"Wenn alle sparen, geht es in die Katastrophe"
Der Wirtschaftswissenschaftler Heiner Flassbeck gibt der deutschen Regierung und ihrer Sparpolitik die Hauptschuld an der steigenden Jugendarbeitslosigkeit in Europa: Wer nichts ausgebe, schaffe auch keine Arbeitsplätze.
Nana Brink: „Die Arbeitslosigkeit grassiert unter jungen Menschen in Südeuropa wie eine schwere Grippeepidemie" – das ist in einer Analyse des bekannten Ökonomen Heiner Flassbeck zu lesen. Bislang ohne Heilung, muss man sagen, denn in einigen EU-Staaten haben mehr als die Hälfte aller Jugendlichen keinen Job oder Ausbildung. Und das Thema steht ganz oben, wenn sich heute in Mailand die Staats- und Regierungschefs zum EU-Beschäftigungsgipfel treffen. Auch die Bundeskanzlerin ist anwesend. Bereits im Frühjahr 2013 wurde ja beschlossen, sechs Milliarden Euro bereitzustellen, um die jungen Menschen in Lohn und Brot zu bringen. Der Wirtschaftswissenschaftler Heiner Flassbeck, dessen Agentur sich ja mit dem Thema beschäftigt hat, war zuletzt Chefvolkswirt bei den Vereinten Nationen und davor Staatssekretär im Finanzministerium. Guten Morgen, Herr Flassbeck!
Heiner Flassbeck: Guten Morgen!
Brink: Schon wieder ein Gipfel – der dritte zum Thema. Wie macht sich die EU bisher in ihrem Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit?
Flassbeck: Ja, schlecht. Bisher ist nicht sehr viel passiert außer vielen Worten, die gewechselt werden, und diesem Programm, das aber offensichtlich überhaupt nicht greift. Wir haben gerade neue Zahlen gesehen. Weil der Gipfel ja in Italien stattfindet, in Mailand stattfindet, in Italien steigt die Jugendarbeitslosigkeit inzwischen auf über 40 Prozent. Und insofern ist da nichts passiert. Wir müssen dazu zur Kenntnis nehmen, dass sich die wirtschaftliche Lage generell weiter verschlechtert, auch in Deutschland.
Brink: Also heiße Luft. Es sollte ja eine Jugendgarantie umgesetzt werden, heißt, alle Betroffenen sollen in vier Monaten eine Arbeitsstelle bekommen.
Die Jugendarbeitslosigkeit ist nicht vom Himmel gefallen
Flassbeck: Tja, bisher ist davon nichts zu sehen. Das ist halt nicht so einfach. Politiker können sich nicht einfach hinstellen und beschließen, wir beseitigen jetzt mal die Jugendarbeitslosigkeit. Erst mal ist das eine unglaubliche Herausforderung, und zweitens dauert, selbst wenn man so etwas tut, dauert es eine lange Zeit. Drittens muss man sehr viel Geld in die Hand nehmen, wenn man das wirklich tun will. Sechs Milliarden reichen da für die ganze EU auf keinen Fall. Und viertens muss man an den übrigen Ursachen, an den eigentlichen Ursachen der Jugendarbeitslosigkeit arbeiten, und da passiert gar nichts. Die eigentliche Ursache der Jugendarbeitslosigkeit ist die schlechte wirtschaftliche Entwicklung in Europa. Die Jugendarbeitslosigkeit ist ja nicht vom Himmel gefallen oder nicht plötzlich haben sich die Ausbildungssysteme in den Ländern verschlechtert, sondern es ist Folge der extrem schlechten wirtschaftlichen Entwicklung, und hier geht es in den letzten Monaten noch weiter bergab. Das heißt, es spricht alles dafür, dass sich die Arbeitslosigkeit der Jugendlichen weiter verschärft, und nicht verbessert.
Brink: Aber immerhin gibt es ja dieses Programm, sechs Milliarden sind ja auch nicht wenig. Zu wenig allerdings, wie einige kritisieren, vor allem in der SPD.
Flassbeck: Ja, natürlich ist es zu wenig. Aber sehen Sie, wenn sich die Lage dauernd verschlechtert, die Ausbildungsmöglichkeiten der Jugendlichen dauernd verschlechtern, dann kann ich ja nicht mich hinstellen und sagen, ich mache jetzt mal ein Programm von sechs Milliarden, und die tägliche Verschlechterung der Situation sozusagen, die geht mich nichts an. Das wird schon – irgendwann werden ein paar Stellen dadurch geschaffen werden, aber das ist nichts gegen den großen Strom der Entlassungen, der da gleichzeitig läuft. Und hier muss man sagen, ist Deutschland in erheblicher Weise mit schuld an der Misere. Jetzt wird ja diskutiert, wir haben ja in den nächsten 14 Tagen nicht nur den Gipfel in Mailand, sondern wir haben ganz entscheidende Weichenstellungen auch in der Finanzpolitik, in der Frage, was muss passieren bei den öffentlichen Defiziten.
