Jugendliche Islamisten

"Wenn die im Gespräch bleiben, dann reisen die auch nicht aus"

Der salafistische Prediger Pierre Vogel betet am 19.07.2014 in Hamburg auf einer Kundgebung mit rund 300 Anhängern auf dem Hachmannplatz.
Salafisten wie Pierre Vogel versuchen, Jugendliche zu rekrutieren © picture-alliance / dpa / Markus Scholz
Moderation: Nana Brink |
Den Bremer Pädagogen André Taubert bitten verzweifelte Eltern um Rat: Sie befürchten, dass ihr Kind zum Islamisten wird. Gegen Radikalisierung hilft vor allem eines, sagt Taubert: zuhören, den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen.
Nana Brink: Die "Scharia-Polizei", Sie erinnern sich vielleicht noch an die jungen islamischen Extremisten, die da mit einer Warnweste, auf der "Scharia-Polizei" stand, sich vor Jugendhäusern und Diskotheken aufgestellt haben, um Jugendliche zu nötigen, auf den Pfad der Religion zurückzukehren oder besser ihrer extremen Auslegung von Religion. Und wir hören ja auch viel über junge Erwachsene, die sich auch in Europa und auch in Deutschland von extremistischen Gruppen rekrutieren lassen, teils sogar zum Kampf dann aufbrechen zusammen mit dem Islamischen Staat.
Und da taucht natürlich immer wieder die Frage auf, wie kann man das erkennen, wenn Jugendliche in die radikale Ecke abdriften, und was kann man dann letztendlich auch dagegen tun? Der Pädagoge André Taubert in Bremen berät beim Verein "VAJA" Eltern, Angehörige und auch Betroffene in der Auseinandersetzung mit Islamismus. Guten Morgen, Herr Taubert!
André Taubert: Guten Morgen!
Brink: Es ist ja ein großer Unterschied, ob ich gläubiger Moslem bin oder einem extremen Islamismus anhänge, wie die Salafisten zum Beispiel. Wie erkennen denn Eltern und Lehrer, ob das Kind abdriftet in diese Szene?
Eine grundsätzliche Konfrontationshaltung
Taubert: Es ist schön, dass Sie das sagen, ein großer Unterschied. Das hat nämlich oftmals gar nicht so viel miteinander zu tun, der Islam und das, was wir da bei den Jugendlichen erleben. Ein gutes Erkennungszeichen ist eigentlich immer, dass diese Jugendlichen eine grundsätzliche Konfrontationshaltung haben, die ganze Zeit. Und zwar immer dieses Herausfordernde, was muss man tun, um ein guter Moslem zu sein, und du bist kein guter Moslem – also andere dann auch sozusagen zu degradieren und zu sagen, jemand, der einfach nur in die Moschee geht oder sich in der Gemeinde engagiert, ist noch lange kein richtiger Moslem.
Und – und an der Stelle sehen wir in all unseren Fällen immer das gleiche Phänomen: Wenn die Jugendlichen alle ihre Kontakte, ihre früheren Freundschaften und so abgebrochen haben und auch innerhalb der Familie schon viel, oder sehr wenig Gesprächsbereitschaft nur noch da ist, dann ist es schon "gefährlich". Es ist vor allem deswegen gefährlich, weil da eben Familiensysteme auseinanderbrechen an der Stelle.
Brink: Sie sprechen ja nun mit allen Beteiligten. Wie oft spüren Sie denn – man muss ja da vielleicht auch so verschiedene Eskalationsstufen unterscheiden – wie oft spüren Sie denn, ob der wirklich abdriftet?
Taubert: Eigentlich in den Fällen, die wir bekommen, immer. Aber "abdriften" – was heißt das? Uns ist immer wichtig, mit den Eltern zusammen eine Strategie zu erarbeiten, dass die ein Gefühl dafür bekommen, ob der abdriftet in Richtung Syrien, in Richtung IS, oder ob er einfach – gut, zwar keine Freunde mehr hat, keine weltlich eingestellten Freunde, aber das im Grunde genommen doch ein Ding ist, was er sehr für sich macht, ein sehr spirituell geprägtes Ding ist. Und wenn die Eltern dafür nämlich dieses Gespür haben, dann ist eigentlich alles erreicht, was wichtig ist, denn dann – im Normalfall wird es dann irgendwann wieder weniger, und die Eltern können in dieser Zeit gelassen das Ganze beobachten, sind im Gespräch mit ihren Kindern, und im offenen Gespräch vor allem.
Die Jugendlichen kommen nie aus extremen Gruppen
Brink: Welche Familien sind es? Wo würden Sie die zuordnen? Sind das gläubige Moslems oder gehören die auch schon extremen Gruppen an? Kann man das so einschätzen?
Taubert: Die kommen selber nie aus extremen Gruppen. Es ist auch gar nicht so, dass sie klassischerweise aus dem konservativen Islam kommen, das haben wir eigentlich eher sehr selten. Also diese Jugendlichen, die waren nicht vorher irgendwie so gläubig, dass sie freitags zur Moschee gegangen sind. Das haben wir eigentlich fast nie, diesen Fall. Die kommen aus allen Gesellschaftsschichten, die kommen aus allen Bildungsschichten, aber die kommen am seltensten wirklich aus islamischen, also wirklich streng oder sagen wir, konservativ islamischen Elternhäusern.
