteien haben ein Nachwuchsproblem
Innerhalb der letzten drei Jahrzehnte hat sich sowohl bei der SPD wie auch der CDU die Mitgliederzahl halbiert. Derzeit bewegen sich beide Parteien nahe der Marke von 400.000 Mitgliedern. Wie aber lassen sich junge Menschen heute noch für Politik und Parteien begeistern?
"Also man erreicht sie nicht für die Parteien, indem man ihnen einen halbstündigen Vortrag hält, wie wichtig Parteien für die parlamentarische Demokratie sind. Da sind schon alle eingeschlafen dabei", sagt Kevin Kühnert, früher Chef der Jusos und heute stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD.
"Parteien müssen mit denen, die schon da sind, zeigen, dass sie durchlässige, innovationsfreudige Organisationen sind. Das sind sie heute nämlich häufig nicht! Und das kriegen junge Menschen sehr wohl mit. Und dann finden sie andere Orte für politisches Engagement: NGOs, Bürgerinitiativen oder Ähnliches."
Mit rund 110.000 Mitgliedern sind die Grünen immer noch deutlich kleiner im Vergleich zu SPD und CDU. Doch in den letzten Jahren hat die Partei ein kräftiges Wachstum bei der Basis verzeichnet. Nun wollen die Grünen mit Annalena Baerbock eine vergleichsweise junge Politikerin mit einem frischen Image ins Kanzleramt einziehen lassen.
Wahlalter senken, Themen nachsteuern
Mathias Albert ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bielefeld. Er sagt: Der Mitgliederschwund sei bei den großen Volksparteien womöglich etwas gebremst. "Aber er ist weiterhin da."
Ein Patentrezept zur Sicherung des politischen Nachwuchses gebe es nicht. Albert skizziert stattdessen kleinere Schritte, die aus seiner Sicht den Parteien helfen könnten: jüngeres Führungspersonal. Oder die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre.
Auch thematisch rät der Bielefelder Politikwissenschaftler zur Nachsteuerung: "Das ist auf der einen Seite natürlich die Frage Klimawandel. Das ist und bleibt ein ‚Top on the list‘ der Zukunftsängste. Aber da ist es ja jetzt auch eher so, dass wir keinen Mangel haben an Parteien, die versuchen, sich darüber zu profilieren."
Doch die Corona-Krise habe auch sehr große Rückstände im deutschen Bildungs- und Schulsystem offen gelegt genauso wie bei der Digitalisierung.
Politisch interessiert, aber parteienverdrossen
Als Wissenschaftler ist Albert schon lange an der Shell-Jugendstudie beteiligt, die als eine der wichtigsten Untersuchungen gilt zu der Frage, wie Menschen zwischen 12 und 25 Jahren ticken. Die letzte Shell-Studie wurde im Herbst 2019 vorgestellt.
Sie bestätigte das zuvor schon gewachsene Interesse der Jugendlichen an Politik. Drei Viertel der Befragten gaben an, mit der Demokratie zufrieden zu sein. Anderseits befanden zwei Drittel, dass sich die Politik zu wenig um die Interessen der Jugendlichen kümmere.
Die wirtschaftlichen Ängste seien in der Corona-Pandemie bei jungen Menschen gestiegen, sagt Albert. Wie stark sich das Gefühl der politischen Ohnmacht und des nicht beachtet Sein bei der jungen Generation halten werden, kann er noch nicht sagen.
"Was nicht zu erwarten steht, ist, dass sich an dieser grundsätzlichen Parteienverdrossenheit etwas ändert. Die den Parteien zugeschriebenen Problemlösungskompetenzen sind einfach gering. Und was die sogenannte Politikerverdrossenheit angeht, da wird man sehen", sagt der Politologe.
"Demokratie ist wahnsinnig kompliziert"
Am Kieler Ostseeufer steht Tobias von der Heide. Nur wenige Schritte hinter ihm liegt der Schleswig-Holsteinische Landtag. Von der Heide ist dort seit 2017 Abgeordneter für die CDU und jugendpolitischer Sprecher der Fraktion.
Jugendliche könnten sich schon heute in vielen Bereichen politisch einbringen, sagt der 36-Jährige. "Andersrum ist Demokratie wahnsinnig kompliziert, komplex und anstrengend! Weil immer, wenn man sich mit Politik beschäftigt, das nicht von heute auf morgen geht. Weil ich nicht für mich selber Entscheidungen treffe, sondern mit anderen zusammen."
Noch zu Beginn der ersten Fridays-for-Future-Demos war der CDU-Politiker skeptisch. Dachte, den Jugendlichen gehe es vor allem ums Schule Schwänzen. Inzwischen findet Tobias von der Heide, dass der breite, auf die Straße getragene Protest der Klimaschutzbewegung der Politik gutgetan habe.
"Allerdings glaube ich, dass eine Demonstration alleine auch nicht der Weg ist, wie ich mich politisch engagieren kann", sagt er. "Zumindest dann nicht, wenn ich mitentscheiden will. Das ist nämlich der große Unterschied: Artikuliere ich ein Thema oder sitze ich mit am Tisch?"
Lieber Kinderschutzbund als Parteiarbeit
Das hat auch Emma Louisa Döhler gelernt, die seit fast vier Jahren Mitglied im Jungen Rat der Stadt Kiel ist. "Politik gehört zu meinem Leben", sagt die 19-Jährige. Trotzdem steuert sie keine Parteikarriere an. Nicht zuletzt, weil es dort häufiger um Machtfragen als um Inhalte geht, findet Emma.
"Tatsächlich reizt mich aber momentan eher die Lobbyarbeit. Also ich bin nebenbei auch noch im Kinderschutzbund aktiv und finde das eine schönere Arbeit. Weil es einfach, finde ich, ein bisschen vielfältiger ist und offener den Parteien gegenüber", erklärt sie.
Ihr Junger-Rats-Kollege Yasin Söbütay sieht es etwas anders. Der frisch gebackene Abiturient beginnt im Herbst in Mannheim ein duales Ingenieurstudium und will dort auch schauen, ob er politisch Anschluss findet.
"Ich habe mir den Weg auf jeden Fall noch offengehalten, dass ich vielleicht politisch nachher noch aktiv werde. Und dann vielleicht einer Partei beitrete und dann mich vielleicht hocharbeite – auf Landesebene, Bundesebene. Aber jetzt gerade noch nicht", sagt er.