Es wird ja viel über Frankreich diskutiert, aber auch Italien. Und in Frankreich und Italien gerade kommt jetzt der Knackpunkt. Die Regierungschefs beider Länder haben gesagt, sie können nicht einfach weiter sparen, so wie das Deutschland sich vorstellt, so wie das in den Regeln formal auch drin steht, man könne nicht einfach weiter sparen mitten in einer Rezession. Die Lage verschlechtert sich. Wir haben gestern gesehen, auch in Deutschland verschlechtert sich die Lage. Die Industrieproduktion ist dramatisch gesunken, und in dieser Situation muss man das gesamte Konzept, das gesamte wirtschaftliche Konzept überdenken. Und Deutschland muss wegkommen von seinem Austeritätskurs, also diesem Kurs, dass die Staaten sparen müssen, egal, was die anderen Sektoren in der Volkswirtschaft tun. Alle müssen sparen, und dann wird es gut – nein. Wenn alle sparen, geht es in die Katastrophe, und das betrifft ganz unmittelbar auch die Jugendlichen.
Deutschland muss die eigene Position überdenken
Brink: Also ist der schwarze Peter in Deutschland zu suchen?
Flassbeck: Ja, absolut. Er ist absolut in Deutschland zu suchen. Ich war gerade am Wochenende auf einer Konferenz in England. Da ist es vollkommen klar, wer schuld ist an der Misere. Schuld ist die deutsche starre Haltung in Sachen Wirtschaftspolitik. Man muss hier eine Änderung des Konzepts vornehmen. Und es ist auch vollkommen klar, so wird das auch in der Spitze in Europa, von den Spitzenkräften in Europa diskutiert, dass Deutschland auch seine eigene Position überdenken muss. Es muss einerseits – es darf sich nicht in seiner Sparmentalität feiern. Man feiert ja, dass in Deutschland der Staat keine Schulden macht. Das ist absolut lächerlich in einer Situation, wo Deutschland darauf vertraut, dass das Ausland Schulden macht. Das Ausland soll auch in diesem Jahr und muss auch in diesem Jahr 200 Milliarden Schulden bei Deutschland machen, damit überhaupt ein Prozent Wachstum zustande kommt. Und gleichzeitig feiert man, dass der deutsche Staat in den Überschuss geht, im nächsten Jahr einen Überschuss machen wird, vielleicht sogar Schulden abbauen kann. Das ist vollkommen lächerlich.
Nein, der deutsche Staat muss jetzt eigentlich – unter vernünftigen Menschen müsste man zu dem Ergebnis kommen –, muss, um die anderen auf ihrem Schuldenniveau zu entlasten, muss Deutschland mehr Schulden machen. Das geht leider nicht anders. Wir sparen unendlich viel, die privaten Haushalte in Deutschland sparen unendlich viel, und irgendjemand muss sich verschulden. Es muss eine Gegenbuchung geben gegen das Sparen, sonst gibt es immer weniger Ausgaben in dieser Welt. Und wenn es weniger Ausgaben gibt, gibt es weniger Arbeitsplätze. Und wenn es weniger Arbeitsplätze gibt, gibt es auch weniger Arbeitsplätze für Jugendliche.
Brink: Genau. Und da möchte ich noch mal einhaken, weil es gibt ja immer noch das Projekt dieser sechs Milliarden, und es ist ja auch klar, dass die meisten Länder das auch noch nicht mal abgefordert haben. Das heißt, man kann den schwarzen Peter aber auch weitergeben nach dem Motto, da sind Töpfe, die habt ihr noch nicht mal umgesetzt, weil ihr keine Konzepte habt.
Sechs Milliarden Euro sind keine Garantie
Flassbeck: Konzepte sind auch nicht so einfach zu erstellen. Wie kriegt man Jugendliche in einen Betrieb, wenn der Betrieb Arbeitsplätze abbaut die ganze Zeit. Das liegt auch an dieser Situation. Natürlich gibt es da wahrscheinlich auch bürokratische Hindernisse, ich weiß nicht, was. Das ist auch vollkommen klar, aber man muss ja ein Konzept entwickeln, wie man Betriebe davon überzeugt, Jugendliche einzustellen. Und das ist nicht so einfach in einer Situation, wo sich die Lage dauernd verschlechtert. Sonst muss es der Staat direkt machen. Aber auch der Staat hat nicht unmittelbar überall die Voraussetzungen, Jugendlichen eine vernünftige Ausbildung zu geben. Dann werden die in irgendwelche Zentren gesteckt und langweilen sich zu Tode. Das ist auch nicht die Lösung. Also, das ist nicht so einfach, dass man sich hinstellt, einen Gipfel macht und sagt, wir machen jetzt mal sechs Milliarden, und dann haben wir eine Garantie dafür, dass Jugendliche einen Job haben.
Brink: Aber wenn ich Sie richtig verstehe, ist das dann doch wirklich Illusion, zu sagen – also die sechs Milliarden, die könnten wir auch irgendwie – gleich woanders hinstecken?
Flassbeck: Ja, es wird an ganz wenigen Stellen ein bisschen vielleicht passieren, aber es ist natürlich der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Das ist nichts anderes. Und wie gesagt, wenn sich die Gesamtkonzeption nicht ändert – und da muss man dran arbeiten jetzt, und da muss man auch in Deutschland anfangen, nachzudenken –, dann wird das alles nicht nützen.
Brink: Der Wirtschaftswissenschaftler Heiner Flassbeck. Danke für das Gespräch und Ihre Einschätzungen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.