Brink: Das heißt, Sie haben es aber schon öfter erlebt, dass man dann am Ende tatsächlich verhindern muss, dass ein junger Erwachsener nach Syrien reist, um dort mit dem Islamischen Staat gemeinsame Sache zu machen?
Taubert: Ganz genau. Da gibt es ja in allerletzter Konsequenz die Möglichkeit, den Pass abzunehmen oder jemanden am Flughafen aufzuhalten. Allerdings ist das gar nicht so häufig. Was wir viel häufiger erleben, ist, dass die Eltern es schaffen, das Ruder rumzureißen, dass diese Diskussions- und Konfrontationskultur zu Hause nachlässt.
Wir arbeiten viel mit den Eltern daran, dass sie mit ihren Kindern über andere Dinge sprechen, andere Haltungen einnehmen – wir Menschen haben so einen automatischen Impuls, dagegenzuhalten, wenn da jemand kommt und einen Spruch von so einem Pierre Vogel oder Ähnliches lässt, dann wollen wir immer dagegenhalten und sagen, das ist nicht richtig, das ist nicht der richtige Weg. Und wenn man an der Stelle mal sagt, nein, ich höre dir jetzt zu und mich interessiert es, was du daran gut findest, dann ist das Eis gebrochen und dann hat man wieder ein Gespräch. Und das ist das, was wirklich gut funktioniert. Denn wenn die im Gespräch bleiben, dann reisen die auch nicht aus.
Brink: Wie wichtig ist die Rolle der Schule, um so was zu erkennen?
Taubert: Sie ist genau dann wichtig, wenn die Eltern sich – also die erkennen das auch, aber wenn die sich nicht trauen, oder wenn es für sie schamhaft ist, damit nach außen zu gehen, an die Polizei sich zu wenden, an uns sich zu wenden, dann spielt oft die Schule eine Rolle, weil wir über die dann auch noch was Ähnliches erreichen können, sprich, dass die Lehrer oder Vertrauenslehrer oder Schulsozialarbeiter auch einfach am Jugendlichen dran bleiben, mit ihm im Gespräch bleiben oder günstigstenfalls es schaffen, an die Eltern ranzukommen und zu sagen, hören Sie mal zu, da ist hier die Beratungsstelle, wollen Sie sich nicht mal an die wenden?
Die Eltern haben einen hohen Leidensdruck
Brink: Spüren Sie denn eine Bereitschaft, oder andersherum gefragt, wie groß ist denn die Bereitschaft von Eltern, dann auch Ihre Hilfe anzunehmen, denn das ist ja meistens das Problem?
Taubert: Also diese Eltern, die sich erst mal an uns gewandt haben, haben so einen hohen Leidensdruck, eben vor dem Hintergrund, dass sie sich auch zu Recht sehr viele Sorgen machen, dass ihr Kind am Ende in Syrien landet. Ich arbeite eine ganze Weile in diesem Bereich, viel Familienhilfe gemacht, wo es ja oft so ein bisschen so ist, dass das Jugendamt sagt, Sie müssen jetzt mal ein bisschen, wir sehen hier eine Kindeswohlgefährdung. Aber ich habe noch nie Familien gehabt, die so sehr mitarbeiten und so gut mitarbeiten wie diese Familien, wenn sie sich erst mal an uns gewandt haben.
Brink: Wie sehen Ihre anderen Erfahrungen aus? Hat dieses Phänomen der zunehmenden Radikalisierung zugenommen in der letzten Zeit, oder sprechen wir einfach nur mehr darüber?
Taubert: Genau dieses Phänomen, was ja landläufig Salafismus genannt wird, auch wenn der Begriff umstritten ist, aber ich nehme ihn immer, weil wir auch keinen anderen guten haben, hat einfach massiv zugenommen. Das gab es bis vor drei, vier Jahren nur in einem geringen Maße. Da war Dschihadismus, da war Foreign Fighter nicht so ein Thema, und jetzt ist das einfach, die Szene ist massiv gewachsen, Zahlen, da bin ich immer vorsichtig mit, aber wir merken halt in all den Familien, und bis zum jetzigen Zeitpunkt sind wir in 100 Familien in der Beratung in zwei Jahren, dass das Thema IS in allen Familien Thema ist, ausnahmslos.
Brink: Und wird diese radikale Auslegung dort auch weitestgehend abgelehnt, also auch von den Familien?
Taubert: Vonseiten der Familien, die sich an uns wenden, wird es immer absolut abgelehnt, auf jeden Fall. Wenn das nicht der Fall wäre, würden die sich auch nicht bei uns melden.
Brink: Der Pädagoge André Taubert versucht, Eltern, Angehörige und Betroffene in der Auseinandersetzung mit dem extremen Islamismus zu beraten. Danke, Herr Taubert, für Ihre Zeit und die Einschätzung!
Taubert: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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